# taz.de -- Ikea-Ausstellung: Wohnst du noch? | |
> Die Neue Sammlung München präsentiert mit "Democratic Design" eine große | |
> Ikea-Möbelschau. Sie verbindet Sozialutopien mit der Ästhetik des | |
> schwedischen Einrichtungshauses. | |
Bild: Ikea-Möbel aus den vergangenen 60 Jahren sind Thema der Ausstellung "Dem… | |
Ikea im Museum? Und auch noch in der weltweit bedeutendsten Sammlung für | |
Industrial Design? Aber selbstverständlich. Und nicht erst seit der | |
Eröffnung der Ausstellung „Democratic Design“ findet Ikea in der Neuen | |
Sammlung München statt. | |
Das renommierte Haus sammelt bereits seit den Achtzigerjahren Artikel aus | |
dem Sortiment des schwedischen Möbelhauses. Die Neue Sammlung ist ein Kind | |
des Deutschen Werkbunds, der 1907 von Künstlern, Kunsthandwerkern, | |
Architekten, Werkstätten und Industriellen gegründeten Vereinigung zur | |
Verbesserung des Lebens mittels gut geformter Dinge. Ikea wiederum steht in | |
der Tradition ähnlicher skandinavischer Reformbewegungen. „Schönheit für | |
alle“ und „Schönheit im Heim“ forderte die schwedische Frauenrechtlerin … | |
Reformpädagogin Ellen Key einst. | |
Designgeschichte handelt von sozialen Utopien. Bereits während der | |
Weltwirtschaftskrise 1930 hatte sich die Neue Sammlung dem Thema „Billig | |
Wohnen“ gewidmet. Jetzt, mitten in einer neuen Finanzkrise, präsentiert das | |
Museum eine kleine Revue erfolgreichen Massendesigns. „Democratic Design“ | |
ist zwar ein Slogan von Ikea of Sweden, aber Florian Hufnagel, Leiter der | |
Neuen Sammlung, findet den Begriff „demokratisches Design“ passend für | |
seine Ausstellung, denn das Phänomen Ikea sei ohne das soziale Modell des | |
schwedischen Wohlfahrtsstaats gar nicht zu verstehen. | |
Der Kunsthistoriker ist schon in seiner Studentenzeit von Brettern und | |
Ziegeln auf „Billy“-Regale umgestiegen. Die Ikea-Ausstellung stelle sich | |
gegen den aktuellen „Trend“ der Design-Art und der One-Off-Pieces und ihren | |
Verrat an den Idealen des Designs, das Leben vieler auf nützliche Weise | |
schöner zu machen, sagt Hufnagel. | |
Die Ikea-Ausstellung wirbt nicht, sie reproduziert nicht, und sie hebt die | |
Billys, Öglas und Pöangs nicht auf den Sockel. Vielmehr stellt sie die | |
Dinge in den Zusammenhang, ordnet sie in die ständige Sammlung ein, jeweils | |
auf Ikea-Paketen exponiert, die nach der Ausstellung wieder ins | |
Hochregallager zurückwandern. Die Low-Budget-Installation hat System, denn | |
Zerlegbarkeit, Transportfähigkeit, die Aufforderung an den Kunden, | |
Transport und Montage selbst zu übernehmen, sind Grundlagen preiswerten | |
Designs und begründeten den Erfolg des Unternehmens, das bis heute seinen | |
Sitz in Älmhult/Südschweden hat. | |
Fernab von Metropolen, in einer Landschaft, die von Birkenwäldern und | |
Mooren geprägt ist. 1943 gründete der damals siebzehnjährige Ingvar Kamprad | |
einen Gemischtwarenladen namens Ikea: IK die Initialen des | |
Jungunternehmers, EA die des väterlichen Bauernhofs Elmtaryd in der | |
Ortschaft Agunnaryd. Zwei Jahre später bot der Laden seinen bäuerlichen | |
Kunden einen Lieferservice. Ab 1948 gab es auch Möbel lokaler Hersteller im | |
Sortiment. Ein Stuhl mit gedrechselten Beinen eröffnet so das Defilee der | |
Ikea-Basics auf der großen Fächertreppe der Pinakothek der Moderne hinunter | |
zu dem wandfüllenden Setzkasten großer Design-Ikonen. Ein Witz? Nein, | |
Entwicklungsgeschichte. | |
Da stakst das erste echte Ikea-Produkt, der Nierentisch „Lövet“ aus dem | |
Jahr 1956, auf dünnen, schwarzen Beinchen besseren Zeiten entgegen. Auch | |
die an Christo-artige Verpackung musste noch optimiert werden. Für den | |
Dreibeinstuhl namens „Grill“, einen ergonomisch verbesserten Kuhschemel mit | |
schuhlöffelähnlicher Rückenlehne, zeichnete bereits ein Designer | |
