# taz.de -- EU-Wahlerfolg für Frankreichs Grüne: Das grüne Wunder | |
> Die "Europe Écologie" erringt 14 Abgeordnetensitze im EU-Parlament. Ein | |
> Überraschungserfolg für eine Partei, die sonst an winzige Wahlergebnisse | |
> gewöhnt ist. | |
Bild: Ein Gespann, dass sich durchgesetzt hat: Cohn-Bendit und Joly. | |
Diesen Erfolg haben selbst die grünsten OptimistInnen in Frankreich nicht | |
erwartet: Bei den Wahlen zum Europaparlament hat die von dem Alt-68er | |
Daniel Cohn-Bendit, von der norwegischen Richterin Eva Joly und von dem | |
Bauerngewerkschafter José Bové geführte Liste "Europe Écologie" insgesamt | |
14 Abgeordnetensitze errungen - genauso viele wie die französische | |
Sozialdemokratie. Landesweit bekam die Liste 16,5 Prozent der Stimmen - an | |
verschiedenen Orten sogar fast das Doppelte. In Paris schafften die | |
Öko-PolitikerInnen mit 27,5 Prozent der Stimmen den zweiten Platz - hinter | |
der rechten UMP und vor der PS des sozialdemokratischen Bürgermeisters. In | |
12 der 20 Hauptstadt-Arrondissements waren sie bei den Europawahlen die | |
stärkste Liste. | |
Das grüne Wunder überwältigte das Wahlbündnis in sämtlichen Landesteilen. | |
Bei der Wahlfete von Michèle Rivasi, Kandidatin im Südosten, ging schon am | |
frühen Abend der Champagner aus. Und Spitzenkandidat Cohn-Bendit hatte, als | |
er um 22 Uhr von einer Fernsehdebatte zu der Jubelfeier seiner FreundInnen | |
in Paris kam, bereits eine heisere Stimme. Die Gründung einer großen linken | |
Sammlungspartei, wie sie SprecherInnen der französischen Sozialdemokratie | |
am Wahlabend anregten, lehnte er umgehend ab. Der Listenführer von Europe | |
Écologie sagte, es gehe vielmehr darum, selbstbewusst und autonom | |
"Partnerschaften ohne Komplexe" einzugehen. Die Grünen sind nunmehr | |
stärkste linke Kraft neben der französischen Sozialdemokratie. Links von | |
ihr hat es nur die "Front de Gauche" - ebenfalls ein Zusammenschluss | |
verschiedener Parteien und Initiativen, darunter die KPF - mit 6,3 Prozent | |
ins Europaparlament geschafft. | |
Die französischen Grünen sind an winzige Wahlergebnisse gewöhnt. Bei den | |
Präsidentschaftswahlen im Jahr 2007 bekam ihre Kandidatin Dominique Voynet | |
nur 1,6 Prozent der Stimmen, bei den letzten Europawahlen erzielte die | |
Partei 7,4 Prozent. Ein zweistelliges Wahlergebnis bekamen die | |
französischen Grünen bislang nur ein einziges Mal: Vor exakt 20 Jahren | |
schafften sie bei Europawahlen 10,6 Prozent. | |
Den Erfolg nennt der grüne Pariser Ratsherr Sylvain Garel "unerwartet". | |
Sein Kollege Denis Baupin will ihn umgehend nutzen, um im | |
sozialdemokratisch beherrschten Pariser Rat so umweltfeindliche Projekte | |
wie neue Wohntürme und die als "autolib" geplante Einführung von | |
städtischen Mietautos zu stoppen. Spitzenkandidat Cohn-Bendit hat als | |
Erstes vor, die Wiederwahl von EU-Präsident Barroso im Juli zu verhindern. | |
"Eine Überraschung ist möglich", sagte er am Montag in Paris. | |
Weniger spektakulär als in Frankreich, aber dennoch deutlich stärker, haben | |
die Grünen auch in anderen europäischen Ländern abgeschnitten. In | |
Deutschland erreichten sie über 12 Prozent. Während die sozialdemokratische | |
Fraktion im Europaparlament schrumpft, vergrößern die Grünen ihre Fraktion | |
von bislang 43 Abgeordneten auf 51. Diesem Wahlerfolg vorausgegangen ist | |
eine Kampagne, die seit Monaten andauerte, die nicht die nationalen, | |
sondern die europäischen Themen in den Vordergrund gestellt hat und die | |
einen kontinentalen "green deal" mit einem massiven Beschäftigungsprogramm | |
im Umweltsektor vorgeschlagen hat. | |
In Frankreich war Europe Écologie die einzige Liste, die das Stichwort | |
"Europa" im Namen trug. Mit ihren drei SpitzenkandidatInnen hatte sie | |
Persönlichkeiten aus einem viel weiteren politischen Spektrum als die | |
Grünen gefunden. Alle drei inkarnieren mit ihrer Vita das Programm der | |
Liste. | |
In der Katerstimmung, die in Paris auf den Urnengang folgte, suchten die | |
Verlierer nach einfachen Erklärungen für den unerwarteten grünen Erfolg. | |
Rechtsliberale und Rechtsextreme machten den Umweltfilm von Yann | |
Arthus-Bertrand "Home" verantwortlich. Doch der Meinungsforscher Brice | |
Teinturier hält den Effekt des Films, der die Verschlechterung der globalen | |
Umweltbedingungen beschreibt, für marginal. Schon vor dem Film hatte | |
Teinturier den französischen Grünen ein Wahlergebnis von mehr als 15 | |
Prozent prognostiziert. | |
9 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
Dorothea Hahn | |
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Schwerpunkt #metoo | |
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