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# taz.de -- KZ-Außenlager Lieberose in Brandenburg: Aufklärung eines Massenmo…
> Archäologen helfen dabei, einen Massenmord vom Februar 1945 aufzuklären.
> In brandenburgischen Jamlitz werden die Überreste von 753 Juden des
> Lagers Lieberose vermutet.
Bild: Rabiner der jüdischen Organisation Athra Kadischa sind nach Jamlitz geko…
Neben einem ausgefahrenen und sandigen Weg fegt eine Frau den Hof vor ihrem
Bungalow. Irgendwo dudelt Radiomusik vom Grundstück eines kleinen
Wochenendhäuschens. Nebenan unterhalten sich zwei Mitarbeiter eines
Malermeisterbetriebes. Ein unbekümmerter Tag in der Neuen Siedlung im
brandenburgischen Jamlitz, 120 Kilometer südöstlich von Berlin. Die Ruhe
trügt.
Dieser Flecken war einst ein Ort des Schreckens: Unter einem eingezäunten
Grundstück befindet sich wahrscheinlich seit 64 Jahren ein Massengrab. Die
Gebeine ermordeter Juden des vormaligen KZ-Außenlagers Lieberose sollen in
der Erde des rund 5.000 Quadratmeter großen Areals liegen. Archäologen des
Brandenburgischen Landesamtes suchen derzeit nach den Überresten von 753
Juden. Es geht um die Opfer eines Massenmordes im Februar 1945, der sich
damals hier ereignete. Fast alle Häuser der Neuen Siedlung im kleinen Ort
Jamlitz wurden auf dem Gelände des Außenlagers errichtet.
"Die Details der Mordaktion haben mich nicht schlafen lassen, so grausam
waren die Schilderungen in den Akten", erzählt Günter Morsch, Direktor der
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. "Die insgesamt 1.342 Opfer sind im
Lager ermordet worden." Von ihnen wurden 753 innerhalb des KZs verscharrt.
Im Zuge der jetzigen Grabung gehe es um die historische Aufarbeitung der
Geschehnisse in Jamlitz, zugleich um eine Tatortsicherung, erklärt Morsch.
Denn die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beabsichtigt,
Ermittlungen aufzunehmen. Sie schließt nicht aus, dass einige Täter der SS
von damals noch leben könnten. Der Oberstaatsanwalt Eugen Larren teilte
kürzlich mit: "In Jamlitz waren zwischen 120 und 130 SS-Männer im Alter von
damals ca. 20 Jahren stationiert." Man müsse "neuen und unerledigten
Ermittlungsansätzen konsequent nachgehen". Das hieße möglicherweise, dass
die Gebeine der Toten obduziert werden müssten. Die Identität der
Ermordeten ist unbekannt, Listen der damals Inhaftierten existieren nicht
mehr. Um Obduktionen vorzunehmen, "können wir grundsätzlich Leichen und
Gebeine bergen", sagt Detlef Hommes von der Staatsanwaltschaft Cottbus.
Aber das würde die Totenruhe der Juden stören - ein Gräuel für die jüdische
Glaubensgemeinschaft.
Unter allen Umständen will das der Zentralrat der Juden vermeiden. Deshalb
existiert bereits seit Herbst 2008 eine Arbeitsgruppe unter Federführung
des brandenburgischen Innenministeriums. Dort haben sich der Zentralrat der
Juden, das Amt Lieberose/Oberspreewald, die Stiftung Brandenburgische
Gedenkstätten, das Wissenschaftsministerium und das Amt für Denkmalpflege
darauf verständigt, die Opfer im Massengrab zu belassen.
Auf dem Grundstück wird eine Gedenkstätte entstehen. "Das Blut, das an
diesem Ort vergossen wurde, hat eine Heiligkeit. Daher wird diese Stätte
ein Ort des Gedenkens", sagt Peter Fischer von Zentralrat der Juden der
taz.
