# taz.de -- Montagsinterview Marktleiter Detlef Frantz: "Als Marktmeister muss … | |
> Jeden Samstag ab 6 Uhr läuft Detlef Frantz über den Boxhagener Platz und | |
> weist die Händler ein. Das Angebot ist bunt, und auch Sex zwischen den | |
> Ständen ist schon vorgekommen. Nur die Hunde stören. | |
Bild: "Natürlich gibt es unter den Tageshändlern auch Schlitzohren", sagt Fra… | |
taz: Herr Frantz, vor Kurzem gingen die Dreharbeiten für die Verfilmung des | |
Romans "Boxhagener Platz" zu Ende. Sie sind seit vielen Jahren Marktmeister | |
auf dem "Boxi" - freuen Sie sich, dass der Platz jetzt ins Kino kommt? | |
Detlef Frantz: Ja. Wenn der Film ein Stück ursprüngliches Berlin zeigen | |
soll, auch aus heutiger Sicht, dann passt der Platz. Das hier ist richtig | |
Kiez. | |
Das Romandebüt von Torsten Schulz taucht ab ins Ostberlin des Jahres 1968, | |
der Boxhagener Platz wird schillernd und doppelbödig beschrieben. Als | |
junger Mann waren Sie oft in diesem Kiez unterwegs. Wie haben Sie den Platz | |
in Erinnerung? | |
Es war ein ziemlich runtergekommenes Wohnquartier, eine typische | |
Arbeitergegend, mit Hinterhofwohnungen und Außenklo. Billig war ja alles, | |
wie in der ganzen DDR. | |
Wie war der Markt damals? | |
Das war meines Wissens, neben dem Pankower Markt, der einzige Markt zu | |
DDR-Zeiten. Alle anderen waren eingegangen durch die Mangelwirtschaft. Der | |
Handel war ja staatlich organisiert, der kleine Einzelhändler hat auch nur | |
08/15-Ware bekommen. Damit es nicht heißt, die Hauptstadt der DDR hat | |
keinen Markt, hat die Partei der HO, der Handelsorganisation, den Auftrag | |
gegeben, die beiden Märkte zu bestücken. Aber mit Marktwirtschaft hatte das | |
nichts zu tun. | |
Wie war das Angebot? | |
Der Markt war ärmlich. Es gab noch ein paar private Betriebe, auch mal | |
einen privaten Blumenhändler, sodass man jenseits vom Frauentag und dem 1. | |
Mai nicht nur eine Nelke gekriegt hat, sondern vielleicht auch mal eine | |
andere Blume. Der Markt war klein; der Platz, der jetzt voll genutzt wird, | |
war damals höchstens zu zwanzig Prozent belegt. Man ist da mal | |
rübergegangen, hat aber nichts Großartiges erwartet. | |
Wie wurden Sie Marktmeister vom Boxhagener Platz? | |
Mit der Währungsunion 1990 wurden die staatlichen Läden geschlossen - der | |
Wochenmarkt war der schnellste, der darauf reagiert hat. Auf dem Großmarkt | |
in der Beusselstraße konnte man einkaufen und sich ganz schnell | |
selbstständig machen. Der Platz war und ist ja eine öffentliche Fläche, | |
also musste sich das Bezirksamt kümmern und Ordnung und Struktur | |
reinbringen. Deshalb wurden Stellen ausgeschrieben. Durch die Abwicklung | |
meines Betriebs hatte ich meine Arbeit verloren und habe mich als | |
Marktmeister beworben. | |
Was haben Sie vor Ihrem Leben als Marktmeister gemacht? | |
Ich habe im Sportclub gearbeitet und im Bundesvorstand des DTSB, also der | |
Sportorganisation der DDR. Die Sportclubs und -schulen hatten Internate, | |
deren Schüler wurden mit fünf Mahlzeiten täglich versorgt. Ich war | |
Küchenleiter und Berater für sportartgerechte Ernährung. Eine kleine zarte | |
Eiskunstläuferin konnte natürlich nicht so ernährt werden wie ein viermal | |
so schwerer Hammerwerfer. Dementsprechend wurden die Ernährungspläne mit | |
der Sportmedizin zusammengestellt, und wir haben versucht, sie umzusetzen. | |
Der DTSB hat sich nach der Wende sofort aufgelöst. 1992 wurde ich als | |
Marktmeister Angestellter im öffentlichen Dienst. Als dann 1995 Stellen | |
abgebaut wurden, habe ich mich mit einem Partner selbstständig gemacht. Wir | |
führten den kommunalen Markt im Auftrag des Bezirksamtes weiter. 2005 hat | |
man in der Bezirksverordnetenversammlung entschieden, Märkte nicht mehr | |
kommunal zu führen. Der Markt wurde privatisiert - wir haben den Zuschlag | |
bekommen. | |
Was genau macht ein Marktmeister? | |
Grundsätzlich gibt es eine Gewerbeordnung der Bundesrepublik Deutschland. | |
