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# taz.de -- Elternhelfer im Wedding: Die Mütter vom Brunnenkiez
> Im Wedding sollen ab Juni Eltern mit Migrationshintergrund bei der
> Erziehung ihrer Kinder unterstützt werden. Die Elternhelfer werden
> derzeit ausgebildet.
Bild: Mütter helfen Müttern - und ihren Kindern
Gerade noch hatte der Neuntklässler seinen Kopf durch den Türspalt
gesteckt, jetzt schaut er irritiert zu seinem Freund. Doch der ist ratlos:
Acht glucksende Frauen stehen in dem Rondell ihrer Schule, manche tragen
ein Kopftuch, andere haben ein Wörterbuch bei sich. Allerlei exotische
Wortfetzen dringen aus den vergnügten Mündern, das französische "Quest que
cest?" folgt wie selbstverständlich dem türkischen "Merhaba", dazwischen
trumpft jemand mit Spanisch auf: "Como está?" Etwas abseits schreibt eine
blonde Frau "Spracherwerb und emotionale Entwicklung" auf das Flipchart.
In der Ernst-Reuter-Oberschule hat die neunte Schulung der
"Brunnenkiezmütter" begonnen. Zehn Frauen, allesamt Bewohnerinnern des
Weddinger Kiezes, werden hier zu mobilen Familienhelfern ausgebildet, um ab
Juni bildungsferne Eltern bei der Kindererziehung zu unterstützen. Das
Projekt, 2008 vom Quartiersmanagement Brunnenviertel-Ackerstraße ins Leben
gerufen, richtet sich vornehmlich an Familien mit Migrationshintergrund.
Den haben etwa zwei Drittel der Kiezbewohner. Unterschiedliche Kulturen,
unterschiedliche Sprachen und - unterschiedliche Chancen. Das weiß auch der
Leiter der Ernst-Reuter-Oberschule, Uwe Schürmann. Deswegen stellt er das
Rondell als Schulungsraum zur Verfügung. "Es ist eine schwierige Aufgabe
hier vor Ort. Uns war schnell klar, dass wir als Kooperationspartner des
Projekts auftreten."
Schon seit Dezember treffen sich die angehenden Brunnenkiezmütter einmal
pro Woche mit Heike Baake vom Sven-Walter-Institut und Ilknur Gümüs von der
Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH, den Trägern des Projekts. In 20
fünfstündigen Sitzungen lernen die Brunnenkiezmütter das deutsche
Schulsystem kennen, befassen sich mit gesunder Ernährung und diskutieren
richtige Mediennutzung. Auch heikle Themen wie häusliche Gewalt und
Drogenmissbrauch stehen auf dem voll gepackten Stundenplan.
Heute geht es in der Frauenrunde aber heiter zu: Zwischen eingetopften
Palmenstauden schwatzen die Frauen in allen verfügbaren Sprachen. Ob sie
einander verstehen, ist genauso egal wie das eigene Sprachniveau.
Schulungsleiterin Baake, kurzes Haar, rötlich gerahmte Brille, will zeigen,
dass Gedanken und Gefühle nur über Sprache sinnvoll ausgedrückt werden
können. Für Kinder ist Sprechfähigkeit besonders wichtig. "Nur so haben sie
eine Chance auf Bildung und Teilhabe an der Gesellschaft" sagt die
42-Jährige. Die Frauen wissen das. Deutsch ist für die wenigsten die
Muttersprache.
"Das war schon seltsam", sagt Ayline Guler, als alle wieder an den runden
Holztischen sitzen. Mit wachen Augen blickt die 40-Jährige in die Runde.
"In meiner Muttersprache Armenisch bin ich sicher. In der zweiten und
dritten Sprache, Französisch und Deutsch, kommt dann die Unsicherheit
dazu."
Anfangs fürchtete Ayline, wegen Sprachholperer ausgelacht zu werden. Dabei
spricht sie fast fehlerfrei Deutsch. So geht es auch einer Deutschen. Seit
drei Jahren ist sie mit einem Türken verheiratet, nennt sich Melek und
trägt ein schwarz-weißes Kopftuch. Ihre Kinder erzieht sie bilingual, mehr
Türkisch als Deutsch. "Sie sprechen inzwischen besser türkisch als ich.
