| # taz.de -- Klaus Werner-Lobo über Kapitalismus: "Die Elite missbraucht das Sy… | |
| > Der taz-Kongress ist eröffnet: Teilnehmer, Clown und Kapitalismuskritiker | |
| > Klaus Werner-Lobo sagt: Ökologisch und sozial shoppen reicht nicht mehr. | |
| > Wir brauchen eine solidarische Ökonomie. | |
| Bild: „Der Einfluss der Konsumenten ist im Vergleich zu den politischen Elite… | |
| taz: Herr Werner-Lobo, für den Spiegel gehören Sie zu den zehn wichtigsten | |
| Menschen, die die Antiglobalisierungsbewegung mit repräsentieren. | |
| Schmeichelt Ihnen das? | |
| Klaus Werner-Lobo: Das ist ja völlig übertrieben, wenn ich in eine Reihe | |
| mit Noam Chomsky, Naomi Klein und Michael Moore gestellt werde. Mein Buch | |
| war erfolgreich, ja. Aber vor allem bin ich nicht glücklich mit dem Begriff | |
| Globalisierungsgegner. | |
| Kein gutes Label? | |
| Erstens will ich mehr Globalisierung. Wir leben in einer globalisierten | |
| Welt, das ist eine Tatsache, da kann man dagegen sein oder dafür, das ist | |
| völlig belanglos. Ich will eine Globalisierung von Menschenrechten, von | |
| Sozialrechten, von Umweltschutz, überhaupt von Demokratie, von | |
| Rechtsstaatlichkeit. | |
| Ist das nicht etwas, worin wir uns alle einig sind? | |
| Nein. Die Profiteure der neoliberalen Globalisierung verhindern dies mit | |
| allen Mitteln. Die Globalisierung, die wir erleben, ist kein Naturereignis, | |
| sondern eine von Regierungen und Konzernen vorangetriebene Globalisierung | |
| des Kapitalismus. | |
| Viele Länder haben von der Globalisierung profitiert, die asiatischen | |
| Tigerstaaten beispielsweise, oder? | |
| Das kann man nicht so sagen. Die soziale Ungleichheit ist in den meisten | |
| dieser Länder ebenfalls gestiegen. Die meisten dieser Länder sind, gemessen | |
| an ihren Ressourcen, extrem reich, aber die Profite haben die Eliten | |
| eingefahren. | |
| Investoren wandern weiter, wenn sie in einem Land Restriktionen unterworfen | |
| werden. | |
| Das ist genau das, was ja passiert. Konzerne drohen, in ein anderes Land zu | |
| gehen, bekommen sie keine guten Bedingungen. China wollte vor zwei Jahren | |
| die Sozialstandards erhöhen, die ohnehin kaum existierenden | |
| Gewerkschaftsrechte verbessern, worauf Konzernverbände gesagt haben, wenn | |
| ihr das tut, dann siedeln wir ab in die Nachbarländer. | |
| Liegt das nicht eigentlich in der Verantwortung der Konsumenten in den | |
| westlichen Industrieländern? | |
| Nein, denn das käme einer Privatisierung von Verantwortung und der Absage | |
| an politische Gestaltungsmacht gleich. Verantwortung steigt mit dem | |
| Einfluss, und der Einfluss der Konsumenten ist im Vergleich zu den | |
| ökonomischen und politischen Eliten extrem gering. | |
| Wie trostlos! | |
| Ich wills nicht kleinreden, und ich bin selbstverständlich auch dafür, dass | |
| man so ökologisch, so regional, so sozialverträglich, so fairtrade wie | |
| möglich einkauft, aber wenn wir das pragmatisch betrachten, hat das relativ | |
| wenig Potenzial. Eigentlich geht es um den Systemfehler. | |
| Der wie beschaffen ist? | |
| Dass das derzeitige Wirtschaftssystem fast nur den Reichen nutzt. Da nützt | |
| es wenig, wenn ich jetzt meinen Kaffee oder mein T-Shirt aus fairer | |
| Produktion kaufe. Ich glaube, das Potenzial ökologischen und fairen Handels | |
| liegt eher darin, dass man sagt, dass das überhaupt das oberste | |
| Wirtschaftsprinzip sein sollte. | |
| Das heißt? | |
| Man müsste den profitgesteurten Kapitalismus durch ein Fairtradeprinzip, | |
| durch solidarische Ökonomie ersetzen. | |
| Das mag plausibel sein - aber das schafft doch keiner. | |
| Das dachte man auch im Mittelalter, zu Zeiten von Feudalismus, Diktatur und | |
| Sklaverei. Es war immer eine gut informierte und gut organisierte | |
| Minderheit, die etwas zum Besseren verändert hat. Also wenn wir sagen | |
