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# taz.de -- Ritualmorde an Albinos in Tansania: Die weißen Schwarzen
> Metili Mollel ist ein weißer Maasai. Und ein einsamer Junge. Draußen
> spielen kann er nicht, weil ihm stets jemand auflauern könnte.
Bild: Seit einem Jahr fallen Albinos in Tansania Ritualmorden zum Opfer.
Die Trommeln schlagen dumpf, eine helle Stimme singt dazu. David Ntanga und
seine zehnköpfige Tanzgruppe bewegen sich im Takt. Die Menge hält den Atem
an, als die Truppe völlig synchron nach vorne springt. Die Musik erstirbt,
Beifall brandet auf. Ein lang gezogener Pfiff aus einer der hinteren Reihen
schmerzt in den Ohren. Ein paar hundert Menschen haben sich versammelt, um
der Performance zuzusehen; Ntanga ist zufrieden. "Es gibt immer mehr
Menschen, die uns zujubeln und sagen: Macht weiter so", freut sich der
Mittdreißiger in Jeans und kurzärmeligem Khakihemd. "Aber die Mehrheit
glaubt immer noch, wir können nichts. Schließlich sind wir nur Albinos."
"Albino Kulturbefreiungsfront" nennt sich Ntangas Ensemble, und der Name
ist Programm. Mit Tanz, Musik, Theater und Filmvorführungen tourt die
Gruppe seit Wochen durch Tansania und Nachbarländer, tritt in Clubs und auf
staubigen Dorfplätzen auf. "Wir wollen den Leuten zeigen, dass wir ganz
normale Menschen sind", sagt Ntanga. "Für viele einfache Leute ist es das
erste Mal, dass sie einen Albino bewusst ansehen und nicht einfach
angeekelt wegschauen."
Der Kampf um mehr Verständnis für ihr Anderssein ist in Tansania nicht nur
eine Frage der Emanzipation, sondern des Überlebens. Vor rund einem Jahr
begannen die ersten Ritualmorde, bei denen Albinos lebend Arme oder Beine
abgehackt wurden. Andere wurden umgebracht, bevor man ihnen die Haut abzog.
"Nach Sonnenuntergang bin ich nicht mehr auf der Straße unterwegs", sagt
Ntanga, der in einem der Armenviertel von Tansanias
Drei-Millionen-Metropole Daressalam lebt.
Tansania gilt als das Land mit den meisten Albinos weltweit,
schätzungsweise 200.000, wovon aber nur 4.000 registriert sind. Seit
zwielichtige Wunderheiler die Parole ausgegeben haben, dass sie ihren
Besitzer reich machen können, ist der Handel mit Albinokörperteilen ein
Riesengeschäft. Die Polizei schätzt die Zahl der Morde auf mehr als 40.
Ernest Kimayo glaubt aber, dass es wesentlich mehr sind, sie seien den
Behörden bloß nie gemeldet worden. Auch er überlegt sich zweimal, wohin er
geht. "Ich habe sogar Angst, tagsüber in ein Büro zu gehen oder
Geschäftspartner zu treffen, weil ich nicht sicher sein kann, ob mich
derjenige nicht an die Mörder verkaufen will", sagt der Vorsitzende des
tansanischen Albinoverbandes. An die schiefen Blicke, die schwarze
Tansanier den bleichen Albinos zuwerfen, hat Kimayo sich gewöhnt. Auch dass
Leute die Straßenseite wechseln, wenn er kommt, berührt ihn nicht mehr.
"Als Kind wollten mich immer alle betatschen: Wenn wir die Haut anfassen,
fließt sofort Blut heraus, haben die gesagt", erinnert sich Kimayo. Doch
Unverständnis und Diskriminierung sind das eine. "Es ging uns nie wirklich
gut, aber so einen Horror wie jetzt haben wir noch nie erlebt."