Dagegen fühle ich mich klein", sagt die 31-Jährige. Lehrerin Baake nickt.
"Es ist ein Unterschied, ob ich in der Erst,- Zwei- oder Drittsprache
spreche", erklärt sie. "Wenn das Sprachniveau sinkt, reduziert sich auch
der emotionale Zugang." Wie zum Beweis sinken ihre Hände nach unten. Dann
teilt sie einen Text über bilinguale Erziehung aus.
Fünfzehn Minuten lang ist es ruhig. Nur der neongrüne Textmarker, mit dem
sich Melek wichtige Passagen anstreicht, kratzt manchmal durch die Stille.
Aus dem Text erfahren die Frauen, dass ein türkisches Kind deutsche Artikel
schwerer lernt als ein polnisches, weil das Türkische keine Artikel kennt.
Und dass es ganz normal ist, wenn ein bilinguales Kleinkind die Sprachen
vermischt. Aber man ihm trotzdem erklären muss, dass es verschiedene
Sprachen sind.
Die Pausenglocke läutet, draußen laufen Schüler über den Flur. Die Frauen
hören das nicht mehr. Als sie den Text zu Ende gelesen haben, bewerten sie
Mehrsprachigkeit als etwas Positives. Baake hakt kritisch nach: "Warum?" Es
ist ihre Lieblingsfrage. "Man hat so mehr Kontakte", meinen die
Brunnenkiezmütter. Ayline stützt ihren schwarzen Lockenkopf mit der Hand
ab, an ihren Fingern blitzen silberne Ringe. "Mehrsprachigkeit kann aber
auch eine Überforderung sein", gibt sie zögernd zu bedenken.
So nachdenklich sieht man die 40-Jährige selten. Viel öfter lacht sie, dann
bilden sich kleine Fältchen um ihre Augen. "Ich wollte schon immer in einem
Projekt mit Kindern arbeiten", erzählt die alleinerziehende Mutter. Drei
Kinder zieht sie groß, hatte einen 1-Euro-Job im Quartiersmanagement. Dort
wurde ihr von dem Kiezprojekt erzählt, und Ayline griff zu. "Wir haben
schon eine kleine Vorauswahl getroffen", erklärt Baake das Vorgehen. Um
sicherzugehen, dass die Brunnenkiezmütter gut in die Kiezstruktur
integriert sind. Deutschkenntnisse und Kindererfahrung wurden auch
gefordert. Abgelehnt wurde niemand. "Nach unserem Gefühl haben sich die
Richtigen beworben", sagt Ilknur Gümüs. Das Projekt wird aus dem
Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" finanziert. 54.000 Euro stehen bis
2010 zur Verfügung - wenig Geld für große Ziele. Deswegen ist der Senat
anderen Finanzierungsoptionen gegenüber aufgeschlossen. Es sei denkbar, die
Brunnenkiezmütter später im öffentlichen Sektor anzustellen, heißt es bei
Wolfgang Schulgen aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. "Aber das
ist noch nicht geklärt." Beim Neuköllner Pendant, den "Stadtteilmüttern",
hat sich dieses Modell schon durchgesetzt. Viele der 115 "Stadtteilmütter"
werden über öffentliche Beschäftigungsmaßnahmen finanziert. Alix Rehlinger
vom Diakonischen Werk Neukölln-Oberspree, einem Träger des Neuköllner
Projekts, kann noch von anderen Erfahrungen berichten. "Die Arbeit setzt
bei den Frauen viel in Bewegung", weiß sie. Für manche Mütter sei es das
erste selbst verdiente Geld, sie würden selbstbewusster. "Den
emanzipatorischen Aspekt darf man nicht unterschätzen."
Über den Weddinger Zuwachs freut sich Rehlinger. So sehr, dass sie am 5.
März, der offiziellen Geburtsstunde, in den Berliner Norden fuhr, um bei
der Pressekonferenz persönlich alles Gute zu wünschen.
19 May 2009
## AUTOREN
Alexandra Kunze
## TAGS
Zweisprachigkeit
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