# taz.de -- Kulturwissenschaftlerin Giese über die Männeruniform: "Der Anzug … | |
> Der Herrenanzug steht für geschäftliche Grundtugenden. Er verkörpert die | |
> traditionelle Form der Ökonomie. Ist er jetzt auch in der Krise? | |
Bild: "Zu Guttenberg hat dabei die Rolle des Staatsmannes, der repräsentiert d… | |
taz: Wir stecken in einer Wirtschafts-, einer Finanz- und einer | |
Bankenkrise. Schlechte Zeiten für den klassischen Herrenanzug, möchte man | |
meinen. | |
Charlotte Giese: Ja und nein. Die Arbeitswelt hat sich schon vor der Krise | |
stark verändert: durch die Zunahme der freien Arbeit, und auch der | |
Projektarbeit, ist der Anzug als Ensemble flexibler geworden. Der | |
Beschäftigte unserer Zeit ist in vielen Bereichen aus seiner Bürokrinoline | |
befreit, also dem einengenden Gestell, das seinen Körper umgibt. Bereits | |
seit geraumer Zeit werden Elemente des Anzugs mit informellerer Kleidung | |
kombiniert, man kennt das Sakko zur Jeans. Auf der anderen Seite erlebt der | |
Anzug in der Krise gerade eine Art Renaissance, er wird durchaus gezielt | |
getragen, denn er steht für Erfolg. | |
Seit wann gibt es denn Anzug für den Mann eigentlich? | |
Den Anzug wie wir ihn in etwa kennen gibt es als demokratisch-bürgerlichen | |
Anzug ungefähr seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Dadurch, dass die Körper | |
nach und nach gleich aussahen, konzentrierte sich alles auf den Kopf und | |
letztlich auch die Kopfarbeit in Abgrenzung zur körperlichen. Der Anzug hat | |
sich schon früh als Angestelltenkleidung durchgesetzt. Bei den Männern. | |
Der Frauenanzug hingegen? | |
Das Business-Kostüm der Frau kam erst etwa in den 1980ern als Erfolgsmodell | |
auf. Der Hosenanzug statt der Rockvariante ist noch einmal eine klarere | |
Aussage Richtung Herrenanzug. | |
Was sagt uns so ein klassischer Herrenanzug denn? | |
Der klassische Herrenanzug, also Sakko und die Hose in gedeckten Farben mit | |
Hemd und Krawatte, wird immer mit gewissen männlich konnotierten | |
geschäftlichen Grundtugenden verbunden, beispielsweise Effizienz, Kompetenz | |
und Seriosität. Er steht eben in seiner Historie auch für die traditionelle | |
Form der Ökonomie, für die hierarchischen Strukturen und das, was man ja | |
eigentlich nicht so unbedingt haben will. Damit hat er oft einen negativen | |
Beigeschmack. Er steht für Einengung und Bevormundung, was ihm eigentlich | |
nicht gerecht wird. Wenn man sich den Anzug mal genauer anguckt, dann ist | |
es ein wunderbares Kleidungsstück, hinter dem sich viel verstecken lässt | |
und das auch viel verzeiht. | |
Und trotzdem gibt es diesen Druck, der sich in dem Wort "Anzugzwang" wieder | |
findet. Vor allem im linken Milieu möchte man sich davon befreien. | |
Deswegen verschwindet der Druck aber nicht, man macht sich nur einen | |
anderen. Das hören viele sicher gar nicht gerne, aber das ist natürlich | |
auch eine Form von sozialem Druck. Wenn ich z. B. links-alternativ | |
unterwegs bin, kann ich eigentlich keinen Anzug tragen, sonst könnte man | |
mich für neo-liberal halten. Weil mich letztlich der Gruppendruck zwingt, | |
anders auszusehen, mich leger zu kleiden. | |
Leger und Anzug trafen kürzlich zusammen: Als Wirtschaftsminister zu | |
Guttenberg den Fiat-Chef Sergio Marchionne traf. Zu Guttenberg trug seinen | |
Zweireiher, Marchionne einen Pullover. Was ist das für eine Konstellation? | |
Zu Guttenberg hat dabei die Rolle des Staatsmannes, der repräsentiert die | |
Institution, das ist okay, der muss im Anzug kommen, und Fiat kommt | |
informeller im Pullover. Das bedeutet, dass er nicht als Panzer kommt, | |
