# taz.de -- "Rachels Hochzeit": Ein gestörtes Verhältnis | |
> In seinem Film "Rachels Hochzeit" porträtiert Jonathan Demme eine labile | |
> Frau im Clinch mit Familie und Freunden. Aus einem konventionellen | |
> Drehbuch macht der US-Regisseur einen exzellenten Film. | |
Bild: Kym (Anne Hathaway) bringt alles außer Kontrolle - besonders die Hochzei… | |
Kym (Anne Hathaway), eine erwachsene Frau, wird abgeholt von ihren Eltern. | |
Die Alkoholikerin war auf Entzug in einer Klinik. Es ist, als komme sie nur | |
auf Bewährung frei. Kaum im Haus der Eltern angekommen, muss sie sich bei | |
der lokalen AA-Gruppe melden. Raus kommt sie, um mit Freunden, Bekannten | |
und Verwandten, die meisten von ihnen Teil der besseren Gesellschaft | |
Neuenglands, die Hochzeit ihrer Schwester Rachel (Rosemarie DeWitt) zu | |
feiern. Das Verhältnis zwischen den beiden ist, gelinde gesagt, gestört. | |
Und problematisch sind die Beziehungen fast aller Beteiligten zueinander, | |
von Eltern, Geschwistern und Kindern, und von Paaren, Freunden, Exfreunden. | |
Von Leichen im Keller - einer ganz speziellen vor allem - und den trotz | |
aller Anstrengungen des Vergessens schnell wieder präsenten Gespenstern der | |
Vergangenheit erzählt Jonathan Demmes Film nach dem Drehbuch von Jenny | |
Lumet. Eng ist der Zeitrahmen, den er sich dafür steckt: die | |
Hochzeitsvorbereitungen, das Fest selbst, die schalen Stunden danach. | |
Kym ist die Figur, die, für sich und alle anderen unkontrollierbar, alles | |
außer Kontrolle bringt und alle Mühen ums feine Ausbalancieren der | |
widerstreitenden Kräfte der Hochzeitsgesellschaft konterkariert. Vom ersten | |
Moment an zeigt sie sich störrisch. Sie strapaziert die Geduld, sie nimmt | |
auf nichts und niemanden Rücksicht, am wenigsten auf sich selbst. Mit dem | |
Trauzeugen des Ehemanns, auch ein Exalkoholiker, hat sie spontan Sex im | |
Keller - ein AA-Treffen der unkonventionellen Art. Ihrer Schwester drängt | |
sie sich mit fiesen Psychotricks als Trauzeugin auf. Die versammelte | |
Festgesellschaft fürchtet ihre Glückwunschrede bei Tisch. Sehr zu Recht. | |
Kym ist maßlos narzisstisch, will alle, tief verletzt, wieder verletzen, | |
und verletzt so immer weiter sich selbst. Umgekehrt kommen die Neurosen und | |
Unsicherheiten der anderen in der Konfrontation mit ihr oft geradezu | |
eruptiv ans Licht. Mit Entsetzen müssen sie ansehen, wie groß ihre eigene | |
Lust ist, auch Kym zu verletzen. Kleine, große, leise, laute, offene, | |
versteckte Konfrontationen beobachtet der Film. Es ist, als wäre er auf | |
Lackmuspapier gefilmt. | |
Jonathan Demme gelingt es, eine Form zu finden für das Hin und Her von | |
Kontrollbegehren und Kontrollverlust, das das Geschehen auf der | |
Handlungsebene bestimmt. Live-Musik, die auf der Party gespielt wird, von | |
Robyn Hitchcock zum Beispiel, ist dafür wichtig. Minutenlang lässt Demme | |
sie gelegentlich laufen. Er verzichtet auf im vorhinein festgelegte | |
Bildkompositionen, schickt Handkameras ins Gemenge, lässt das Filmbild mit | |
Videomaterial wechseln, glättet wenig im Schnitt und gibt einzelnen Szenen | |
viel Zeit auch für Ziellosigkeit. Das ist mehr als nur | |
Oberflächenbearbeitung, was auch für Anne Hathaways Darstellung gilt: Sie | |
entwirft mit tonloser Stimme und zerfahrenen Gesten einen unruhigen Körper | |
und Geist, taumelt, ohne zu übertreiben, zwischen Aggressivität, Fragilität | |
und Selbstmitleid. | |
Bewusst hat Demme die Szenen vor dem Dreh so gut wie gar nicht geprobt. Der | |
Film nähert sich dem Dokumentarischen an, aber eher in dem Sinn, dass jeder | |
Spielfilm auch eine Dokumentation der Rollen-Performances seiner Darsteller | |
ist. Was er so in den Blick bekommt, ist das Prozesshafte, das | |
versuchsweise Finden, das Umschlagen von Tönen. Echt an dieser Methode ist | |
gerade das Forcierte. | |
Demme entlässt so nicht zuletzt das Drehbuch Jenny Lumets in die Freiheit. | |
Es stecken brillante Ideen und Dialoge und Momente darin, als komischer | |
Höhepunkt etwa ein Spülmaschineneinräumwettbewerb. Dennoch ist das Buch in | |
seinen Beziehungskonstruktionen nicht viel mehr als exzellent gemachtes | |
US-Independent-Kino jener konventionellen Art, in der Konflikte entworfen, | |
durchgearbeitet und zuletzt einer Versöhnung zugeführt werden. Jonathan | |
Demme fügt dem in der Machart seines Films Entscheidendes hinzu: Offenheit, | |
auch durch Zermürbung. Indem er zu lang draufhält, indem er Stimmungen | |
auffächert, Atmosphären moduliert und den Zuschauern kaum je eindeutige | |
Mitgefühl-Angebote unterbreitet. Der Film zerfleddert das Buch, blickt so | |
lange auf die darin vorgegebenen klaren Linien, bis die falsche Klarheit | |
vor den Augen zu verschwimmen beginnt. | |
31 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
## TAGS | |
Film | |
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