Was geschah im KZ-Außenlager? Am 2. Februar 1945 rückten die russischen
Truppen immer näher an Berlin heran. Die Kommandanten des KZ Sachsenhausen
hatten bereits die Lagerführer in Lieberose aufgefordert, das Außenlager
aufzulösen und die Gefangenen auf einen "Todesmarsch" nach Sachsenhausen zu
schicken. Die kranken, marschunfähigen Lagerinsassen sollten getötet
werden. In zwei Mordaktionen erschoss die SS die ausgemergelten Juden
vornehmlich aus Ungarn und Polen. Es wurden 753 Häftlinge mit
Maschinengewehren in der Nähe des Lagerschonungsblocks über Stunden
erschossen. Am Morgen des 3. Februars begannen schließlich SS-Leute mit dem
zweiten Teil des Mordens: Sie exekutierten 598 Insassen mit gezielten
Genickschüssen. Im Jahr 1969 berichtet Karl Schneider, Angehöriger des
SS-Wachbataillons in Jamlitz, vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth, wie ein
SS-Kamerad auf ihn zukam und sagte: "Komm. Wir gehen zum Judenerschießen,
dafür kriegen wir Schnaps." Zwei Tage dauerten die Hinrichtungen. Einer der
überlebenden Lagerinsassen berichtete, wie "Häftlinge sich kriechend auf
etwa sechs uniformierte SS-Leute" zubewegten und "nacheinander erschossen
wurden".
Später verscharrte die SS die Toten in einer Kiesgrube bei Staakow, einige
Kilometer östlich von Jamlitz. Das Massengrab wurde 1971 zufällig bei
Bauarbeiten gefunden. Die rund 753 Toten der ersten Mordaktion fand man
jedoch bisher nicht. Alle Indizien sprechen nun dafür, dass die Gebeine auf
dem Grundstück der Neuen Siedlung 11 liegen. "1961 gab es bereits intensive
Untersuchungen von der Stasi. Um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen hat
man die Untersuchungen eingestellt. So lautet eine Hypothese. Es gibt auch
den Verdacht, dass möglicherweise damals SED-Genossen in die Tat verwickelt
gewesen sein könnten", berichtet Günter Morsch. Wenngleich in der BRD und
DDR Untersuchungsverfahren zu den Morden in Lieberose eingeleitet worden
seien, endeten sie oft ohne Erfolg oder mit geringen Haftstrafen für die
beschuldigten SS-Leute.
Erst nach dem Mauerfall sei eine umfassende Aufarbeitung des Geschehens im
KZ Lieberose möglich gewesen. "Es gab insgesamt 20 Verdachtsflächen, die
alle untersucht wurden. Von Anfang deutete sich allerdings an, dass es
dieses Grundstück sein musste", erklärt Günter Morsch.
Grabungen waren dort allerdings nicht möglich, denn bis Ende 2008 wehrte
sich der Eigentümer Hans-Jürgen H. vehement dagegen - zunächst mit Erfolg,
denn das Oberlandesgericht Brandenburg gab ihm Recht. Erst das
Verhandlungsgeschick des Amtsdirektors Bernd Boschan brachte den
Alteigentümer schließlich dazu, das Grundstück an das Amt
Lieberose/Oberspreewald abzutreten. Warum sich H. all die Jahre dagegen
gewehrt hatte, bleibt unklar.
Aber ausgerechnet diese gerichtliche Auseinandersetzung hat der Suche nach
den Gebeinen der 753 ermordeten Juden eine internationale Dimension
verliehen. Die ungarische Presse berichtete vor rund zwei Jahren
ausführlich über das widerborstige Verhalten von Hans-Jürgen H. in Jamlitz.
Schließlich ging es um das Auffinden hunderter ungarischer Juden. Sogar die
ungarische Botschaft in Berlin zeigte Interesse. Sie wandte sich
schriftlich an die Staatskanzlei des Landes Brandenburg, ob es nicht
möglich sei, dass die Regierungszentrale dem Amt Lieberose finanziell
helfen könne, um Hans-Jürgen H. das Grundstück abzukaufen. Der Bitte sei
die Staatskanzlei aber nicht nachgekommen, hieß es. "Wenn klar sein sollte,
dass es sich bei den gefundenen Toten um ungarische Staatsbürger handelt,
dann könnte man prüfen, was zu tun ist", teilte die ungarische Botschaft
mit. Drängen wollte man aber nicht.
In Jamlitz selbst haben sich die Einwohner mit dem historischen Erbe ihres
Ortes auseinandergesetzt. Seit 2003 existiert am Ort eine Gedenkstätte, die
auf Initiative der dortigen Kirchengemeinde errichtet wurde.
Und doch fällt es denjenigen Jamlitzern schwer über das Massengrab
Nachbarschaft zu reden, die es demnächst von ihren eingezäunten Vorgärten
aus sehen können. Bernd Boschan begründet das vor allem mit dem "starken
Frust über die bisherige Berichterstattung". Lediglich eine Frau aus der
Neuen Siedlung, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt: "Wir
haben damit nichts zu tun. Wünschenswert wäre, wenn die Toten gefunden
würden und ein würdiges Begräbnis erhielten."
3 May 2009
## AUTOREN
Kai Schlichtermann
## TAGS
Archäologie
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