# taz.de -- Sigmar Gabriel über Öko in der Krise: "Wir sind nicht bei Wünsch… | |
> Die Autoindustrie hat gepennt, die Kohlendioxid-Richtlinien sind gut und | |
> die Atomindustrie muss für Asse zahlen: Bundesumweltminister Sigmar | |
> Gabriel zweifelt nicht an seiner Politik. | |
Bild: "Der Umweltschutz gewinnt in der Krise an Bedeutung", meint Sigmar Gabrie… | |
taz: Herr Gabriel, sind Sie als Umweltminister ein Krisenverlierer? | |
Sigmar Gabriel: Nein, im Gegenteil. Der Umweltschutz gewinnt in der Krise | |
an Bedeutung. | |
Im zweiten Konjunkturprogramm ist aber von Ökologie nicht viel zu sehen. | |
Wie kommen Sie denn darauf? Tatsache ist: Die 10 Milliarden Euro, die die | |
Kommunen bekommen, müssen sie hauptsächlich für die energetische | |
Gebäudesanierung ausgeben. Und wir haben die Offshore-Windprojekte, die in | |
der Finanzkrise massiv unter Druck geraten sind, unter den staatlichen | |
Bürgschaftsschirm genommen. | |
Sie wollten die Bahn fördern, nun werden vor allem Straßen gebaut. Die neue | |
Kfz-Steuer belastet die Spritfresser noch immer nicht besonders. Und bei | |
der Abwrackprämie gibt es auch kein Ökokriterium. | |
Das ist auch gar nicht nötig. Denn Neuwagen haben per se einen niedrigeren | |
CO2-Ausstoß als die Altautos, die jetzt verschrottet werden. Wer geglaubt | |
hat, dass jetzt vor allem die großen Schlitten gekauft würden, hat | |
offensichtlich die Einkommensverhältnisse der Deutschen überschätzt und | |
ihre Klugheit unterschätzt. | |
Sie sind wirklich zufrieden mit dem zweiten Konjunkturpaket? | |
Ja. Es beinhaltet 500 Millionen Euro für Elektromobilität. Plus viel Geld | |
für energetische Gebäudesanierung. Was erwarten Sie denn noch? Auf Ihrem | |
Zettel steht offenbar "Wünsch Dir was". Ich kann mich noch gut an die | |
Kommentare auch in der taz erinnern, die prophezeit haben, dass in der | |
Krise alle klimapolitischen Ziele den Bach runtergehen würden. Und? Nichts | |
davon ist eingetreten. Es gibt keine Rücknahme der Klimaziele der Regierung | |
oder der EU. | |
Vielleicht weil sie nicht ambitioniert genug waren. Waren die Politiker zu | |
nett zu den deutschen Automobilkonzernen, die derzeit auf ihren großen | |
Sprit fressenden Modellen mit hohem CO2-Ausstoß sitzen bleiben? | |
Das ist doch nicht die Schuld der Politik! Da hat es der Autoindustrie an | |
Weitblick gefehlt. Niemand bestreitet, dass es ein Fehler war, allein auf | |
die Selbstverpflichtung der Autoindustrie zur Minderung des CO2-Ausstoßes | |
zu vertrauen. Deshalb haben wir eine strenge CO2-Richtlinie in der EU | |
durchgesetzt. Es stimmt: Die Autoindustrie in Deutschland hat gepennt. Und | |
jetzt? Sollen wir jahrelang deshalb jammern? | |
Sie könnten die Autoindustrie stärker rannehmen, anstatt ihr zur Belohnung | |
auch noch drei Jahre Übergangsfrist zu einer strengeren CO2-Richtlinie zu | |
schenken. | |
Doch, genau das ist nötig. Rache ist ein schlechter Ratgeber. Wenn Sie | |
jetzt, quasi aus Rache für die Ignoranz der Vergangenheit, massiv in die | |
Produktionszyklen der Hersteller eingreifen und erhebliche Mehrkosten | |
auslösen, dann richten Sie erheblichen Schaden an - den aber nicht die | |
Vorstände, sondern die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Fabriken | |
zu tragen hätten. Wir bräuchten aber gerade die Zustimmung der Facharbeiter | |