| würden, wir können eh nichts ändern, dann gäbe es heute keine Demokratie, | |
| keine Gewerkschaftsrechte, keine Frauenrechte, keinen Umweltschutz, keine | |
| Schwulenrechte. | |
| Kampf nützt? | |
| Natürlich, und es fängt immer mit wenigen an, übrigens auch jetzt | |
| erfolgreich. Was die Welthandelsorganisation WTO in den letzten Jahren an | |
| Wahnsinnigkeiten geplant hat, davon ist ja das meiste verhindert worden. | |
| Denken wir an das multilaterale Investitionsabkommen, das es Konzernen | |
| ermöglicht hätte, einzelne Länder anzuklagen, wenn die höhere Sozial- und | |
| Umwelweltstandards einführen - das wurde gekippt. | |
| Durch wen? | |
| Von größtenteils 18- bis 25-Jährigen, die in Organisationen wie Attac oder | |
| in Gewerkschaften aktiv sind und sich und andere informiert haben. | |
| Wie macht man denn aus dieser Minderheit mal eine Mehrheit? | |
| Optimistisch würde ich sagen, dass die Möglichkeiten gewachsen sind, auch | |
| durch das Internet. Das Wichtigste ist Bildung. Wobei man sehen muss, dass | |
| die kapitalistischen Eliten auch die Bildungssysteme für ihre Zwecke | |
| missbrauchen und privatisieren wollen. Gerade in der Krise bräuchten wir | |
| riesige Konjunkturprogramme für Bildung, wie Barack Obama sie vorschlägt, | |
| aber unsere Regierungen wollen da offenbar nicht recht investieren. | |
| Warum fallen die Proteste gegen die Finanzkrise so schwächlich aus? | |
| Ein Grund könnte sein, dass die Leute das Gefühl haben, keinen klaren Feind | |
| und kein klares Ziel zu haben, weil uns die Banken und die | |
| Rentenprivatisierung de facto fast alle zu kleinen Finanzspekulanten | |
| gemacht haben. | |
| Oder geht es vielen Menschen noch zu gut, als dass sie protestierten? | |
| Ich bin mir da nicht sicher. Es gibt das Potenzial einer grundsätzlichen | |
| Systemkritik in der Bevölkerung, aber ich glaube, die Leute haben das | |
| Gefühl, dass sie ja irgendwie selbst schuld sind an der ganzen Misere. In | |
| den letzten 30 Jahren ist es der herrschenden Elite gelungen, den Leuten | |
| das Gefühl zu geben, dass alle eigentlich im gleichen Boot säßen. Ignoriert | |
| wird nur, dass wenige an dieser Finanzkrise wahnsinnig verdient haben. | |
| Können wir heute überhaupt noch mit gutem Gewissen konsumieren? | |
| Es geht nicht darum, ob wir ein gutes Gewissen haben - es geht darum, dass | |
| wir rational denken. Wir müssen uns gemeinsam an einer Neugestaltung von | |
| Demokratie und Gesellschaft beteiligen, und das lösen wir nicht, indem wir | |
| Gewissensforschung betreiben. | |
| Wie denn? | |
| Indem wir überlegen, was im System falsch ist, wenn wir als Gesellschaft | |
| die Fluglinien hoch subventionieren und die Umwelt- und die sozialen Kosten | |
| externalisieren. Und dann muss ich die politisch Verantwortlichen dafür zur | |
| Verantwortung ziehen. Und nicht den kleinen Mann, die kleine Frau, jene, | |
| die womöglich Hartz-IV-Empfänger sind und sich endlich mal leisten können, | |
| für 29 Euro nach Mallorca zu fliegen. | |
| Gelegentlich schlüpfen Sie in ein Clownskostüm. Warum machen Sie das? | |
| Humor hat sehr viel subversives Potenzial, er ist das beste Mittel gegen | |
| die Angst vor den Mächtigen. Schon im Mittelalter war der Narr der Einzige, | |
| der den König kritisieren durfte. | |
| Wie verstehen Sie denn als Clown Wahrheit in der Gegenwart? | |
| Der Clown ist das Sinnbild der Imperfektion, des Scheiterns, und das ist | |
| zutiefst menschlich. Diese Menschlichkeit gilt es der Scheinperfektion der | |
| großen Ideologien, der Marken und Shoppingcenter entgegenzustellen. Der | |
| Clown ist die Anti-Gewalt. | |
| 18 Apr 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| J. Feddersen | |
| J. M. Ihl | |
| ## TAGS | |
| Rechtspopulismus | |
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