# taz.de -- Neue "Rotfront"-Platte: Völker, hört den Sovietoblaster! | |
> Die Berliner Band Rotfront bläst mit "Emigrantski Raggamuffin" | |
> Monokulturen den Marsch: Russendisko-Vater Gurzhy und seine Crew machen | |
> den Soundtrack zur Globalisierungsparty. | |
Bild: "Berlin ist ein Heimatland" - finden "Rotfront". | |
Für die einen ist es der Name eines paramilitärischen Kampfverbandes. Für | |
die anderen die süßeste Versuchung, die die Sowjetunion zu bieten hatte. | |
Rotfront, das steht hierzulande für den von Ernst Thälmann geführten | |
Frontkämpferbund der KPD. Weiter im Osten, in Russland, verbindet man damit | |
allerdings eher die dort einstmals beliebteste Schokoladenmarke. | |
Ähnlich verhält es sich mit der Band, die Yuriy Gurzhy vor sechs Jahren auf | |
diesen Namen getauft hat, denn auch deren Musik löst ganz unterschiedliche | |
Assoziationen aus. Das liegt daran, dass Rotfront eine unverschämt große | |
Vielfalt an Stilen aus jeder denkbaren Himmelsrichtung in ihre jederzeit | |
partytaugliche Musik integrieren: polnische Polka und jiddischen Klezmer, | |
Rap aus dem Norden und Reggae aus dem Süden, Rock aus dem Westen und | |
Balkanpop aus dem Osten. Könnte die Postmoderne tanzen, dann würde sie wohl | |
am liebsten "Emigrantski Raggamuffin" auflegen, das Debütalbum von | |
Rotfront. | |
"Egal wie schräg", sagt Gurzhy, "wir wollten alle unsere Vorlieben | |
zusammenbringen." Denn: "Purismus ist das Böse." | |
Das beständig seine Form und Größe wechselnde Kollektiv, dem Gurzhy und der | |
Bassist Simon Wahorn vorstehen, hat bislang ungefähr 40 Mitglieder kommen | |
und gehen sehen. Die aktuelle, nun recht stabile Besetzung stammt aus | |
Ungarn und der Ukraine, aus Australien, den USA, aus Deutschland und - ganz | |
neu - aus Kanada. | |
Wenn aber der kanadische Posaunist osteuropäische Folklore spielt, bedeutet | |
das für ihn etwas anderes als für Gurzhy, der als Jude in der Ukraine damit | |
aufgewachsen ist. Denn dort lief sie im offiziellen Radioprogramm, während | |
Rockmusik im Untergrund noch ein rebellisches Potential entfaltete - in | |
Kanada dürfte es eher umgekehrt gewesen sein. | |
Diese bisweilen miteinander im Konflikt liegenden Perspektiven finden in | |
der mal euphorischen, mal sentimentalen, aber immer vorwärtsgaloppierenden | |
Musik von Rotfront friedlich zueinander. Der mannigfaltige Einwandererchor | |
erklingt in seinen vielen Muttersprachen, die verschiedenen Genres werden | |
stolz nebeneinander ausgestellt. Im gemeinsamen Feiern, so banal das | |
klingen mag, lösen sich alle Widersprüche auf. So wird die Musik, wie | |
Wahorn hofft, "endgültig zu einer internationalen Sprache". | |
Diese Hoppelmusik auf höchstem Niveau trägt oft ironische Züge, die Texte | |
spiegeln den Alltag der Bandmitglieder wider. "Ich singe einfach über mein | |
Leben hier in Berlin", sagt der in Ungarn aufgewachsene 32-jährige Wahorn. | |
Das mag auf den ersten Blick keine politische Dimension haben. "Aber das, | |
was wir machen, in dieser Stadt, mit diesen Leuten", ergänzt Gurzhy, "das | |
ist schon eine politische Aussage." Oder, staatstragender formuliert: | |
Rotfront vertonen die Völkerverständigung. | |
In gewisser Weise setzen Rotfront die Idee hinter der "Russendisko" fort. | |
Die längst legendären, mittlerweile zur Institution gewordenen Tanzabende | |
im Berliner Kaffee Burger und die dazugehörigen CD-Kompilationen | |
verantwortet der 34-jährige Gurzhy bis heute zusammen mit dem | |
Schriftsteller Wladimir Kaminer. Und so gehört es sich, dass Rotfront vom | |
30. Mai bis zum 5. Juni eine ganze Woche lang live im Kaffee Burger | |
auftreten, um ihren CD-Release zu feiern, und an jedem der sieben Abende | |
das Nebenprojekt eines Bandmitglieds porträtieren. | |
Doch auch wenn Rotfront als Hausband im Kaffee Burger begannen, eines | |
unterscheidet sie von der Russendisko: Als DJs importieren Kaminer und | |
Gurzhy Musik aus Osteuropa nach Deutschland. Das steht, wenn auch nicht | |
absichtlich, für die traditionelle Idee von Weltmusik als wohlwollendes | |
Interesse an fremden Kulturen. Rotfront dagegen adaptieren diese Musiken, | |
um daraus eine neue Sprache zu formen, in der sich, so Wahorn, "ein neues | |
Volk" ausdrückt: die aus verwirrend vielen Ethnien, Religionen und sozialen | |
Milieus gemischte Migrantengemeinde, wie sie sich in den Metropolen des | |
Westens präsentiert - nicht zuletzt in Abgrenzung von national homogenen | |
Einwanderergettos in Kreuzberg und anderswo. | |
Deren Musik ist keine Weltmusik mehr, sondern der urbane Sound aus den | |
Schaltstellen der Ersten Welt. "Unsere Musik", sagt Gurzhy, "sollte im | |
Idealfall ein Modell für eine moderne Gesellschaft werden: Irgendwann | |
spielen die Nationalitäten keine Rolle mehr." | |
Letztlich inszenieren Rotfront den Soundtrack zu einer | |
Globalisierungsparty, die nicht nur in der deutschen Hauptstadt gefeiert | |
wird. Denn längst gilt: "Berlin ist keine Stadt", wie eine der vielen | |
verschiedenen Stimmen im Rotfront-Chor singt: "Berlin ist ein Heimatland." | |
20 May 2009 | |
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