verantwortlich: Bengt Ruda. Von 1958 an, als Ikea sein erstes | |
Einrichtungshaus in Älmhult eröffnete, wurden auch die Namen der Entwerfer | |
publik gemacht. Lange bevor Design zum Kult wurde. Bengt Ruda war | |
Ikea-Designer der ersten Stunde. Für seine zunehmend geradlinigen Entwürfe | |
fand er Anregungen in Dänemark. Rudas hochbeiniges Sideboard „Manhattan“ | |
(1960) positioniert die Neue Sammlung absichtsvoll neben Jacob Kjaers | |
Kopenhagener Barschrank von 1940. | |
Tradition, Inspiration, Plagiat? Die neue Sammlung wäre kein Museum, wenn | |
sie nicht das Herkommen der Dinge pointiert zur Diskussion stellen könnte. | |
Wenn Gillis Lundgrens Bücherregal Billy (90 cm breit, Eichenfurnier schwarz | |
gebeizt, Baujahr 1974) neben Bruno Pauls Bücherschrank T550 aus dem | |
Typenmöbelprogramm der Vereinigten Werkstätten 1908 positioniert wird, geht | |
es ums Prinzip. Wenn der ferrarirote PS-Schrank von Nicholai Wiig Hansen | |
aus dem Jahr 1998, der schon Museumsinventar ist, zusammen mit einem von | |
der Firma Haneu in Solingen serienmäßig produzierten Werksspind präsentiert | |
wird, reicht das als Hinweis auf die Grundlagen von massenverkäuflichem | |
Design: Es entsteht nicht am weißen Tisch, sondern in den Fabrikhallen | |
spezialisierter Unternehmen. Der Entwerfer dreht das Stück, gibt ihm eine | |
neue Farbe und eine andere Funktion. Die ersten Stahlrohrmöbel hatten ihren | |
ideellen, materiellen und technischen Ursprung ja auch in einer | |
Fahrradfabrik. | |
Anschauungsunterricht in Sachen Inspiration gibt eine Stuhlgruppe mit | |
perforierten Rückenlehnen: Eine erlauchte Ahnengalerie mit Josef Hoffmann, | |
Hans Coray, Roland Rainer, Rodney Kinsman, Antonio Citterio und eben auch | |
Nicholai Wiig Hansen. Auch da geht es nicht um Nobilitierung, sondern um | |
den Stoff, aus dem Ideen geboren werden. | |
Die Geschichte des Designs gehört dazu, genauso wie die des Handwerks. Ob | |
ein Freischwinger von Alvar Aalto oder schwedische Standuhren des 18. | |
Jahrhunderts, jedes Vorbild ist Ikea recht. Hauptsache, man kann es in | |
Einzelteile zerlegen, in hohen Stückzahlen produzieren, flach verpacken und | |
zur Abholung und Selbstmontage bereitstellen. Vor diesem Hintergrund lohnt | |
es sich, die ständige Ausstellung der Neuen Sammlung ganz zu durchstreifen | |
und nicht nur an den Paketplattformen hängen zu bleiben. Die | |
Thonet-Abteilung erzählt mehr über „demokratisches“ Design und seine | |
Produktionsbedingungen als die exemplarisch hinzugesellten „Öglas“, die | |
anfangs in Thonet-Fabriken entstanden. | |
Auch was kindgerechte Möbel und ressourcenschonende Produkte angeht, lohnt | |
sich ein Blick in Nischen und Winkel des Museums. Wer dort den ersten | |
Freischwinger von Marcel Breuer entdeckt, der so konstruiert war, dass | |
seine Einzelteile von jedem hätten zusammengeschraubt werden können, und | |
dessen Eisengarngewebe von der Rolle geschnitten werden sollte, der wird | |
sich fragen, warum die gute, praktische, ergonomische Form nicht früher | |
preiswert und allgemein wurde. | |
Es brauchte eine neue Gesellschaft, die bereit war, zu basteln und zu | |
schrauben. Eine studentische Bewegung mit Idealen (vom skandinavischen | |
Modell). Dem informativen Anspruch der unprätentiösen Ausstellung | |
entsprechend gibt es keinen Katalog, sondern eine Zeitung im XXL-Format aus | |
dem Büro Mirko Borsche. Für drei Euro bringt sie das Ausstellungskonzept | |
auf den Punkt, schwarz auf weiß, ohne Werbung. | |
„Democratic Design – Ikea“. Bis zum 12. Juli 2009 in der Neuen Sammlung | |
München, Pinakothek der Moderne | |
15 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Ira Mazzoni | |
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Wohnungsbau | |
Ikea | |
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