in der Autoindustrie, um die CO2-Grenzwerte durchzusetzen. Und wir haben | |
diese Grenzwerte ja nicht hinausgeschoben, sondern festgelegt, dass sie | |
2012 zu 60 Prozent erfüllt sein müssen und 2015 zu 100 Prozent. Dafür hat | |
die Autoindustrie einen hohen Preis bezahlt - nämlich den, dass sie 2020 | |
einen durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 95 Gramm erreichen muss. | |
Dieses Ziel ist noch nicht verbindlich. Es kann 2015 gekippt werden. | |
Wird es nicht. Aber bitte - treffen wir uns 2020 noch mal. Dann werden wir | |
sehen. | |
Wie passt es in Ihre rosige Ökobilanz, dass in der Zeit der großen | |
Koalition kein einziges Atomkraftwerk abgeschaltet worden ist? | |
Das liegt an den vielen Stillständen, mit denen die Atombetreiber die | |
Laufzeiten strecken. Dadurch werden aber in der nächsten Legislaturperiode | |
umso mehr abgeschaltet. | |
Warum sind Sie da so sicher? | |
Weil es so im Gesetz steht. Und weil es die SPD so will. Die Union sieht | |
das in der Tat anders und sagt das auch. Okay - denn so können die | |
Wählerinnen und Wähler am 27. September entscheiden, ob der Atomausstieg | |
weitergeht. | |
Künftig wird der Druck der Konzerne noch stärker werden. Diese fordern, | |
Strommengen auch von neuen auf alte AKWs übertragen zu dürfen, damit diese | |
länger am Netz bleiben können. Können Sie ausschließen, dass die SPD dieses | |
Spiel nach der Wahl mitmachen wird? | |
Ich habe nicht die Absicht, das Gesetz nach der Wahl anders zu | |
interpretieren als davor. | |
Gilt das auch für den Fall, dass die SPD an der Regierung bleibt, aber | |
jemand anders Umweltminister ist? | |
Welch alberne Frage! Ich kann doch nicht sagen, was jemand anders nach der | |
Wahl entscheiden wird. Ich kann nur sagen: Die Sozialdemokraten haben sich | |
klar auf den Atomausstieg festgelegt. Und dass es uns ernst damit ist, | |
haben wir in den letzten zehn Jahren unter Beweis gestellt. | |
Die deutschen Energiekonzerne sind aber zuversichtlich, dass ihre AKWs nach | |
der Wahl weiterlaufen werden. | |
Na, darin haben sie sich ja schon 2002 und 2005 geirrt. Die waren sich ja | |
auch ganz sicher, dass es keinen europäischen Emissionshandel mit 100 | |
Prozent Auktionierung gibt. Der kam aber trotzdem. Die alten Kraftwerke wie | |
Biblis A werden vom Netz gehen. Die sind zwar für die Betreiber wichtig, | |
weil sie damit noch viel Geld verdienen, aber weder für die | |
Energieversorgung Deutschlands noch für den Klimaschutz brauchen wir sie. | |
Auch momentan sind ja nicht alle Atomkraftwerke am Netz. Das beweist doch, | |
dass wir keine Stromlücke bekommen, wenn Atomkraftwerke abgeschaltet | |
werden. | |
Aber die Brennstoffsteuer, mit der sich die Energiekonzerne ein bisschen | |
mehr an den Kosten beteiligen müssen, die sie verursachen - die haben Sie | |
erst im Wahlkampf wiederentdeckt. | |
Ich will, dass die nächste Bundesregierung dafür sorgt, dass die | |
Atomkraftbetreiber die Sanierung der katastrophalen Zustände in der Asse | |
und in Teilen auch in Morsleben mitfinanzieren. | |
Wenn das so wichtig ist, warum stellen Sie die Brennstoffsteuer nicht jetzt | |
zur Abstimmung? Eine Mehrheit im Bundestag müsste es doch geben. | |
Sie sind wieder bei der Abteilung "Wünsch Dir Was". Man macht doch keine | |
Koalition, um gegen den Koalitionspartner zu stimmen. | |
