# taz.de -- Älteste Menschenfigur: Die schwäbische Venus | |
> In einer schwäbischen Höhle machen Archäologen einen Sensationsfund. Ihre | |
> Venus aus Elfenbein ist weltweit die älteste Figur, die einen Menschen | |
> darstellt. | |
Bild: Die "Venus vom Hohlen Fels" ist 35.000 bis 40.000 Jahre alt. | |
Der Tübinger Archäologe Nicholas Conard hat es wieder einmal geschafft, | |
unsere Kenntnisse über die Vorgeschichte der Menschheit | |
durcheinanderzuwirbeln. Seine Forschergruppe hat die älteste figürliche | |
Darstellung eines Menschen gefunden - in der Höhle "Hohler Fels" bei | |
Schelklingen im Alb-Donau-Kreis. Am Mittwoch stellte der | |
Archäologieprofessor den Fund der Öffentlichkeit vor. Die sechs Zentimeter | |
große, aus Mammutelfenbein geschnitzte Venusfigur ist mindestens 35.000 | |
Jahr alt - vielleicht sogar 40.000 Jahre. Die Figur sei eine Sensation, | |
sagte der Archäologe. Sie werfe ein völlig neues Licht auf die Entstehung | |
der Kunst in Europa und vermutlich auf der ganzen Welt. | |
Gefunden hat die Venusfigur eine Schweizer Studentin aus Conards | |
Arbeitsgruppe und zwar schon im September 2008. Es war sehr schnell klar, | |
dass der Fund etwas ganz Besonderes ist. "Wir alle waren sprachlos", | |
beschreibt Nicholas Conard die Situation. Bis diese Woche waren alle | |
Beteiligten zum Schweigen verdonnert. Diesen Donnerstag erschien in dem | |
international renommierten Wissenschaftsmagazin [1][Nature] dann auch ein | |
umfangreicher Bericht des Tübinger Archäologen über den "Sensationsfund". | |
Ab September 2009 soll die Figur zusammen mit anderen prähistorischen | |
Funden im Stuttgarter Kunstgebäude zu sehen sein. | |
Die Figur, die aus sechs einzelnen Bruchstücken besteht, sei ausgezeichnet | |
erhalten geblieben, berichtete Conard. Es fehlten jetzt nur noch der linke | |
Arm und die linke Schulter. | |
Die Figur sei sehr detailliert geschnitzt, beschreibt der Archäologe das | |
Fundstück. Auffällig ist vor allem die extreme Betonung der Brüste und | |
Vulva. Gesicht und Beine hingegen sind stark verkleinert oder verkürzt. | |
Oben, am kaum sichtbaren Kopf befindet sich eine kleine Öse. Sie zeige, | |
dass die Venus als Anhänger am Hals getragen wurde. | |
Welchen Zweck die Figur einmal gehabt hat, könne bisher niemand sagen, so | |
Conard. Mit großer Sicherheit handele es sich jedoch um einen Ausdruck von | |
Fruchtbarkeit. | |
"Mit den Maßstäben des 21. Jahrhunderts würde man diese Figur als an der | |
Grenze zur Pornografie einordnen", schreibt der Archäologe Paul Mellars von | |
der University of Cambridge, Großbritannien, in einem begleitenden Artikel | |
in der aktuellen Ausgabe von Nature. Mellars weist auch darauf hin, dass | |
zuvor schon zahlreiche andere von Menschenhand gefertigte Figuren in dieser | |
schwäbischen Region gefunden wurden. Sie alle sind in einer Zeit | |
entstanden, in der der Homo sapiens nach Europa einwanderte (vor rund | |
40.000 Jahren) und sich gegenüber den Neandertalern durchsetzte. | |
Die Experten vermuten daher, dass die schwäbische Region mit zu der Wiege | |
gehört, von wo aus sich die figürliche Darstellung ausbreitete. Conard mag | |
sogar nicht ausschließen, dass auf der Schwäbischen Alb das erste | |
Kulturvolk der Welt gelebt hat. Auf jeden Fall, so Conard, seien von der | |
Alb wesentliche Impulse für die Entwicklung der Musik und der figürlichen | |
Darstellung ausgegangen. | |
Gänzlich ausschließen, dass die Schnitzereien von Neandertalern gefertigt | |
worden sind, können die Experten aber auch nicht. Schließlich haben Homo | |
sapiens und Homo neanderthalensis eine Zeit lang dicht nebeneinander | |
gelebt. | |
Auffällig ist auch, dass die Venus vom Hohlen Fels einer fast 10.000 Jahre | |
jüngeren Figur, der "Venus vom Willendorf", in Österreich sehr ähnlich ist. | |
Auch diese ist sehr faltig und muss als fett bezeichnet werden. Ebenso sind | |
die Geschlechtsmerkmale extrem überbetont. Diese Frauendarstellung muss | |
lange Zeit Tradition gewesen sein. | |
Die Arbeitsgruppe von Nicholas Conard sucht jetzt schon seit zwölf Jahren | |
im Hohlen Fels nach Überbleibseln unserer Vorfahren. Er hat schon | |
zahlreiche Funde gemacht, den Körper eines Wasservogels zum Beispiel, ein | |
Jahr später fand er den Kopf dazu. Demnächst beginnen neue Ausgrabungen. | |
Conard möchte natürlich gern noch das fehlende Stück von seiner Venus | |
finden. Er ist sich sicher: "Wenn es noch da ist, werden wir es finden." | |
14 May 2009 | |
## LINKS | |
[1] http://www.nature.com/ | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Löhr | |
## TAGS | |
Archäologie | |
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