# taz.de -- Die große Ausstellung zum Mauerfall-Jubiläum: Die Helden einer Re… | |
> "Die friedliche Revolution 1989/90" lautet der Titel der zentralen | |
> Ausstellung Berlins zum 20. Jahrestag des Mauerfalls. Die Open-Air-Schau | |
> bringt den Alexanderplatz zurück in die Wendezeit. | |
Bild: Jede Menge Geschichte: Die Aussstellungswände auf dem Alexanderplatz | |
Auf dem Alexanderplatz, neben der Weltzeituhr, wird ab diesem Donnerstag | |
wieder demonstriert. Massenhaft. Auf den Transparenten und Spruchbändern | |
stehen die Losungen vom Herbst 1989: "Wir sind das Volk", "Keine Gewalt" | |
und "Demokratie jetzt". Unter den Prospekten sieht man die Protagonisten | |
jener Tage: Reich, Havemann, Bohley, Bahro, Hein, Christa Wolf gemeinsam | |
mit den eigentlichen Akteuren der Proteste in der Wendezeit - die | |
Bevölkerung der DDR. | |
Den "Revolutionären" gegenüber steht eine hilflose Staatsgewalt, | |
verunsicherte Volkspolizisten und brutal agierende Staatssicherheitsbeamte. | |
Eine echte Chance haben die kommunistischen Machthaber nicht mehr: Der | |
Reformwille und der nach einer Systemveränderung ist stärker. Am 9. | |
November 1989 drängen die Menschen nach Westen, die Mauer fällt. | |
Die vielen Transparente und fünf lange strahlenförmig ausgerichtete | |
Ausstellungswände mit Bild- und Textdokumenten über die | |
Oppositionsbewegungen in der DDR bilden den Rahmen der Ausstellung "Die | |
friedliche Revolution 1989/1990". Dass sie als Open-Air-Schau auf dem | |
Alexanderplatz konzipiert wurde, ist ebenfalls sinnfällig. Begannen doch | |
hier - und zeitgleich in Leipzig - die Demonstrationen und der öffentliche | |
Widerstand gegen das SED-Regime, nachdem bekannt wurde, dass die Ergebnisse | |
der Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 gefälscht worden waren. | |
Dass die Kuratoren der zentralen Berliner Ausstellung zum Themenjahr "20 | |
Jahre Fall der Mauer" - die Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. und die | |
Kulturprojekte Berlin GmbH - diesen historischen Ort quasi live bespielen, | |
ist eine richtige und mutige Entscheidung. Die Bilder und Fotografien der | |
dramatischen Ereignisse in der DDR von 1989 in ein Museum zu stecken käme | |
einem Navigationsfehler gleich. Wo, wenn nicht auf dem riesigen Areal des | |
Alexanderplatzes, könnten die emotionale Kraft und Visionen jener Zeit | |
besser in die Erinnerung gerufen werden? Und wo, wenn nicht hier, zeigen | |
sich auch deutlich die räumliche Überformungen der Stadtgestalt und ihrer | |
jüngsten Geschichte? Die Gefahr, dass die Exponate auf der Freifläche und | |
im unruhigen Alltag und Verkehr "untergehen", wiegt da weit weniger. | |
Tom Sello, Kurator der Schau und Mitglied der Havemann-Gesellschaft, | |
begründet die Wahl des Ausstellungsorts damit, dass am Alex - trotz | |
massiver Veränderungen - die damalige Aura, Funktion und Bedeutung spürbar | |
seien. "Diese Ausstellung setzt den freien Platz, den öffentlichen Raum | |
voraus. Zugleich sollte keine Konkurrenz zwischen Außenraum und | |
Ausstellungsgestaltung entstehen. Außerdem braucht diese | |
Ausstellungsgestaltung den Passanten. Er ist Teil des Konzepts." | |
Inhaltlich bestückt wird diese Performance aus dem authentischen Raum, der | |
Schau und den Besuchern mit "rund 700 Bildern und Dokumenten", welche die | |
