# taz.de -- krisenzeit: Proteste vor dem Hütten-Tor | |
> Der Mittal-Konzern will weltweit Kosten sparen - auch in Bremen. Die | |
> Bremer Belegschaft protestiert schon einmal vorsorglich - konkrete | |
> Ansagen der Konzernzentrale in Rotterdam gibt es bisher nicht | |
Bild: Dicke Luft überm Stahlwerk - die Euphorie des Vorjahrs ist verflogen | |
Gegen 9.30 Uhr begann der Fahrer, die Limousinen wieder vor den Eingang des | |
neuen Verwaltungsgebäudes der Bremer Arcelor-Stahlhütte zu fahren. Die rund | |
800 Demonstranten hatten den Parkplatz freigegeben und waren an die Arbeit | |
gegangen. Bald die gesamte Frühschicht war zu der Protestversammlung | |
gekommen, zu der der Betriebsrat mobilisiert hatte. | |
Der Anlass: Im Bremer Werk von Arcelor-Mittal tagte am Donnerstag der | |
Aufsichtsrat. Nur eine Routinesitzung, so eine Sprecherin. Aber Routine | |
gibt es nicht in der aktuellen Lage, die sogar für den führenden | |
Weltkonzern auf dem Stahl-Markt bedrohlich ist. Der Aufsichtsrat ließ sich | |
über die Lage informieren - niemand, auch der Vorstand, weiß derzeit, | |
welche Entscheidung die Konzern-Spitze über den Bremer Standort trifft. | |
Die Betriebsleitung hatte im Dezember angekündigt, sie wolle rund 900 | |
Beschäftigte loswerden. Etwa 450 sollen in Altersteilzeit gehen, darüber | |
herrscht mit dem Betriebsrat Einvernehmen. Zusätzlich sollen rund 400 | |
MitarbeiterInnen in Fremdfirmen ausgegliedert werden. Das ist für den | |
Betriebsrat "bar jeder Vernunft". Betroffen wären die Bereiche Verpackung, | |
Verladung und Versand sowie der komplette Werksverkehr inklusive | |
Instandhaltung. Das ist aber nur ein Angebot aus Bremen an die Rotterdamer | |
Zentrale. | |
Dort gibt es Überlegungen, "Shared Service Center" zu bilden, zum Beispiel | |
eines in Polen, wo beispielsweise die Rechnungsprüfung der Stahlwerke in | |
Deutschland, Tschechien und Polen gebündelt werden könnte. Konkretes dazu | |
weiß man in Bremen aber auch nicht. | |
Wenn ein Global-Player wie Mittal die Bauern in seinem Stahl-Imperium | |
verschiebt, sind immer Zahlen mit neun oder mehr Nullen im Spiel. Nach der | |
Übernahme von Arcelor hatte der Mittal-Konzern die Stahlpreise um ein | |
Viertel in die Höhe getrieben, vor einem Jahr erwartete man für 2008 einen | |
Konzernumsatz von 7,5 und Gewinne von 2,2 Milliarden Euro. | |
Diese euphorische Zeit scheint unendlich lange her. Vier Milliarden Dollar | |
wolle er in den nächsten fünf Jahren einsparen, hatte Finanzchef Aditya | |
Mittal schon vergangenen September mitgeteilt - allein 600 Millionen bei | |
den Löhnen, 800 Millionen bei den Energiekosten. Auch das dürfte heute | |
überholt sein. Der Stahl-Riese richtet sich auf eine jahrelange | |
Durststrecke ein, überlegt, welche Flüssigphasen der Stahlproduktion | |
vorübergehend stillgelegt werden könnten. Das Unternehmen beschäftigte über | |
320.000 Menschen in mehr als 60 Ländern - bevor die Stahlpreise einbrachen. | |
"Die Nachfrage nach Stahl bleibt leider weiterhin gering", erklärte der | |
Bremer Hütten-Vorstand Antoine van Schooten im Februar die Lage. Der | |
wichtigste Kunde ist die Automobilindustrie - aber "viele Automobilwerke | |
stehen aktuell still". Die Nicht-Automobilkunden hätten hohe Stahl-Bestände | |
auf Lager. Im Dezember 2008 waren die Kapazitäten des Bremer Stahlwerkes | |
mit 86.000 Tonnen kaum zu einem Viertel ausgelastet. | |
Immer wieder appellierte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende | |
Markus Bendig gestern früh vor der Tür der Vorstandsetage an die "Vernunft" | |
des Konzerns. Auch und gerade unter betriebswirtschaftlichen | |
Gesichtspunkten könne die Ausgliederung nicht im Sinne des Unternehmens | |
sein, erklärte er. Als der Aufsichtsrat der Stahlhütte nach fünfstündiger | |
Beratung auseinander ging, war nichts beschlossen, nichts entschieden. Auch | |
Bremer Aufsichtsräte sind drei Nummern zu klein, um irgendetwas im Imperium | |
Mittal-Arcelor entscheiden zu können. | |
26 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
## TAGS | |
Stahlwerk | |
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