# taz.de -- Der Kampf der Athleten gegen Doping: Ein Leben für den Sport | |
> Lance Armstrong erstmals wieder in Europa. Er sagt: "Ich bin sauber." | |
> Doch wer soll ihm vertrauen? Athleten kämpfen um ihre Glaubwürdigkeit - | |
> und opfern dabei ihre Persönlichkeitsrechte. | |
Bild: "Ich bin sauber": Lance Armstrong in Rancho Bernardo bei der Tour of Cali… | |
"Ich bin sauber." Klar. Was soll er sonst in die Welt hinaustwittern? | |
Wahrscheinlich ist es Lance Armstrong egal, ob man ihm glaubt. Denn im | |
Januar ist er in Australien in die Saison gestartet - und wurde bejubelt. | |
Die Tour of California ein paar Wochen danach geriet zu einer vorgezogenen | |
Ehrenrundfahrt für die Comeback-Saison des siebenfachen | |
Tour-de-France-Siegers. Lance Armstrong, von dem sechs positive | |
Dopingproben aus dem Jahr 1999 bekannt sind, ist wieder da. Heute startet | |
er zum ersten Mal in Europa, seit er wieder Rennen fährt: beim ersten | |
großen Rennen des Jahres, dem italienischen Frühjahrsklassiker Mailand-San | |
Remo. Er wird nicht gewinnen. Das Rennen ist ein Event für Sprinter. | |
Dennoch wird er im Mittelpunkt stehen. Und niemand wird sich wirklich dafür | |
interessieren, ob er sauber ist. Er ist dabei. Der Radsport, der einen | |
Skandal nach dem anderen produzierte, ist wieder eine Show. Dank Armstrong. | |
Für Sabine Spitz, die bei den Olympischen Spielen in Peking Gold im | |
Mountainbiking gewonnen hat, beginnt die Saison so richtig erst in vier | |
Wochen mit dem ersten Weltcuprennen. Derzeit bringt sie sich in Zypern in | |
Form. Auch sie ist Profi im Radsport. Doch mit den Straßenfahrern will sie | |
nichts zu tun haben. "Auch im Mountainbike-Sport hat es schon Dopingfälle | |
gegeben", sagt sie. "Aber alle, die nach einer Sperre in die Szene | |
zurückgekehrt sind, waren danach bei den anderen geächtet." Im | |
Straßenradsport ist das anders. Die Olympiasiegerin will etwas beweisen. | |
Nach ihrem Triumph in Peking hat sie gesagt, dass sie am liebsten zum | |
Edding gegriffen hätte und mit einem Plakat auf das Spiegerpodest gestiegen | |
wäre. "Spitzenleistungen sind auch ohne Doping möglich", hätte sie darauf | |
geschrieben. | |
Sabine Spitz weiß, dass man einer Spitzensportlerin nicht einfach glaubt, | |
wenn sie sagt, dass sie nicht dopt. Das Vertrauen in den Sport ist lange | |
schon weg. Deshalb unterwirft sie sich der Kontrolle durch die | |
Anti-Doping-Agenturen und die Verbände. Die Welt-Anti-Doping-Agentur | |
unterhält eine Datenbank, in der die Sportlerinnen und Sportler für jedes | |
Quartal im Voraus ihre Aufenthaltsorte eingeben müssen. Seit diesem Jahr | |
müssen die Topathleten zudem für jeden Tag eine Stunde angeben, zu der sie | |
für eine Dopingkontrolle zur Verfügung stehen. "Wo ist das Problem?", fragt | |
Sabine Spitz. Wenn sich etwas im Terminkalender ändere, reiche eine SMS - | |
und die Änderung wird in die Datenbank eingegeben. Für die, denen auch das | |
noch zu umständlich ist, hat Spitz einen speziellen Vorschlag. "Man kann ja | |
auch an ein GPS-System zur Ortung der Sportler denken", sagt sie. Das | |
erinnert an den Vorschlag des schwedischen Leichtathletikstars Carolina | |
Klüft, die sich für die Implantation eines Chips in die Athletenkörper | |
ausgesprochen hat, auf dass die Sportler immer auffindbar seien. | |
Nicht alle Sportler denken so. "Du musst dein ganzes Leben offenlegen, das | |
