Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hinrichtungen in Kolumbien: Falsche Erfolge mit echten Opfern
> Hinter den angeblichen Erfolgen des Militärs im Kampf gegen bewaffnete
> Gruppen verbergen sich oft außergerichtliche Hinrichtungen.
> Staatsanwaltschaft zählt bisher 1.666 Opfer.
Bild: Protestaktion in Bogota Anfang März 2009 gegen das Morden der kolumbiani…
PORTO ALEGRE taz | Derzeit vergeht in Kolumbien kaum ein Tag, an dem nicht
Uniformierte wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an außergerichtlichen
Hinrichtungen festgenommen werden. Am Mittwoch und Donnerstag traf es neun
Soldaten verschiedenster Dienstgrade. Sie stehen in Verdacht, insgesamt
neun junge Männer in drei Provinzen ermordet und anschließend als
Guerilleros ausgegeben zu haben. "Falsche Positive" heißt das in der
Fachsprache der Militärs, gemeint sind falsche Erfolge im Kampf gegen
bewaffnete Gruppen.
Damit erhöhte sich die Anzahl der in den letzten zwei Jahren wegen solcher
außergerichtlicher Hinrichtungen verhafteten Uniformierten auf 434. Der
jüngste Bericht des UN-Menschenrechtsbüros in Bogotá stellt klar, dass es
sich dabei nicht um vereinzelte Aktionen handelte, "sondern um eine sehr
verbreitete Praxis, die von einer bedeutenden Anzahl von Militäreinheiten
im ganzen Land ausgeübt wurde". Nach Angaben der Staatsanwaltschaft werden
derzeit über 1.000 Fälle untersucht, bei denen insgesamt 1.666 Menschen
hingerichtet wurden.
Im vergangenen Oktober waren 27 Soldaten, darunter drei Generäle, wegen
solch extralegaler Hinrichtungen entlassen worden. Oberbefehlshaber Mario
Montoya musste im November zurücktreten. Allein zwischen Januar 2007 bis
Juni 2008 wurden nach Untersuchungen von Menschenrechtsgruppen 535 Menschen
außergerichtlich hingerichtet.
Am Montag hatte Verteidigungsminister Juan Manuel Santos erstmals einen
derartigen Mord durch Soldaten eingeräumt, der nach dem Skandal im Oktober
stattfand. In der Provinz Córdoba wurde an Weihnachten ein 18-jähriger
Schüler ermordet und anschließend als Mitglied einer Drogengang ausgegeben.
Dem kolumbianische Menschenrechtsnetzwerk "Koordination
Kolumbien-Europa-USA" zufolge geht die Armee neuerdings wieder verstärkt
zur Praxis des "Verschwindenlassens" mit sorgfälter Verwischung der Spuren
über. Zu den von Menschenrechtlern in diesem Jahr bekannt gemachten
außergerichtlichen Hinrichtungen schweigt die Regierung noch.
Minister Santos wirft den Kritikern hingegen vor, den "guten Ruf" der
Streitkräfte durch "viele falsche Anschuldigungen zu beschmutzen".
Präsident Álvaro Uribe stößt ins gleiche Horn. Natürlich müssten
Menschenrechtsverletzungen untersucht und bestraft werden, sagte er am
Mittwoch. Allerdings sollten durch falsche Anschuldigungen "die Aktionen
der Sicherheitskräfte gegen die Terroristen" gelähmt werden, behauptete der
Staatschef. Soldaten und Polizisten sollten deshalb staatlichen Beistand
für ihre strafrechtliche Verteidigung erhalten.
Der Regierung kommen die Berichte ungelegen. Derzeit verhandelt sie in
Brüssel zusammen mit Ecuador und Peru über ein Freihandelsabkommen mit der
EU. Appelle von Gewerkschaftern und Solidaritätsgruppen, dabei
Verbesserungen der Menschenrechtslage in Kolumbien zur Bedingung zu machen,
bleiben weitgehend ungehört - mehr denn je gilt der rechte Uribe der EU als
verlässlicher Partner.
Immerhin sah sich die britische Regierung jetzt gezwungen, Teile ihrer
Militärhilfe an Kolumbien umzuschichten. Zwar versicherte Staatssekretär
Alan Campbell jetzt in Bogotá, seine Regierung lasse sich von der Kritik an
der Militärhilfe nicht beeindrucken. Doch im April hatte London die
Einstellung zweier Programme mit einem Jahresetat von umgerechnet 213.000
Euro verkündet. Man sei "ebenfalls besorgt" darüber, dass kolumbianische
Soldaten an "Missbräuchen" beteiligt seien, erklärte Außenminister David
Miliband dazu.
Washington prüft laut US-Botschaft ebenfalls, ob die Milliarden für das
angebliche Antidrogenprogramm "Plan Colombia" richtig verwendet würden.
Nach Israel und Ägypten ist Kolumbien drittgrößter Empfänger von
US-Militärhilfe. Bisher hat der US-Kongress mit Verweis auf die prekäre
Menschenrechtslage die Ratifizierung eines Freihandelsabkommens mit
Kolumbien verweigert.
8 May 2009
## AUTOREN
Gerhard Dilger
## TAGS
Kolumbien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumbiens Sonderjustiz für den Frieden: Die „Falsos Positivos“ klagen an
In Kolumbien steht Ex-Armeechef Mario Montoya jetzt wegen der Ermordung von
Zivilist:innen vor Gericht. Er hatte „Ströme von Blut“ gefordert.
Beweis für Militärskandal in Kolumbien: Wenn die Einschusslöcher nicht passen
Die kolumbianische Armee erklärt Mordopfer zu Guerilleros und kooperiert
mit Paramilitärs. Die USA weiß das schon lange.
Menschenrechtsverletzungen: Kolumbiens Armee mordet wieder
Eine internationale Kommission von Menschenrechtsexperten registriert einen
dramatischen Anstieg illegaler Hinrichtungen durch die Armee.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.