In seinem kleinen, stickigen Büro auf dem Gelände des Ocean Road Hospital,
einem der größten Krankenhäuser der Stadt, sammelt Kimayo die Geschichten
der Opfer. Besonders schlimm, sagt er, sei die Lage im Westen Tansanias, wo
der Geisterglaube sehr verbreitet ist. Auffällig viele Tote gab es in den
Dörfern am Victoriasee, weil Fischer Albinohaare in ihre Netze flechten und
damit auf eine größere Ausbeute hoffen. Auch in den Minen der Region glaubt
man, dass der Gebrauch von Albinokörperteilen Glück beim Schürfen bringt.
Esther Charles war erst zehn Jahre alt, als sie von einer Bande in der
elterlichen Hütte in ihrem Heimatdorf Shilela aufgespürt wurde. Das
fröhliche Mädchen mit dem weißen Haar und den empfindlichen Augen wurde
brutal ermordet: mit Macheten regelrecht in Stücke geschnitten. Finger,
Augen, Geschlechtsteile oder auch nur ein Stück Haut bringen den Mördern
weit mehr Geld, als sie sonst in einem Monat verdienen können, weiß Kimayo.
Auftraggeber der grausamen Verfolger sind anerkannte Wunderheiler. Und die
sind aus dem tansanischen Alltag nicht wegzudenken. "Unternehmer legen
Albinoschädel auf ihre Goldmine, damit das Gold auf magische Weise an die
Oberfläche steigt", berichtet Kimayo. "Fischer benutzen Albinofleisch als
Köder, weil sie glauben, dass die gefangenen Fische dann Gold im Bauch
haben." Andere sind der Ansicht, dass sich ihre Krankheiten durch
Albinokörperteile heilen lassen. Auf der Straße hört Kimayo ständig
Getuschel.
Im winzigen Ort Kimnyak im Westen Tansanias, am Fuße des 4.600 Meter hohen
Berges Meru, lebt der siebenjährige Metili Mollel bei seinen Großeltern. Er
ist ein echter "weißer Maasai" - ein Albinojunge aus dem ostafrikanischen
Hirtenvolk. Bis zum vorigen Jahr war sein schlimmster Feind die Sonne, die
seine Haut erbarmungslos verbrennt. Dann wollte sein Vater ihn umbringen,
weil bei den Maasai Albinos als Inkarnation des Teufels gelten. Großvater
Samuel Mollel rettete seinem Enkel das Leben und nahm ihn auf, obwohl die
Familie nur von ein paar Kühen und Ziegen und etwas Maisanbau lebt. "Ich
darf nicht alleine auf die Straße", sagt der Junge. "Nicht mal zu den
Nachbarn kann ich allein gehen." Auf der Straße wird er als "Zero Zero"
beschimpft - als Brut des Teufels. Noch versteht er diesen Schimpfnamen
nicht, aber seine Großeltern wissen Bescheid. In der schönen, leeren
Savannenlandschaft ist die Polizei weit entfernt, und Albinos sind
schutzlos. "Eigentlich ist der Kleine nie alleine. Wir haben ihn auch
gewarnt, Süßigkeiten von Fremden anzunehmen", erzählt der Großvater.
Selbst die Schule stellt für Metili keinen sicheren Platz dar. "Meine Augen
sind schlecht, ich kann oft nicht erkennen, was an der Tafel steht. Der
Lehrer will, dass ich in eine Sonderschule gehe", erzählt der Junge mit
leiser Stimme. In ganz Tansania gibt es nur eine solche Sonderschule - in
der weit entfernten Hauptstadt Daressalam. Metili setzt sich in den
Schatten des Hauses. Er ist ein einsamer Junge. Draußen spielen ist
gefährlich, weil die Sonne Hautkrebs verursacht und ihm Mörder auflauern
könnten. Im Haus zu bleiben ist das Beste, aber es macht einen Gefangenen
aus ihm.
Nicht weit von Kimnyak entfernt, in der Stadt Arusha, bereiten sich Albinos
auf die Selbstverteidigung vor. "Ich habe die erste Anzahlung für eine
Pistole geleistet", erzählt Godson Mollel, Vorsitzender der
Arusha-Abteilung der landesweiten Organisation Chama cha Albinos, die
allerdings nur etwas mehr als 200 Mitglieder hat. Er ist mit dem kleinen
Metili nicht verwandt - die meisten Maasai in der Arusha-Region heißen
Mollel oder Leyser. Godson Mollel hat Angst. "Ich muss mich selbst
schützen, weil die Behörden das nicht tun."