kann doch nicht sein", sagt Manuel Fumic. Auch er ist Moutainbiker. Zweimal | |
war er bei Olympischen Spielen für Deutschland am Start. Er empfindet das | |
Meldesystem im Anti-Doping-Kampf als empfindlichen Eingriff in seine | |
Privatsphäre. Auch Fumic gibt seine Aufenthaltsorte in die Wada-Datenbank | |
ein. "Wenn ich mich nicht darauf einlasse, dann darf ich meinen Sport nicht | |
ausüben", sagt er. Denn würde er sich der Meldepflicht entziehen, würde er | |
wie ein Dopingsünder behandelt - und zwei Jahre gesperrt. | |
Manuel Fumic will mit seinem Bruder Lado, mit dem er den Rennstall "Fumic | |
Brothers International" unterhält, gegen das Meldewesen klagen. Die Fumics | |
sagen, sie hätten schlechte Erfahrungen gemacht mit der Datenweitergabe im | |
Wada-System. "Es wurden auch schon Daten missbraucht. Die sind bei | |
irgendwem gelandet und später an der Hotelbar aufgetaucht. Da ging es um | |
persönliche Daten: Geburtstag, Wohnort, was und wo getestet wurde", erzählt | |
Manuel Fumic. Ein gläserner Athlet will er nicht sein. Er möchte als | |
Sportler Privatmann bleiben können. | |
Längst beschäftigen sich die obersten Datenschützer der Europäischen Union | |
mit den Meldepflichtregelungen der Welt-Anti-Doping-Agentur. Die | |
Artikel-29-Gruppe, das unabhängige Beratungsgremium der Europäischen Union | |
in Datenschutzfragen, hat etliche Bedenken gegen die üppige Datensammlung. | |
Peter Schaar, Bundesbeauftragter für Datenschutz, lange auch Vorsitzender | |
der Artikel-29-Gruppe, hat vor zwei Wochen für Entsetzen bei den | |
Dopingjägern gesorgt. In einem Interview sagte er: "Ich frage mich schon, | |
ob der Umfang der Speicherung die Menschenwürde der Sportler wahrt." Er hat | |
dabei nur gesagt, was die EU-Datenschützer in einem ersten Zwischenbericht | |
zu den Wada-Datensammlungen festgestellt haben. In der Tat werden auch | |
Angaben zum Gesundheitszustand der Athleten gespeichert. Schaar hat einen | |
derartigen Sturm der Entrüstung mit seinen Aussagen losgetreten, dass er | |
sich derzeit nicht mehr zu dem Thema äußern will. | |
Die Nationale Anti-Doping-Agentur sowie der im Deutschen Olympischen | |
Sportbund (DOSB) organisierte Sport haben Angst, dass das mühsam errichtete | |
Kontrollsystem von den Datenschützern zertrümmert wird. Thomas Bach, | |
Präsident des DOSB, meldet sich immer dann laut zu Wort, wenn er den | |
Verdacht hat, der Staat wolle sich in die autonome Sportwelt einmischen. | |
"Die Sportler bewegen sich nicht in einem staatlichen System, dem sie sich | |
nicht entziehen können, sondern freiwillig im System des Leistungssports", | |
sagte er in einer Erwiderung auf Peter Schaar. Aber genau das ist für den | |
Datenschützer ein Problem. Schaar versteht nicht, "warum man das | |
Kontrollwesen dem Sport überlässt und auf gesetzliche Regelungen fast | |
gänzlich verzichtet". | |
Die Fumic-Brüder horchen an dieser Stelle auf. Manuel Fumic, Achter bei den | |
Olympischen Spielen von Athen, kann nur lachen, wenn er hört, ein Sportler | |
unterwerfe sich freiwillig dem Sportsystem. "Wenn ich nicht mitmache, | |
fliege ich raus. Das kann doch nicht sein", sagt er. In der Monopolstellung | |
der Sportverbände sieht auch Lars Figura ein Problem. Der ehemalige | |
Kader-Leichtathlet und Spezialist über die 400-Meter-Strecke hat vor kurzem | |