Und mit wem wollen Sie nach der Wahl die Brennstoffsteuer umsetzen? | |
Die Union wird nach der Bundestagswahl sagen müssen, wie die Sanierung | |
finanziert werden soll. Es gibt auch in der CDU viele, die sagen: | |
Eigentlich ist es eine Schweinerei, dass der Steuerzahler die Asse und | |
Morsleben bezahlen muss, obwohl nur die Betreiber davon profitiert haben. | |
Sie hoffen also, dass die Union jetzt Nein sagt, aber nach der Wahl | |
zustimmt? | |
Mag sein, dass der CDU ein Fonds lieber ist als eine Steuer. Aber die | |
Atomkonzerne werden, so oder so, zahlen müssen. | |
Ein ähnliches Problem werden Sie mit anderen SPD-Wahlversprechen bekommen, | |
etwa der Börsenumsatzsteuer und dem generellen Mindestlohn. Mit wem wollen | |
Sie das nach dem 27. September umsetzen? | |
Für die Börsenumsatzsteuer spricht, dass jene, die die Schäden verursacht | |
haben, sich jetzt bitte auch an der Refinanzierung beteiligen sollen. Hans | |
Eichel und Peer Steinbrück haben mehrfach versucht, Finanzmarktregeln zu | |
verschärfen - und sind gescheitert, weil es hieß, das komme aus der | |
sozialistischen Mottenkiste. | |
Die Börsenumsatzsteuer hat die SPD 2007 noch abgelehnt. | |
Ja, aber die SPD hat mehr Regeln für den Finanzmarkt gefordert. Das ging | |
früher nicht, jetzt geht es. Dies ist keine Konjunkturkrise, dies ist eine | |
Systemkrise. Das Modell, immer schneller mit immer billigerem Geld zu | |
spekulieren, ist kaputt. Das sind gute Zeiten für sozialdemokratische | |
Vorschläge. Das ist es, womit die Union zunehmend ein Problem hat. | |
Glauben Sie ernsthaft, die SPD könnte Mindestlohn und Börsenumsatzsteuer | |
mit Westerwelle realisieren? | |
Wenn Guido Westerwelle bis Ende 2009 die FDP nicht in eine Regierung | |
geführt hat, ist er am Dreikönigstag 2010 nicht mehr FDP-Chef. Wir | |
beteiligen uns aber nicht an Koalitionsspekulationen, wir vertreten | |
sozialdemokratische Politik. | |
Sie müssen doch eine realistische Machtoption haben. | |
Haben wir doch. Wir wollen Rot-Grün, und wenn es dafür nicht reicht, eine | |
Ampel. Oder die große Koalition wird fortgesetzt. Rot-Rot-Grün ist | |
ausgeschlossen. Mit der Linkspartei, die gegen den Lissabon-Vertrag ist, | |
für Neonationalismus steht und für Gewerkschaftsrechte in Deutschland ist, | |
aber nicht in Kuba, kann man auf Bundesebene keine gemeinsame Politik | |
machen. | |
Das gilt für 2009? | |
Und auch 2013. Wenn die Linkspartei sich nicht ändert, wird es keine | |
gemeinsamen politischen Mehrheiten geben. | |
Und wird die Linkspartei sich so verändern, wie Sie es wollen? | |
Das weiß ich nicht. Man muss ihr jedenfalls die Chance geben, in der | |
Bundesrepublik endgültig anzukommen. Sie dauerhaft auszugrenzen ist nicht | |
klug. In Berlin sieht man, dass es anders geht. | |
In Hessen hat man gesehen, dass es nicht geht. | |
Nein, dort hat es nicht geklappt, weil die SPD vorher eine Zusammenarbeit | |
mit der Linkspartei ausgeschlossen hatte. Und die Tolerierung war auch der | |
falsche Weg. Wenn, dann müssen verbindliche Koalitionen her. | |
Aber grundsätzlich ist Rot-Rot im Westen möglich? | |
Ja klar. Wir koalieren in Berlin mit alten SED-Mitgliedern, aber im | |
Saarland soll das mit alten SPD-Mitgliedern nicht möglich sein? Das können | |
wir doch niemandem erklären. | |
13 Mar 2009 | |
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