# taz.de -- 54. Eurovision Song Contest in Moskau: Alle Titel in der Kurzkritik | |
> Wie jedes Jahr treten im Finale des Eurovision Song Contest 25 Länder | |
> gegeneinander an. In Moskau liegen Geige und Ballade im Trend. Eine | |
> Kurzvorstellung aller Interpreten. | |
Bild: Die deutsche Performance "Alex Swings Oscar Sings" soll wohl sexy sein, w… | |
Eine Kurzkritik in der ausgelosten Startreihenfolge: | |
Litauen. Sasha Son: Love. | |
Der ehemalige Kinderstar der südlichsten baltischen Republik trägt einen | |
Hut – und das ist nicht hübsch, den er lenkt vom eigentlich sehr schönen | |
Lied um eine Liebe, die so wichtig wie nichts im Leben sei, ab. | |
Israel. Noa & Mira Awad: There Must Be Another Way. | |
In Israel selbst war dieses Duo umstritten – vor allem, weil arabische und | |
jüdische Sänger zusammen singen. Noa ist Jüdin, Mira Awad Palästinenserin, | |
beide isralische Staatsbürgerin. Ihr Lied? Eine Friedensbotschaft, die | |
durch beider Stimmen erheblich berührt. | |
Frankreich. Patricia Kaas: Et s’il fallait le faire. | |
Die letzte große Dame des Chansons. Ohne Flitter und Glitter steht sie am | |
Mikrofon, die Bühne für sich allein – sie aber eindrucksvoll füllend. Ihre | |
Botschaft: Halte die Zeit für die Liebe an, den nur sie lohnt. | |
Schweden. Malena Ernman: La voix. | |
Eine Art Gundel Gaukeley auf blond, eine taffe operngestählte Sängerin, die | |
ätherische Töne zum dreiminütigen Musicalpowerpack vertäut. Wer Paul Potts | |
liebt, mag auch Frau Ernman. Ihr Kleid soll 37.000 Euro gekostet haben – | |
ein Viertel davon allein die Federn. | |
Kroatien. Igor Cukrov feat. Andrea: Lijepa tena. | |
Schnulze, die wie Pauschalurlaub in Split mit lappriger | |
Terrassenunterhaltung klingt. Er ist übrigens Theologiestudent – vielleicht | |
hat Gott ihm den Weg ins Finale gewiesen; mit mehr darf er nicht hoffen, | |
Gott kann ja wirklich nicht alles. | |
Portugal. Flor-de-lis: Todas as ruas do amor. | |
Ach, wie schön, dieses Liedlein einer absolute bezaubernden Sängerin. Der | |
ganze Act, alle sechs Musikerinnen, sehen wie das Gegenteil aller Casting- | |
und Püppchenshows dieser Schönheitsterrorwelt aus. | |
Island. Yohanna: It It True? | |
Ja, es ist wahr: Dieses Land sucht Trost in der Finanzkrise in einer | |
scheuen Ballade, die von einer fast überblonden Frau gesungen wird. Ja, und | |
es ist auch wahr: Sie ist schön, sie klingt gut, sie darf hoffen, dass sie | |
erstmals fuer Island den ESC-Titel holt. | |
Griechenland. Sakis Rouvas: This Is Our Night. | |
Er turnt, er tanzt, er wuchtet sich auf der Bühne ein Fließband hoch, er | |
spielt den Macker, er sieht grotesk pseudomännlich aus – und singen tut für | |
ihn ein Mann, der im Bühnenhintergrund bleibt. Grässlicher Konfektionspop – | |
da wird jedes frische Zaziki ranzig. | |
Armenien. Inga & Anush: Jan-Jan. | |
Die zwei schwerbemaltesten Augenpaare der Welt, die in einem Ethnoding | |
alles aus sich herausholen, dazu in einem wunderbaren blauen | |
Folklorekostüm. Schön, das! | |
Russland. Anastasia Prikhodko: Mamo. | |
Ministerpräsident Wladimir Putin ist angeblich bei ihren Proben nur deshalb | |
gewesen, weil er sie, nun ja, sehr mag. Das Lied hat ohrfräsenden | |
Charakter, diese Ode an die Mama, die die Sängerin immer an ihrer Seite | |
gern wüsste. Achtung, Videoeffekt: Im Hintergrund wird das Bild von Frau | |
Pikhodko eingeblendet, auf dem sie immer älter wird. | |
Aserbaidschan. AySel & Arash: Always. | |
Ein kaspischer Versuch, mit Hilfe der englischen Sprache gefällig und | |
mainstreaming zu wirken. Nicht übel, dieser Arash – kehrte eigens für | |
diesen Auftritt aus der westeuropäischen Neuheimat zurück. In Schweden und | |
Russland ein Star – und heute vielleicht der Mann, der den ESC nach Baku | |
holt. | |
Bosnien & Herzegowina. Regina: Bistra voda. | |
Stark gesungene Performance einer Band, die von Militär und Frieden und | |
Gewalt und Üblem handelt – Dinge, die nur durch die Liebe gebrochen werden. | |
Suggestiv und einnehmend. Könnte gewinnen. Warum nicht? Sarajewo lohnt die | |
Reise immer. | |
Moldawien. Nelly Ciobanu: Hora din Moldova. | |
Hysterischer Ethnofolk aus Cisinau – die Dame weiß in ihrem Trachtenkostüm | |
daran zu erinnern, dass die europäische Welt noch vor 100 Jahren eine der | |
Folkloren und Nationalerzählungen war. Ihr Lied gehört unbedingt ins Finale | |
und auf einen guten Platz. | |
Malta. Chiara: What If We? | |
Zum dritten Mal dabei, diese füllige Maltesin. 1998 wurde sie Dritte, 2005 | |
