# taz.de -- Was Open Access bedeutet: Ein Segen für die Wissenschaft | |
> Wenn über Google Books, Open Access und Urheberrechte diskutiert wird, | |
> wird oft in einen Topf geworfen, was nicht zusammen gehört. Warum Open | |
> Access ein Segen für die Wissenschaft ist. | |
Bild: Open Access bedeutet nicht, dass Belletristik-Texte umsonst im Netz abzug… | |
"Heimliche technokratische Machtergreifung", "Open Enteignung", mit starken | |
Worten wird seit einigen Wochen über das Publizieren in elektronischen | |
Zeiten gestritten. Dies gipfelte im Heidelberger Appell ‚Für | |
Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte’, gezeichnet von | |
illustren Unterstützern. All diesen Äußerungen ist gemein, dass das | |
Unbehagen am Vorgehen von Google beim Digitalisieren von Büchern, vermischt | |
und durcheinander gebracht wird mit Existenzfragen belletristischer Autoren | |
und der Entwicklung von Open Access in der Wissenschaft. | |
Was ist das eigentlich ‚Open Access’? Zuerst einmal ein Kanal der | |
wissenschaftlichen Kommunikation, der längst das Experimentierstadium | |
hinter sich gelassen hat, akzeptierter Teil des wissenschaftlichen | |
Veröffentlichungswesens ist und sich weltweit schnell und dynamisch auch | |
mit Unterstützung der Verlagswelt weiter entwickelt. Entstanden in den | |
Naturwissenschaften, in denen der wissenschaftliche Austausch seit 200 | |
Jahren auf Artikeln in Zeitschriften basiert, hat die Praxis des offenen | |
Zugangs inzwischen mehr oder minder stark alle Wissenschaftsfelder | |
erreicht. | |
Die Liste der Unterzeichner der ‚Berliner Erklärung über offenen Zugang zu | |
wissenschaftlichem Wissen’ von 2003, liest sich wie ein Who’s who | |
mindestens der europäischen Forschungslandschaft. Breite Aufmerksamkeit | |
haben jüngst einschlägige Selbstverpflichtungen von Harvard und des | |
Massachusetts Institute of Technology (MIT) erregt. | |
Es geht um offenen Zugang zu qualitätsgesichertem wissenschaftlichem Wissen | |
für Leser, Wissenschaftler, Steuerzahler, das strukturiert und dauerhaft | |
bereitgestellt wird. Es geht nicht um ‚kostenlos’ oder um Belletristik, es | |
geht nicht darum irgendwelche Texte, irgendwo ins Netz zu stellen. | |
Die Publikation ist elementares Mittel der wissenschaftlichen | |
Kommunikation, ohne Publikation existiert keine Wissenschaft, die | |
Publikation gewährleistet die Sichtbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse, auf | |
Publikationen bauen neue Erkenntisse auf. Wissenschaftliche Autoren | |
verdienen, bis auf wenige Ausnahmen, nicht an ihren Artikeln. Die Artikel | |
dienen in erster Linie ihrem wissenschaftlichen Fortkommen, an diesen | |
werden die Autoren gemessen. | |
Dieses Publikationswesen basierte in der Vergangenheit auf dem | |
eingespielten Zusammenspiel von Wissenschaftlern, meist mittelständischen | |
Verlagen und Bibliotheken, das in dieser Form immer weniger existiert. Auf | |
der einen Seite hat das Internet auch das wissenschaftliche Publizieren | |
verändert und wird es weiter verändern. Nicht nur, dass die Mehrzahl der | |
Zeitschriften nun elektronisch erscheinen und in erster Linie elektronisch | |
genutzt werden und die vor 10 Jahren prophezeiten Mehrwertmöglichkeiten des | |
Internet nun langsam Alltag werden, auch die Verlagswelt hat sich | |
gewandelt. | |
Im Bereich STM (Science, Technology, Medicine) hat es dramatische | |
Konzentrationsprozesse gegeben, die Mehrzahl der Zeitschriften wird von | |
einer Handvoll Verlagskonzernen, die teils an der Börse gehandelt werden, | |
herausgegeben. | |
Faktisch ist es heute so, dass ein wissenschaftlicher Autor öffentlich | |
angestellt ist und für seine Arbeit eine öffentlich finanzierte | |
Infrastruktur, wie etwa Labore nutzt. Dieser Autor trägt ohne Vergütung zur | |
Qualitätssicherung des Publikationswesens bei, indem er seine Rolle in der | |
sogenannten ‚Peer Review’ (Begutachtung und Qualitätssicherung) wahrnimmt. | |
Bei der Veröffentlichung des Artikels in einer Zeitschrift werden in vielen | |
