# taz.de -- Film und Rezession: "Die Filmförderung ist eher reaktiv" | |
> Der Umbau der Hollywood-Industrie in eine Copyright-Industrie hat | |
> Auswirkungen darauf, wie Film in Zukunft zu sehen sein wird, sagt der | |
> Filmwissenschaftler Rembert Hüser. | |
Bild: Filmfestival in Cannes: Die Filmindustrie finanziert sich zunehmend über… | |
taz: Herr Hüser, beim Filmfestival von Cannes wurden Befürchtungen laut, | |
der Filmmarkt könne einbrechen. Weltvertriebe und Produktionsfirmen klagten | |
über mangelndes Interesse an ihren Produkten. Inwiefern beeinträchtigt die | |
Wirtschaftskrise die Filmindustrie? | |
Rembert Hüser: Es gibt ja schon seit Jahren eine Verschiebung. Die heutige | |
Filmindustrie finanziert sich nicht mehr primär übers Kinogeschäft, sondern | |
über die DVD-Auswertung. Der Umbau der Hollywood-Industrie in eine | |
Copyright-Industrie hat Auswirkungen darauf, wie Film in Zukunft zu sehen | |
sein wird. Das bewegte Bild materialisiert sich nicht mehr hauptsächlich im | |
Kino. | |
Die Krise betrifft die Kinos als Abspielorte und nicht die Produktion | |
bewegter Bilder? | |
Es ist eine paradoxe Situation. In Hollywood hatten Filme nur eine Laufzeit | |
von ein paar Jahren - von der Erstveröffentlichung über den second run bis | |
zur Fernsehauswertung. Die Kopien wurden dann vernichtet. Durch Einführung | |
der DVD, die als Speichermedium gar nicht so solide ist, ist die | |
Lebensspanne der Filme größer geworden. Das bedeutet auch, dass es eine | |
neue Vorstellung von Aktualität gibt - ein aktueller Film kann heute aus | |
dem Jahr 1919 stammen. Der Film, der uns momentan am meisten über die Krise | |
erzählt, muss nicht von Petzold, er kann auch von Lubitsch sein. | |
Die über 100 Jahre alte Kunst- und Kulturform Kino schaut also nicht ihrem | |
Ende entgegen, sie sucht sich nur neue Medien und Ausdrucksformen? | |
Das Kino ist ein historisches Phänomen. Die Zukunft der bewegten Bilder | |
findet an anderen Orten als dem Kino statt. Zugleich kommt es im Augenblick | |
zu Rückkopplungseffekten: Wie Bilder im Internet und im Computer aussehen, | |
wirkt darauf zurück, wie die Filme strukturiert sind, die in den Kinos | |
laufen. | |
In Deutschland wird Kino mit Hilfe der staatlichen Filmförderung auf recht | |
traditionelle Weise produziert. Hat dieses Subventionskino auf Dauer | |
Bestand? | |
Ich habe den Eindruck, dass man bis heute kein richtiges System gefunden | |
hat zu entscheiden, was man fördert. Die Filmförderung ist eher reaktiv, | |
sie versucht, viel Geld in internationale Prestigeobjekte zu pumpen. Dafür | |
bin ich wahrscheinlich zu old school im Sinne von Alexander Kluge: | |
Blockbuster sind wichtig, genauso auch Filme, die nur zwei Zuschauer haben. | |
In beides muss man ganz viel Geld reinstecken. Das Schlimme ist, dass das | |
ganze Geld in den mediokren Mittelteil geht, der niemanden interessiert. | |
Und das weiß man vorher. | |
Eines dieser internationalen Prestigeobjekte hat in diesem Jahr die | |
Berlinale eröffnet, "The International" von Tom Tykwer. Dieter Kosslick hat | |
immer wieder betont, dass "The International" der Film zur Bankenkrise sei. | |
Was halten Sie davon? | |
Das ist eine altertümliche Auffassung von Film, eine Auffassung, die zu | |
sehr der Idee der Einheit des Werkes geschuldet ist. Es kommt nicht darauf | |
an, den einen Filmemacher zu finden, der uns den Film zur Krise liefert. | |
Tykwer in Ehren - aber zu glauben, dass wir den einen Film brauchen, das | |
eine Werk, das die Komplexität der gesamten Situation abbildet, ist | |
hoffnungslos romantisch. | |
Im Herbst kam die Dokumentation "Lets Make Money" von Erwin Wagenhofer ins | |
Kino; ein Film, der vor der Finanzkrise entstand und dem rückwirkend eine | |
prophetische Kraft zugeschrieben wurde. | |
Es ist kruder Realismus zu glauben, dass nur die Filme aus dem Jahr 2009 | |
adäquat die momentane Situation wiedergeben können. Es gibt inzwischen ganz | |
andere Möglichkeiten des Zugriffs auf den Kino-Bilder-Pool. Aktuell | |
wichtige Filme sind nicht nur die, die gerade produziert werden, sondern | |
die, die aktuell gesehen werden. | |
Das stellen Sie ja deutlich heraus, indem Sie die Tagung mit einem Film von | |
Ernst Lubitsch, "Die Austernprinzessin", beginnen lassen. Warum? | |
Lubitsch ist interessant, weil er, um einen Begriff von Enno Patalas zu | |
verwenden, "Inflationskino" machte. Zwischen 1918 und 1922, dem Jahr, in | |