sondern sich einlässt. Ein Pullover steht immer auch z. B. für Weichheit | |
und Flexibilität. Es gab mal ein Treffen von Helmut Kohl und Michail | |
Gorbatschow im Kaukasus. Das, was mir im Gedächtnis geblieben ist, sind die | |
Strickjacken, die beide getragen haben. Sie haben, allerdings beide auf | |
derselben Ebene, miteinander informell Politik gemacht. Ich würde sagen, | |
Marchionne kommt als Macher und ist gesprächsbereit. | |
Barack Obama ist ja ein Politiker, der im Anzug extrem gut aussieht, noch | |
besser aber, wenn er das Jackett ablegt und die Ärmel hochkrempelt. Gerhard | |
Schröder machte das auch gerne. | |
Ja, wegen der Symbolik, die da lautet das Sakko ablegen, die Formalität | |
ablegen, Ärmel aufkrempeln, zupacken. Einerseits ist es, als würde eine | |
Rüstung abgelegt, an der sonst viel abprallt. Bei Veranstaltungen fangen | |
dann die Herren abends irgendwann an, die Krawatte zu lockern, abzutun. | |
Wenn man dann in Hemdsärmeln irgendwo steht, die sogar aufkrempelt, ist das | |
darüber hinaus eine Erinnerung an und Bezugnahme auf die Arbeiterschaft, | |
also an Leute, die körperlich arbeiten. Die SPD macht das gerne, | |
hemdsärmelig am Rednerpult stehen ohne Sakko, um die Nähe zur eigentlichen | |
Wählerschaft darzustellen. | |
Das mit dem Aufkrempeln ist ein männliches Phänomen. Sind Frauen da | |
benachteiligt? | |
Da hat in der Tat die Frauenkleidung nicht so eine starke Symbolik. Frauen | |
haben weichere Kleidung, die müssen nicht unbedingt eine Bluse unter dem | |
Sakko tragen, deshalb - und auch weil die Frau nicht für Kraftarbeit steht, | |
funktioniert dies symbolisch für Frauen auch nicht. | |
Ist der Anzug also Teil der Ausgrenzung? | |
Frauen haben ihn sich angeeignet, also sich selbst in das Spiel männlicher | |
Ökonomie eingebracht. Insofern steht er sogar für Teilhabe. In | |
Unternehmensdarstellungen wird aber mit der Kleidung und den | |
Geschlechterrollen gespielt. Wenn ich mir Geschäftsberichte anschaue, wird | |
das Spiel schon schnell deutlich. Das Vorstandsbild ist formell inszeniert, | |
die Männer stehen da in ihren Anzügen. Wenn es dann um die Illustration | |
dieser ganzen Zahlenkolonnen geht, wird es deutlich informeller. Plötzlich | |
tauchen dann Frauen auf, die sich kümmern und sorgen. Wenn Männer und der | |
Anzug in solchen Publikationen für Seriosität stehen und dieses Frauenbild | |
für die soft skills verantwortlich ist, findet über die subtile | |
Polarisierung des Geschlechterbildes eine andere Form der Ausgrenzung | |
statt, inszeniert über den Herrenanzug. | |
In vielen Unternehmen herrschen bestimmte Kleiderregeln. Wer legt die fest? | |
Der Angestellte wird sich meistens so kleiden, wie er glaubt, dass es von | |
ihm erwartet wird. Ich habe z. B. mit Beschäftigten bei BMW gesprochen. | |
Dort trägt man im Büro Anzug und Krawatte. Wechseln aber die gleichen | |
Angestellten zu Mini, auch eine Marke der BMW-Group, kommt man ohne | |
Krawatte, obwohl ihnen das niemand vorschreibt. Die Telekom als ehemaliges | |
Staatsunternehmen, hat z. B. eine Corporate Fashion, eine einheitliche | |
Kleidung für die Beschäftigten im Kundenkontakt. | |
Kommen wir zu James Bond. Hat er das Bild geformt, das wir vom Anzug haben? | |
Ja, ich denke schon. Und steht auch für die andere Seite des Anzugs, | |
nämlich lässig, cool und sexy zu sein. Deswegen wird der Anzug nicht | |
aussterben, sondern mindestens in Fragmenten immer überleben, weil er eben | |
für cool und erfolgreich steht. | |
INTERVIEW: NATALIE TENBERG | |
14 May 2009 | |
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Japan | |
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