Fällen Gebühren fällig, etwa für Farbabbildungen. Der wissenschaftliche | |
Autor bekommt dagegen in der Regel kein Honorar. | |
In den meisten Fällen unterzeichnet er einen Vertrag, in dem er sämtliche | |
Verwertungsrechte an den Verlag abgibt. Er bleibt zwar Urheber, das kann | |
ihm niemand nehmen, alle Verwertungsrechte liegen aber beim Verlag. Die | |
Bibliothek der Institution des Autors soll dann die Zeitschrift natürlich | |
vorhalten, bei jährlichen Preissteigerungen zwischen acht und zehn Prozent | |
ist dies oft nicht mehr möglich. Der Artikel ist dann zwar veröffentlicht, | |
kann aber von immer weniger Kollegen gelesen werden. Der Sinn des | |
wissenschaftlichen Publizierens wird letztlich in Frage gestellt, denn | |
wissenschaftliche Erkenntnis lebt vom Austausch. | |
Zwei Lösungsansätze haben sich vor diesem Hintergrund entwickelt, um Open | |
Access, den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen zu gewährleisten, | |
in beiden Fällen ist der Autor frei in seiner Entscheidung, wo er | |
publiziert. Beim ‚grünen Weg’ erscheint der Artikel in einer Zeitschrift | |
mit einem herkömmlichen Geschäftsmodell, der Zugang ist erst einmal nur für | |
jene möglich, die Zugang zu einer Subskription haben. Aber, etwa 70 Prozent | |
aller wissenschaftlichen Verlagen erlauben unter bestimmten Bedingungen | |
eine offen zugängliche Zweitpublikation, das heißt der Artikel wird | |
inhaltlich identisch in einer Datenbank der Institution des Autors (einem | |
institutionellen Repositorium) zweitpubliziert. Gängige Bedingungen sind | |
das Verbot das Original-PDF zu verwenden oder das Einhalten einer | |
Wartefrist von sechs Monaten. Natürlich wird von dieser Zweitpublikation | |
auf das Original verwiesen, zitiert wird das Original. Darin liegt | |
letztlich wohl auch der Grund, dass so viele Verlage dies erlauben. Diese | |
offen zugänglichen Artikel sind Werbung für die Zeitschrift, in der sie | |
erscheinen, und stärken deren Stand im Wettbewerb wissenschaftlicher | |
Zeitschriften. | |
Beim anderen Lösungsansatz, dem ‚goldenen Weg’, haben wissenschaftliche | |
Gesellschaften, die in vielen Fällen als Herausgeber fungieren und Verlage | |
begonnen ihre Zeitschriften mit einem anderen Geschäftsmodell zu | |
publizieren, eben als Open Access-Zeitschrift. Hier fallen die Kosten beim | |
Einreichen des Artikels an, im Ergebnis sind alle enthaltenen Artikel schon | |
bei der Originalpublikation für alle Welt offen zugänglich. Ansonsten | |
unterscheiden sich diese Zeitschriften durch nichts von anderen. Dieses | |
neue Geschäftsmodell erfreut sich grosser Beliebtheit und die Zahl der | |
entsprechenden Zeitschriften steigt stetig, darunter eine ganze Reihe von | |
Titeln mit hohem wissenschaftlichem Renommee. Die Verlagswirtschaft hat | |
längst reagiert und bietet Modelle zum „Freikauf“ einzelner Artikel an. | |
Springer Science + Business Media hat gar erst kürzlich den grossen Open | |
Access-Verlag Biomed Central erworben. | |
Ein Modell für Zeitschriften ja, aber das wissenschaftliche Buch? Auch hier | |
gibt es genügend Beispiele von Verlagen, die mit der Kombination von | |
Verkaufserlös durch Print und gleichzeitigem freiem Zugang in | |
elektronischer Form experimentieren und damit gute Erfahrungen machen. Die | |
offen zugängliche Version wirkt da offensichtlich eher als Werbung für den | |
Verkauf der Printausgaben. | |
In Bezug auf ein neues Urheberrecht muss der Blick der Wissenschaftler und | |
Autoren sich zuerst auf die Verwertungsrechte richten. Was nützt dem | |
Einzelnen der Status des Urhebers, wenn er, wie momentan in der | |
Wissenschaft noch Standard, sämtliche Nutzungsrechte an den Verlag | |
abgegeben hat? Die Frage für die Zukunft stellt sich eher so: welche | |
Möglichkeiten hat der Urheber sich zumindest einfache Nutzungsrechte zu | |
sichern? Ein wissenschaftsfreundlich überarbeitetes Urheberrecht muss an | |
dieser Stelle zukünftig Antworten geben. | |
31 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Roland Bertelmann | |
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