Um seinen Waffenschein zu lesen, muss sich der 40-Jährige den Zettel ganz
dicht vor die Augen halten. Die Frage, ob es nicht gefährlich ist, eine
Waffe zu besitzen, wenn er kaum sehen kann, ist für ihn nicht relevant.
"Ich habe Angst", rechtfertigt er sich. "Tagsüber traue ich mich kaum auf
die Straße, und abends schließe ich mich zu Hause ein. Eine Pistole
verschafft mir Beruhigung."
In seinem Innenstadtbüro kann er kaum Gäste empfangen. Es reicht gerade für
einen Tisch und einen Stuhl. Durch das offene Fenster dringen Geräusche vom
nahen Markt hinein - eine andere Welt. "Ich habe selten Spaß im Leben",
sagt Godson Mollel. "Vorige Woche erst ist ein Albino verblutet, während
seine Angreifer ihm Beine, Penis und Hodensack abhackten. Dann rasierten
sie ihm die Haare ab." Das Grab eines Albinos, der vor Kurzem in Arusha
eines natürlichen Todes starb, musste zubetoniert werden. "Nur so kann
seine Familie sicher sein, dass nachts nicht die Zauberer kommen, um die
Leiche auszugraben", erzählt Godson.
Es ist schwer, Verständnis für seine potenziellen Mörder aufzubringen. Und
doch ist es das, was Al-Shaymaa Kwegyir in der fernen Hauptstadt Daressalam
jeden Tag aufs Neue versucht. "Die Leute sind arm und ungebildet",
verteidigt die einzige Albinoparlamentarierin Tansanias diejenigen, die ihr
und anderen Albinos nach dem Leben trachten. "Niemand hat ihnen je gesagt,
dass wir ganz normale Menschen sind." Auch Kwegyir wurde als Kind
gehänselt, "Niemand" nannten ihre Mitschüler sie oder "Geist". Jetzt wurde
Kwegyir von Tansanias Präsident Jakaya Kikwete persönlich zur
Parlamentsabgeordneten ernannt. "Als er mich angerufen hat, konnte ich kaum
fassen, dass er denkt, dass ich genauso gut arbeiten kann wie ein normaler
Mensch", platzt es aus der langjährigen Aktivistin heraus. Die immer wieder
gehörten Vorurteile haben Narben hinterlassen. "Wenn ich mich um einen Job
beworben habe, wurde ich als Einzige nicht zu einem Gespräch eingeladen,
weil die Arbeitgeber dachten: Die kann ohnehin nichts."
Früher, sagt Kwegyir, seien Albinos oft schon nach der Geburt umgebracht
worden. "Sie wurden ertränkt, oder man hat ihnen das Genick umgedreht. Ein
Albinobaby galt als Fluch." Ihrer Mutter hat Kwegyir nie vergessen, dass
sie ihr immer wieder versichert hat, wie sehr sie die Tochter liebt. "Sie
hat gesagt, Gott hat mich so gewollt", sagt Kwegyir, und ihre Augen werden
feucht. "Das gibt mir bis heute die Kraft, durchs Land zu reisen und
Aufklärung zu betreiben."
Die Serie der Morde ist in jüngster Zeit abgeebbt. Dazu hat nach Ansicht
der Abgeordneten auch beigetragen, dass die Regierung inzwischen zur Jagd
auf die Albinomörder geblasen hat - mit dem Mittel der Denunziation. "Wir
haben im ganzen Land Urnen und Wahlkabinen aufgestellt, und im Schutz der
Anonymität konnten die Leute die Namen derer aufschreiben, die sie für
schuldig halten." Kwegyir glaubt, dass mindestens vier Arten von Gangstern
am Albinogeschäft mitverdienen. "Es gibt Scouts, die herausfinden, wo
Albinos leben, es gibt die Mörder, dann diejenigen, die die Körperteile
abtrennen und verkaufen, und schließlich gibt es noch die Kunden."