Darin ist genau geregelt, auch für Märkte, was man darf und was nicht. Ich | |
sorge dafür, dass die gesetzlichen Vorschriften umgesetzt werden. Die | |
Einzelhändler verfolgen natürlich Einzelinteressen, und wenn die nicht | |
koordiniert werden, dann geht das irgendwann gegen den Baum. Ein | |
Marktmeister muss auch im Blick haben, dass sich Qualität entwickelt, dass | |
die Produktauswahl gut ist. | |
Wie machen Sie das? | |
Konkurrenz unter den Markthändlern muss unbedingt sein. Ohne Konkurrenz | |
werden die einzelnen Produkte zu teuer und die Kunden wandern ab zum | |
Supermarkt. Wenn etwa drei, vier Fischer davon leben können, ist es ein | |
guter Markt. Sechs wären zu viel. Jeder Händler hat seine spezielle Schiene | |
und schafft sich seine spezielle Kundschaft. Die tun sich alle nicht weh. | |
Und man muss als Marktmeister organisieren können. Das habe ich in der DDR | |
gelernt aufgrund der Mangelwirtschaft. Von der Persönlichkeit her muss man | |
ein Feeling haben, auf die Leute zugehen und offen sein. Das habe ich | |
vorher in der Gastronomie gelernt, und auch im Sportclub war ich immer | |
irgendwo im Leben drin. So ist auch der Markt: Leben pur. | |
Wie läuft bei Ihnen ein Samstag ab? | |
Freitagnachmittag kontrolliere ich den Platz, ob er benutzbar ist. Es ist | |
schon passiert, dass eine halbe Straße aufgerissen war, um Telefonkabel | |
auszutauschen oder Ähnliches. Am Samstag stehe ich halb fünf auf, damit ich | |
um sechs hier bin. Dann mache ich meine Kontrollrunde, schließe die Kästen | |
für die Elektroanschlüsse auf und gucke, dass die Vertragshändler mit ihren | |
Stammplätzen ordentlich rauffahren. Ich weise die Tageshändler ein, achte | |
darauf, dass es vom Sortiment mit dem Nachbarn passt, also neben einem | |
Fischstand kein Parfümstand steht, und überprüfe, ob sie eine | |
Gewerbeerlaubnis haben. Und ich gucke, dass die sogenannte Marktgasse frei | |
ist, durch die der Kunde läuft. Zwischen acht und zehn bereite ich schon | |
den nächsten Markt vor und mache die Absprachen mit den Händlern. Von elf | |
bis eins kassiere ich die Tageshändler ab, da eine Marktteilnahme | |
entgeltpflichtig ist. Mein Dienst geht bis 16.30 Uhr, dann endet die | |
Sondernutzungserlaubnis. Denn: Ist die Katze nicht im Haus, tanzen die | |
Mäuse auf dem Tisch. Wenn jemand seinen Müll nicht richtig entsorgt, mache | |
ich eine Notiz, und dann wird er angezählt. | |
Was kostet ein Stand? | |
Das ist gestaffelt und hängt vom Sortiment ab. Ein durchschnittlicher | |
Händlerplatz, sechs Meter lang und drei Meter tief, kostet je nach | |
Stromverbrauch zwischen 20 und 30 Euro. | |
Gibt es so etwas wie Platzhirsche? | |
Aus DDR-Zeiten ist kein Händler mehr da. Aber aus der Wendezeit gibt es | |
noch ein paar. Klein, aber ganz erfolgreich ist Gurken-Krüger aus dem | |
Spreewald. Oder auch die kleine Trödlerin, die Frau Mernitz, die ist schon | |
seit 1992, 1993 da. Der Obst- und Gemüsestand, der Herr Pawlak, der fing | |
mit einem Campingtisch von 80 mal 60 Zentimetern an und hat Champignons | |
verkauft, weil er seine Arbeit im Kabelwerk Oberspree verloren hatte. Jetzt | |
hat er 15 laufende Meter und einen funktionierenden Familienbetrieb. | |
Wichtig ist für mich die Achtung vor der schweren Arbeit, das gilt gerade | |
bei der Arbeit mit Obst und Gemüse. Oder zum Beispiel die Umlandbauern, die | |
bereits freitagabends die Kräuter schneiden, damit die in der Frühe frisch | |
sind, die haben auch einen langen Tag. Und natürlich gibt es unter den | |
Tageshändlern auch Schlitzohren. Da muss man schon ein bisschen aufpassen. | |
Was machen denn die Schlitzohren? | |
Wir sagen immer, die kommen aus dem Winterschlaf, halten sich dann für die | |
Größten und meinen, die anderen, die auch bei minus 10 Grad gestanden | |
haben, rumkommandieren zu können. Wenn man sich länger kennt, kommt | |
automatisch das "du". Aber wir haben versucht, da ein bisschen Distanz | |
reinzubringen, damit nicht jeder Tageshändler meint, hier Halligalli machen | |