"Geschichte einer erfolgreichen deutschen Revolution erzählen", so Moritz | |
van Dülmen, Chef der Kulturprojekte Berlin. Dabei erlebten die Besucher | |
keine inszenierte Geschichte vom Fall der Mauer oder die der deutschen | |
Einheit, "sondern eine Chronologie der Revolution von ihren Anfängen bis | |
zur Volkskammerwahl im März 1990", wie Sello das Konzept umreißt. | |
Was sich sehr spröde und didaktisch anhört, ist in Wirklichkeit | |
hochspannend. Es sind zum Teil unglaubliche Bilder und Textdokumente, die | |
in den drei Abschnitten "Aufbruch", "Revolution" und "Einheit" zu sehen | |
sind und die über eine bewegende Epoche Auskunft geben. Unglaublich, weil | |
das Material oft unbekannt und überraschend ist - unglaublich auch, weil | |
das Bildprogramm weniger aus Sicht der Politik und der Herrschaftsapparate | |
daherkommt als vielmehr aus einer Perspektive von unten. Damit betritt die | |
Schau neues Terrain. Wird etwa wie gerade im Martin-Gropius-Bau die Kunst | |
der letzten 60 Jahre in Deutschland wie aus dem Geschichts- und Bilderbuch | |
vorgeführt, zielt hier die Rezeption auf weitgehend unbekannte Geschichten | |
und Prozesse einer Selbstbefreiung von einem maroden System. | |
Von Punks und Plakaten | |
Von den Punks, den ersten Friedensaktivisten, Denkmalschützern in den | |
verfallenen Altstädten, illegalen Plakaten und Flugblättern sowie | |
heimlichem politischem Widerstand und offenem Protest berichtet der erste | |
Teil. Den Weg von den kleinen Aktionen hin zu den großen Demos, der | |
Forderung nach Reise- und Meinungsfreiheit und die Ausreisewelle im Sommer | |
1989 beleuchtet der zweite Teil. | |
Schließlich gelingen die politischen Veränderungen, Parteien werden | |
gegründet, der Mauerfall. Der Machtanspruch der SED ist Geschichte, die DDR | |
zerbricht. Die Bärtigen am runden Tisch lösen die Mächtigen ab. Davon | |
zeugen die Fotos, Texte und Objekte im dritten Abschnitt. | |
"Die Ausstellung soll den Berlinern ihre eigene Geschichte wiedergeben und | |
vor allem den jungen Menschen dieses wichtigste Ereignis der jüngeren | |
Geschichte nahebringen", hofft Sello. Dazu gehört auch, wie Klaus Wowereit | |
beim Presserundgang beobachtet hatte, dass die Bilder "die Strömungen für | |
einen sogenannten dritten Weg" wieder ins Gedächtnis riefen, von dem man | |
heute kaum mehr spricht. | |
Natürlich gibt es längst schon Bekanntes zu sehen: große Köpfe, große | |
Taten, Weltpolitik. Gorbatschow, Kohl und "Haifisch" Egon Krenz oder | |
Genscher auf dem Prager Botschaftsbalkon. Lichterketten. 100.000 auf dem | |
Alex, eine Million auf der Mauer und am Ende die Einheitsbilder vor dem | |
Reichstag. Hier wirkt die Ausstellung schlicht überladen und entfaltet kaum | |
eine Wirkung. Es sind - große Augenblicke hin oder her - banale Ausschnitte | |
von der Wende. | |
Dies provoziert, trotz der Höhepunkte, am Ende des Rundgangs die Frage, ob | |
die Dokumente zu zwei weltbewegenden Jahren in Deutschland nicht zugleich | |
auch nur Dekoration der Jubiläumsfeierlichkeiten sind? Wo es Altbekanntes | |
zu sehen gibt, lautet die Antwort: ja. Angesichts der neuen Zusammenhänge | |
aber lohnt sich der Besuch auf dem Alexanderplatz. | |
TOM SELLO, KURATOR DER SCHAU | |
7 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
## TAGS | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
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