Derzeit stellt die Regierung Listen aller Personen zusammen, die in eine
dieser Kategorien fallen. Was genau mit den Verdächtigten geschehen soll,
weiß Kwegyir nicht - schließlich gibt es auch in Tansania Gesetze, die die
Strafverfolgung regeln. "Wir wollten den Mördern vor allem Angst machen,
und das ist uns gelungen." Mehr als 200 Menschen wurden verhaftet,
bestätigt Godson Mollel in Arusha - verurteilt wurde noch niemand.
Die Albino-Selbsthilfegruppen lassen nicht locker. Sie haben zusammen mit
Menschenrechtsorganisationen Klage beim Obersten Gericht eingereicht, weil
die Regierung Leben und Gesundheit von Albinos nicht schütze und damit die
tansanische Verfassung verletze. Letzte Woche begannen die Anhörungen in
der Sache.
Die Sensibilisierung der tansanischen Öffentlichkeit für die Albinos ist
neu - wie auch die Aufmerksamkeit für die geheime Welt der Wunderheiler.
Maimuna Ramadhani hat in Arusha ein winziges Geschäft, eingeklemmt zwischen
einer Schneiderei und einem Friseursalon. Sie verkauft Kräuter gegen eine
Vielzahl von Krankheiten und Beschwerden. Sie benutze keine
Albinokörperteile, sagt sie, "nicht mal Blut von Tieren. Ich verarbeite
bloß Pflanzen und Wurzeln. Ich bin eine Naturheilerin, kein Zauberer."
Dennoch bietet auch sie ein Öl für die Stirn an, das Glück bringen soll.
"Ich glaube nicht, dass die tansanianischen Zauberer verantwortlich sind",
sagt sie zu den Morden und hat dafür eine professionelle Erklärung: "Man
muss die Haut vom Fleisch trennen. Dazu braucht man Chemikalien, und die
haben wir in Tansania genauso wenig wie Kenntnisse darüber." Die Regierung
hat vorläufig allen Naturheilern und Zauberern die Arbeit verboten. Aber
die Geschäfte gehen weiter wie früher.
Keiner scheint zu wissen, warum die Gewaltwelle gegen Albinos 2007 anfing.
Godson Mollel glaubt, nigerianische TV-Filme sind schuld. Das sind Dramen
voller Geister, Zauberer und Wunder. In Nigeria ist der Glaube, dass
Albinos außerordentliche Kräfte besitzen, weit verbreitet. Sie werden oft
eingeladen, um Segnungen auszusprechen, etwa beim Bezug eines neuen Hauses
oder der Eröffnung eines neuen Betriebes. Dort ist ihr Anderssein positiv
besetzt.
Die billig produzierten und verkauften nigerianischen Videos, als
"Nollywood" bekannt, sind in ganz Afrika verbreitet. "Die Grenze zwischen
Fiktion und Realität verschwindet für dumme Menschen", meint Godson Mollel.
"Irgendwie muss es ein paar Menschen auf tödliche Gedanken gebracht haben."
Auch der Aktivist Kimayo warnt: "Im Fernsehen laufen immer mehr
nigerianische Serien und Filme, in denen Geisterheiler eine schier
unbegrenzte Macht haben. Das stärkt natürlich die traditionell ohnehin
schon mächtigen Heiler im Dorf."
Dazu kommt die Gier. Am Anfang gruben die Beschaffer noch Leichen von
Albinos auf Friedhöfen aus, um die Nachfrage zu bedienen. Als aber ein
vollständiger Albinokörper bis zu 350.000 Euro einbrachte, schlossen sich
überall im Land Kopfjäger der Hatz an. Auch in Kenia hat es die ersten
Morde gegeben. In Burundi, wo am 19. Mai in der Stadt Ruyigi nahe der
Grenze zu Tansania der erste Prozess wegen einer Serie von Albinomorden
begann, hat der oberste Staatsanwalt der Grenzregion alle Albinos der
Gegend in sein Haus einquartiert, das er wie eine Festung schützt. Den
langen Marsch nach Ruyigi legen die meisten fernab der Hauptstraßen im
Schutz der Dunkelheit zurück.
29 May 2009
## AUTOREN
Marc Engelhardt
Ilona Eveleens
## TAGS
Albinos
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