zu können. Händler aus mehr als 20 Nationen treffen sich auf dem Markt. Da | |
muss man einen gewissen Abstand halten, sonst kann man das nicht unter | |
einen Hut bringen. | |
Gibt es Bestechungsversuche von Händlern, die unbedingt auf den Platz | |
wollen? | |
Unterschwellig schon. Aber ich glaube, wir haben uns einen Ruf erarbeitet - | |
gerade aus kommunalen Zeiten -, dass da nichts läuft. Wir sind ja nicht | |
blind im Leben. Als Marktmeister muss ich Chef auf dem Platz sein. Lasse | |
ich mich bestechen, bin ich irgendwann nicht mehr Chef. Meine Firma ist mir | |
wichtiger als ein kurzfristiger Profit. | |
Erledigen Sie auch ihre Privateinkäufe samstags hier? | |
Das teile ich mir mit meiner Frau. Teils kauft sie bei uns in der | |
Wohngegend ein - wir wohnen in Marzahn, aber dort gibt es nur Supermärkte. | |
Deshalb kaufe ich Fisch, Obst und Gemüse, auch Käse hier. | |
Bekommen Sie Rabatt? | |
Die Ware ist zwar ausgepreist, aber ich kann nicht so schnell rechnen wie | |
eine elektronische Waage. Ich kaufe natürlich dort ein, wo ich Vertrauen | |
zum Händler habe, und der bestimmt den Preis. | |
Es gab in der Vergangenheit immer wieder Beschwerden über den Alkoholkonsum | |
und freilaufende Hunde auf dem Platz. Bekommen Sie davon etwas mit? | |
Der Markt am Sonnabend hat ein eigenes Leben. Es gibt ganz wenige Ausfälle | |
durch Alkohol. Der Markt ist so verwurzelt, da gibt es keine Spannungen. | |
Nur die Hundehaufen, die sind schon eine Belastung. Man kann die | |
Hundebesitzer freundlich ansprechen, aber es ist ein Jammer. Der Kunde | |
guckt nach oben ins Sortiment und sieht dann nicht, worein er tritt. | |
Deshalb lassen wir unsere Marktreinigungsfirma Freitagabends speziell eine | |
Runde machen nur für Hundekot. Dazu wären wir gar nicht verpflichtet. Wir | |
zahlen ja Sondernutzungsentgelt und haben das Recht, einen Platz zu | |
übernehmen, auf dem man Lebensmittel verkaufen kann. Aber was soll das | |
Ordnungsamt machen? Es ist eine soziale Frage, wie weit die Hundebesitzer | |
sich verantwortlich fühlen. | |
Wenn Sie ein Buch über den Boxhagener Platz schreiben würden, welchen Titel | |
würde es tragen? | |
Im Laufe der Jahre habe ich so viel Kurioses erlebt, deshalb würde ich | |
sagen: "Die Kuriosität des Alltäglichen." | |
Berichten Sie doch mal! | |
Wenn ich sonnabends am Morgen komme, versuche ich auch, darauf einzuwirken, | |
dass die Händler nicht so einen Lärm machen. Da kam ich eines Tages im | |
Winter und hörte so laute Geräusche über den ganzen Platz, dass ich dachte, | |
was ist denn das bloß? Was muss der für eine Nacht gehabt haben?! Es hörte | |
sich an wie in Australien. Ich spreche es bestimmt falsch aus? | |
Ein Didgeridoo? | |
Genau, und da lehnte ein Mensch an einer Steinmauer und spielte auf diesem | |
Blasrohr. Oder die jungen Pärchen, die morgens um sechs aus den Kneipen | |
rausstolpern! Ich sage es Ihnen, wie es war: Mitten auf der Straße begannen | |
zwei Männer und eine Frau ihr sexuelles Liebesspiel. Ich habe ja auch viele | |
türkische Händler hier, und die haben nicht schlecht gestaunt! Die drei | |
wurden umringt von den Türken, und die haben im Rhythmus des | |
Sexualbegattungsaktes geklatscht. | |
Aller guten Dinge sind drei. Haben Sie noch eine Kuriosität auf Lager? | |
Da war ein Eierverkäufer, ein abgedrehter Typ, aber er hatte seine Kunden. | |
Die anderen Händler haben ihn immer ein bisschen gefoppt und ihn gefragt, | |
ob er für 50 Mark nackend über den Markt laufen würde. | |
Und, ist er? | |
Er hat sich eine Schürze umgebunden. Aber hinten rum war er nackig und | |
vorne rum, durch das Laufen, flatterte es. Während des Markbetriebes ist er | |
einmal nackend mit der Schürze um den Platz gelaufen! Wenn die ihren Spaß | |
haben, warum nicht? | |
25 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Barbara Bollwahn | |
Barbara Bollwahn | |
## TAGS | |
Friedrichshain-Kreuzberg | |
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