seine juristische Dissertation mit dem Titel "Doping - Zwischen | |
Freiheitsrecht und notwendigem Verbot" vorgelegt. Er steht für ein strenges | |
Kontrollregime und beklagt die fehlende juristische Aufarbeitung, die auch | |
bei den größten Dopingskandalen meist ausbleibt. "Der Sport hat die | |
wesentliche Voraussetzung verloren, damit ich an die eigene Chance glauben | |
kann", sagt er. Figura hat deshalb 2002 seine Karriere beendet. | |
"Bei uns hat es noch keinen Dopingfall gegeben", sagt Alexander Grimm. Er | |
ist Wildwasserkanut und hat in Peking die Goldmedaille gewonnen. Er glaubt | |
noch an den fairen Wettbewerb in seiner Disziplin. Auch Grimm gibt seine | |
Aufenthaltsdaten vorschriftsmäßig in die Wada-Datenbank ein. "Das muss ich | |
ja", sagt er. Der Olympiasieger studiert Maschinenbau in Augsburg. Er wird | |
regelmäßig kontrolliert. "Damit muss man leben", sagt er. "Ständig" stünden | |
Kontrolleure vor der Tür. Er kann akzeptieren, dass des Öfteren in seinen | |
Alltag eingegriffen wird. So könne immer wieder nachgewiesen werden, wovon | |
Grimm fest überzeugt ist: "Wir sind ein sauberer Verband." | |
Auch die neue Ein-Stunden-Regel, die seit Jahresbeginn gilt, macht Grimm | |
keine Probleme. Er muss wie alle Topathleten für jeden Tag eine Stunde | |
benennen, in der er für eine Dopingkontrolle zur Verfügung steht. Zwischen | |
sechs und sieben Uhr morgens, wenn er eh zu Hause sei, stehe er für die | |
Feldjäger des Sportsystems zur Verfügung. Sabine Spitz macht es ähnlich. | |
Schlimm finden das beide nicht. Dafür hat sich zu Jahresbeginn Michael | |
Ballack, Kapitän der Fußballnationalmannschaft, zu Wort gemeldet. "Es wird | |
massiv ins Privatleben eingegriffen", meckerte er. Kanuten, Leichtathleten | |
oder Schwimmer winken da nur ab. Sie geben seit Jahren ihre Aufenthaltsorte | |
an. Deutschlands beste Fußballer müssen das erst seit Jahresbeginn machen. | |
Die Kicker hinken im Anti-Doping-Kampf traditionell hinterher. | |
Vorreiter dagegen wollen ausgerechnet etliche Straßenradsportler sein. Es | |
sind vor allem die überführten Dopingsünder, die sich als gläserne Athleten | |
präsentieren. Ivan Basso, Sieger des Giro dItalia 2006, bevor er wegen der | |
Verwicklung in die große spanische Blutdopingaffäre gesperrt wurde, stellt | |
nach verbüßter Strafe seine Blutwerte ebenso ins Internet wie der ehemalige | |
Testosteron-Doper aus dem untergegangenen T-Mobile-Rennstall, Patrik | |
Sinkewitz. Für Sabine Spitz macht sie das nicht glaubwürdiger. "Da bräuchte | |
es dann schon einen DNA-Abgleich, um die Echtheit der Daten zu beweisen", | |
sagt sie. | |
Lance Armstrong interessiert das nicht. Der 37-Jährige hatte zunächst | |
angekündigt, ein persönliches Antidopingprogramm zu organisieren. Als er | |
merkte, dass er das nicht braucht, um die Massen zu begeistern, ruderte er | |
zurück. Einmal hat er seine Blutwerte im Netz veröffentlicht. Ob sie echt | |
sind? Egal. Die Vertrauensfrage hat der Straßenrennsport längst verloren. | |
Daneben gibt es immer noch Disziplinen, in denen ein ehrlicher Kampf um die | |
Glaubwürdigkeit der Leistungen geführt wird. Die Sportler, die ihn führen, | |
sind bereit, viel zu opfern - auch ihre Persönlichkeitsrechte. | |
20 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
## TAGS | |
Radsport | |
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