Zweite – und jetzt will sie das alles noch toppen. Routineschmalz mit hoher | |
Stimme: Es wird ihr wieder nicht gelingen, die Trophäe nach La Valetta zu | |
holen. | |
Estland. Urban Symphony: Raendajad. | |
Das erste estnischsprachige Lied seit 1998, die erste estnische | |
Finalteilnahme seit 2003 – und das mit einem eher sphärisch gesungenen und | |
mit Geigen unterfütterten Song. Ein Sound wie für eine Beautyfarm, wenn man | |
gerade unter einer Wellnessmaske liegt. | |
Dänemark. Brinck: Believe Again. | |
Ronan Keating hat das Lied geschrieben – weshalb es ein wenig nach | |
Schmusepop klingt. Der Mann, der es singt, erinnert ein wenig an den | |
Klassenschönsten, der immer die tollsten Weiber an der Seite hat und doch | |
zugleich Klassensprecher wird. Irland bedauert sehr, dass Brinck in | |
Diensten Kopenhagens ist, tröstet sich aber mit Tatsache, dass ein Ire die | |
Bühne fuer diesen Act entworfen hat. | |
Deutschland. Alex Swings Oscar Sings: Miss Kiss Kiss Bang. | |
Ein, so Spiegel-Online kenntnisarm, Song für RTL II-Kunden, in Wahrheit ein | |
eingängiges Lied, das durch den Sänger so etwas wie Las Vegas-Feeling | |
bekommt. Dita von Teese, Burlesktänzerin aus den USA, supportet die Chose | |
charmant. | |
Türkei. Hadise: Dum tek tek. | |
Istanbuler Dancefloorpop der guten Art. Hadise leidet immer noch unter | |
Heuschnupfen und droht, etwas stimmlos zu wirken. Die Show rettet sie | |
womöglich. Sie wird nicht gewinnen, aber migrantische Anrufe können sie | |
nach vorne werten. Blöde nur: Warum singt eine emanzipierte Frau, die in | |
Belgien lebt und eine Marketingspezialistin ist, von einem dienenden Dasein | |
im Harem? | |
Albanien. Kejsi Tola: Carry Me In Your Dreams. | |
Eine junge Frau aus Tirana, die noch zur Schule geht und dennoch so tut, | |
als wartete sie darauf, von einem Mädchenhändler verschifft zu werden. | |
Erschreckendes Liedlein, das sich lediglich eignet, in balkanesischen | |
Kartenspielerhöhlen im Hintergrund zu laufen. | |
Norwegen. Alexander Rybak: Fairytale. | |
Ein migrantischer (Weißrussland) Norweger, der mit Bubencharme und Geige | |
ein Folksong darbietet. Hoch favorisiert, zumal der Tanzeinlagen wegen. | |
Ukraine. Svetlana Loboda: Be Me Valentine (Anti-Crisis-Girl). | |
Maschinenpark-, Madonna-ähnlicher Pop aus Kiew. Die Dame schmettert in | |
einer Kulisse aus Industriemüll einen Song, der gegen Männergewalt wettert | |
und beteuert, dass Frauen das Recht auf Selbstbestimmung haben. Absolut im | |
Favoritinnenkreis. | |
Rumänien. Elena: The Balkan Girls. | |
Neckisch, fies, pseudofreundlich, mindercharmant – das Land gehört nicht | |
zum Balkan, aber offenbar glaubten die Texter und Komponisten, das Wort | |
Balkan trüge zur Sympathie bei. Gut für einen der letzten Plätze. | |
United Kingdom. Jade Ewen: It’s My Time. | |
Lord Andrew Lloyd Webber hat dieses Lied geschrieben – getextet wurde es | |
von der US-Promitexterin Diane Warren. Das Resultat klingt, als würde mit | |
Spatzen auf Kanonen geschossen. Die Sängerin bringt diese Webbermixtur | |
würdig und stimmlich auf allen Höhen der Zeit. | |
Finnland. Waldo’s People: Lose Control. | |
Irritierenderweise kam diese finnische Band ins Finale. Die Damen zu dünn, | |
der Mann, Waldo, flippt auf der Bühne herum – man sollte ihnen zumindest | |
wünschen, dass sie nicht Letzte werden, sonst wird es in Finnland wieder so | |
depressiv. | |
Spanien. Soraya: La noche es para mi. | |
Die Nummer ging aus einer Internetcastingshow hervor – das Land steht | |
hinter ihr, das Fernsehen hat nur Augen für sie, diese blonde junge | |
Exstewardess aus Valencia de Alcantara. Ihre Nummer wird man sommers | |
garantiert an den dortigen Stränden hören. Nett, die Nummer. | |
Tendenzen dieses 54. ESC-Jahrgangs: | |
Jede Menge Geige, fast kein Song, der nicht zum Dreiminutenmusicalstück | |
aufgerüscht wurde; außerdem: ein Drittel der Acts wird durch pyrotechnische | |
Elemente untermalt. Musikalische Tendenz: Geigengefiedel und orientalische | |
Harmonien. Auffällig außerdem die Renaissance der klassischen | |
Balladenhymne. | |
Regeln: | |
Nur sechs Menschen dürfen je Act auf der Bühne stehen. Viele Sänger werden | |
von Stimmen im Hintergrund unterstützt. Alle Sounds werden aus der Konserve | |
eingespielt; die Vokalpartien müssen allerdings live gesungen werden. | |
15 May 2009 | |
## AUTOREN | |
J. Feddersen | |
I. Lyttle | |
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