dem er nach Hollywood ging, hat er unglaublich viele Filme gedreht. Die | |
Filme amortisierten sich relativ schnell durch Vorführungen in der Schweiz | |
und in Frankreich, während gleichzeitig die Reichsmark entwertet wurde. | |
Dazu zeigten sie den Zerfall von anerkannten Werten, und zwar in einem | |
irrwitzigen Tempo. Zwölf Filme in nur fünf Jahren. Feinster Exzess. | |
In der aktuellen Diskussion der Krise geht es um Phänomene, die sehr | |
abstrakt sind und sich der Vorstellungskraft eines | |
Nichtwirtschaftswissenschaftlers entziehen. Wie bringt man das trotzdem auf | |
die Leinwand? | |
Zum Beispiel so wie Robert Bramkamp. Der arbeitet seit den Achtzigerjahren | |
an diesen Fragen. Der Kurzfilm "Beckerbillet" von 1992 ist für mich ein | |
Knaller. Er ist ein bisschen wie "Die Sendung mit der Maus" und beschreibt | |
die Herstellung der Kinoeintrittskarten durch die Firma Becker. Die sind ja | |
ein Geldäquivalent und werden entsprechend hergestellt. Man kauft die | |
Karte, man bekommt gewissermaßen einen anderen Geldschein, und als | |
Gegenwert für das Abreißen der Karte wird einem das Ereignis des Films | |
versprochen. Daran hängt Bramkamp eine Spielfilmgeschichte auf. Aus der | |
heutigen Perspektive ist das gerade interessant, weil es die Rollenkarten | |
nicht mehr gibt. An der Kinokasse druckt heute der Computer. Und "Gelbe | |
Sorte" … | |
… der erste abendfüllende Spielfilm Bramkamps, entstanden Mitte der | |
Achtzigerjahre. | |
"Gelbe Sorte" ist ein Landwirtschaftsfilm, bei dem es um die | |
Nichtproduktion von Überschüssen geht und darum, dass die Bauern eigentlich | |
gar nicht mehr das produzieren müssen, wofür sie EU-Subventionen kriegen. | |
Der Film handelt von der Simulation von Produktion - und das schon in den | |
Achtzigerjahren! Der war seiner Zeit weit voraus. Mit "Der Bootgott vom | |
Seesportclub", dem jüngsten Film von Bramkamp, wird deutlich, dass die | |
Auseinandersetzung mit Ökonomie viel mit Erzählmodellen zu tun hat. | |
Wie meinen Sie das? | |
Was ja viel diskutiert wird, ist die fiktive Basis von Ökonomie. Das heißt: | |
Banken- und Finanzgeschäfte haben wenig zu tun mit realen Transaktionen. | |
Banken handeln mit Zahlungsversprechen. Das beobachtet Harun Farocki in | |
"Nicht ohne Risiko": dass es eigentlich um einen Abgleich von Fiktionen | |
geht, der fast etwas von einer screwball comedy hat. Zwei Parteien kämpfen | |
mit Fiktionen, sie brauchen Kompetenz im Entwickeln und Präsentieren von | |
Fiktionen, und irgendwann kippt diese Kommunikation ins Komische. | |
Lässt sich Geld gut filmen? | |
Prinzipiell lässt sich alles gut filmen. Man muss die Zirkulation des | |
Geldes zeigen und auch, welche verschiedenen Erzählmodelle sich daran | |
anlagern. Es gibt ja zu verschiedenen Zeiten verschiedene Modelle, über | |
Geld zu reden: die Depressionsfilme von King Vidor oder Frank Capra oder | |
eben die Komödien von Lubitsch … | |
… oder die Filme der Brüder Dardenne, in denen unentwegt Geldscheine von | |
einer Hand in die andere wechseln und in denen alles, was verfügbar ist, zu | |
Geld gemacht werden kann - und sei es das eigene Kind. | |
Absolut. Oder Bresson: In "Largent" sieht man, wie dieses Versprechen Geld | |
zirkuliert. In dem Fall auch noch Falschgeld, das letztlich nicht | |
einlösbare Zahlungsversprechen. | |
Das lässt mich an eine Szene aus "Die innere Sicherheit" von Christian | |
Petzold denken. Die ehemaligen Terroristen steuern ein Geldversteck an, | |
doch die Scheine sind alte D-Mark-Noten, wertlos also. | |
Der vergrabene Sack mit den D-Mark-Scheinen ist Papier aus einer anderen | |
Fiktion. Die Figuren agieren einen Konflikt aus der Bundesrepublik der | |
Siebzigerjahre aus. Sie tun dies in einem Staat, dessen Geschichte sich | |
inzwischen weitererzählt hat. | |
Kann das Kino besser von Leuten erzählen, die profitieren, oder von | |
solchen, die verlieren? | |
Das sind zwei Erzählmodelle, und ich glaube nicht, dass das Medium einen | |
bestimmten Typ von Narration bevorzugt. Godard könnte beide Geschichten | |
erzählen. In jeweils drei Minuten. | |
4 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
Cristina Nord | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berlinale-Retrospektive King Vidor: Antikommunismus als Komödie | |
Disparat und überraschend: Die Berlinale Retrospektive lädt ein, den | |
politisch notorisch unzuverlässigen US-Regisseur King Vidor | |
wiederzuentdecken. |