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# taz.de -- Das Sterben der Kaufhäuser: Nur noch die Kopie von Malls
> Einst machten sie den Kunden vom Bittsteller zum Konsumenten. Die Nazis
> wetterten gegen den "jüdisch-orientalischen" Basar. Die Postmoderne
> schaufelte ihnen das Grab.
Bild: Die Parfümabteilungen im Erdgeschoss sind meist die letzte Bastion des e…
BERLIN taz | Es gab Zeiten, da war das Warenhaus eine Verheißung. Als
Kaufleute wie Abraham Wertheim, Rudolph Karstadt oder Hermann Tietz Ende
des 19. Jahrhunderts die ersten Läden dieses neuen Typs eröffneten, machten
sie den Kunden vom Bittsteller zum Konsumenten. Zuvor war der Erwerb von
Waren nur in Spezialgeschäften möglich, wo streng dreinblickende Verkäufer
sich und ihre Waren hinter einer unüberwindlichen Theke verschanzten. Wer
das Geschäft betrat, war zum Kauf oft schon verpflichtet.
Im Warenhaus dagegen konnte jeder kommen und gehen, die Produkte
vergleichen und sogar anfassen, es gab festgelegte Preise und kein
Feilschen. Folglich expandierte die neue Vertriebsform rasch - so rasch,
dass ihre Ausbreitung alsbald so kritisch beäugt wurde wie heute die
Expansion der Shopping-Malls.
Statt sich den neuen Zeiten anzupassen, riefen die bekittelten Diktatoren
aus den kleinen Kaufläden alsbald nach dem Staat. Dem Ruf folgte als Erster
der Freistaat Bayern, der schon 1899 eine Sondersteuer für Warenhäuser
einführte. Alle wichtigen Einzelstaaten des Deutschen Reichs schlossen sich
in den Folgejahren an. Noch die 1919 verabschiedete Weimarer
Reichsverfassung versprach dem selbstständigen Mittelstand, ihn "gegen
Überlastung und Aufsaugung zu schützen".
Neuen Schwung bekam die Propaganda gegen das Warenhaus mit dem Aufstieg der
Nationalsozialisten. Sie agitierten gegen den "Weltfeind Warenhaus" und den
"jüdisch-orientalischen Basar". Hermann Göring erklärte Anfang 1930 im
Berliner Sportpalast: "In leeren Geschäften stirbt ein verarmter
Mittelstand, aber in den Hauptstraßen schießen die Trutzburgen des
Kapitals, die Warenhäuser, hoch."
Nach der Machtübertragung auf Hitler sahen die Warenhausgegner ihre
Hoffnungen jedoch enttäuscht. Unter den Bedingungen der heraufziehenden
Kriegswirtschaft mochten die Nationalsozialisten auf die moderne und
effiziente Betriebsform keineswegs verzichten. Ungeachtet der Enteignung
ihrer meist jüdischen Besitzer wurden die Betriebe weitergeführt.
Die große Zeit der Warenhäuser begann jedoch in den Fünfzigerjahren. An der
Stelle der meist kriegszerstörten Innenstädte entstanden Einkaufsstraßen.
Karstadt und Kaufhof, Hertie und Horten wurden zu Symbolen des
Wirtschaftswunders. Zugleich verkörperten sie den Mythos von der
nivellierten Mittelstandsgesellschaft. Hier konnte jeder alles kaufen,
unter einem Dach und aus einer Hand.
Entsprechend zwangsläufig war der Niedergang der Kaufhausketten, als sich
die bundesdeutsche Gesellschaft im Zeichen der Postmoderne in eine Vielzahl
von Milieus aufzulösen begann. Die Vielfalt der Lebensstile war nicht mehr
unter das Dach eines gemeinsamen Warenhauses zu zwingen.
Den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen entsprachen die Shopping-Malls
viel besser. Sie boten ein vergleichbares Maß an Bequemlichkeit, wurden mit
ihrer Vielzahl von einzelnen Ketten den differenzierten Bedürfnissen aber
viel besser gerecht. Den Kaufhäusern blieben nur zwei Wege. Entweder sie
passten sich an und wurden mit einer Vielzahl von Markenshops zu einer
Kopie der Malls. Oder sie beharrten auf ihrem Konzept - mit der Folge, dass
sich in ödem Neonlicht gelangweilte Verkäufer die Beine in den Bauch
standen. So ist der Niedergang der Kaufhäuser, jener Monumente der
klassischen Moderne, wohl unvermeidlich. RALPH BOLLMANN
21 Apr 2009
## AUTOREN
Ralph Bollmann
## TAGS
Hamburg
Kaufhaus
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