# taz.de -- Biobranche: Gut Trendy und Hof Idyll | |
> Das Bio-Gut Wulksfelde feiert sein 20-jähriges Bestehen. Es ist auch ein | |
> Abschied: Vielerorts macht der kleine, kuschelige Hofladen Platz für | |
> große Verkaufsflächen - rechnen wird sich künftig nur noch der | |
> Bio-Erlebnis-Park. | |
Bild: Die Gesichter des Hofs: Schlachter, Gärtner, Viehzüchterin und Gemüse-… | |
Mit dem Ab-Hof-Verkauf geht es bergab, nicht nur hier, sondern bundesweit. | |
Deshalb bauten sie hier, nördlich von Hamburg, kurz vor den Toren der | |
Stadt, lieber gleich den größten Bio-Hofladen Norddeutschlands: Huhn und | |
Rindvieh zogen aus, in ihren einstigen Stallungen leuchtet seit November | |
Supermarktlicht: auf 600 Quadratmetern 3.000 Naturkostartikel. Links liegen | |
die nach Bioland-Richtlinien bewirtschafteten Äcker, rechts daneben der | |
Kundenparkplatz, unübersehbar wie eine Aldi-Filiale. | |
"Essen Sie nicht ab und zu auch mal eine Fertigpizza?" Im gläsernen | |
Supermarkt-Café schlürft Uwe Westebbe am Bio-Cappuccino und lächelt. Es ist | |
ein undogmatisches Tiefkühllächeln. Der dienstälteste, längst grau | |
gewordene Geschäftsführer vom Gut Wulksfelde weiß natürlich: Über die | |
Umweltbilanz zu kühlender Öko-Produkte könne man sich streiten. "Aber wir | |
wollen uns vor den Kundeninteressen nicht verschließen", sagt er. Für Gut | |
Wulksfelde geht es steil bergauf in seinem 20. Sommer. Satte vierzig | |
Prozent Umsatzzuwachs habe der Hofladen seit seiner Wiedereröffnung letzten | |
Herbst eingefahren, sagt Westebbe, bis zu 7.000 Besucher erwarte man zur | |
Geburtstagsfeier an diesem Samstag. Der ganze Hof ist in Bewegung, vor dem | |
imposanten Gutshaus werden Stände und Buden aufgebaut. Dazwischen die | |
typischen Kunden, die zum klassischen Öko-Habitus nicht passen: Mütter, die | |
mit ihren Kindern vom blauen Klettertrecker zum Schweinegehege laufen und | |
wieder zurück zum geparkten Mercedes. Eine filmt mit ihrem Handy. So wird | |
es wohl auch bei der Geburtstagsfeier selbst sein. | |
Gefeiert wird dann eine Ausnahme, die nur die Regel bestätigt: den | |
allgemeinen Trend des Niedergangs kleiner Bio-Verkaufsflächen. Zwar wächst | |
der Bio-Markt - aber nur an großen Flächen. Und an einigen Höfen wie | |
Gutsfelde, die das Marketing entdeckten, weil offenbar nur noch das | |
Eventgefühl ausreichend Kundschaft hier heraus aufs Land lockt. "In der | |
Garage drei Regale aufstellen - das funktioniert nicht mehr", erklärt der | |
Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft - und so sollen ein Streichelzoo | |
und ein Bio-Restaurant noch in diesem Jahr das Gut Wulksfelde langfristig | |
als regionales Ausflugsziel etablieren. | |
Am 1. Juli 1989 wurde der Pachtvertrag mit der Stadt rechtskräftig. | |
Ökologische Landwirtschaft sollte auf den 260 Hektar des Staatsguts | |
betrieben werden, so lautete die Vorgabe des damaligen SPD-Umweltsenators | |
Wolfgang Curilla. Als der Umwelttechniker Westebbe mit fünf anderen den | |
Zuschlag bekam, titelte die Bild: "Chaoten aufs Staatsgut". 1990 begann | |
dann auf der Diele im Foyer des alten Gutshauses der Verkauf. Öffnen sich | |
hier heute die beiden Flügeltüren, sitzen da vier Leute vor PCs, reden per | |
Headsets mit Kunden und nehmen Bestellungen für den Wulksfelder | |
Bio-Lieferservice entgegen. | |
Auf ihren Monitoren erscheinen die Daten von "gut 1.400 Kunden, die wir pro | |
Woche beliefern", berichtet Alice Gonzalez, die hier die Chefin ist. Beim | |
Lieferservice, knapp hundert Meter weiter in einem Nebengebäude, werden | |
Kisten am Fließband gepackt: vier Leute, vor jedem eine Waage, die an einen | |
Computer angeschlossen ist und ganz genau angibt, wie viel Gramm Apfel denn | |
noch fehlt. | |
Dass sie im letzten Jahr 6,5 Millionen Euro Umsatz machten, erzählt | |
Westebbe gern. Und wie sie von einer Werbeagentur die "Bildsprache im neuen | |
Hofladen" entwickeln ließen. Die Gesichter des Hofs - Schlachter, Gärtner, | |
Viehzüchterin und Gemüse-Landwirt - lächeln jetzt von den Wänden auf die | |
Einkaufenden herab. Westebbe spricht von "Transparenz für den Kunden". | |
Und er liegt richtig, glaubt man der aktuellen Forschung zur Bio-Branche: | |
Mit den richtigen Marketing-Methoden lasse sich der Absatz beim Konsumenten | |
noch weit ausreizen, legen etwa Studien am Fachbereich Ökologische | |
Agrarwissenschaften der Universität Kassel nahe. Die "Zahlungsbereitschaft" | |
liege im Schnitt 45 Prozent "über dem vermuteten Preisniveau", heißt es | |
dort. Die Hofläden allerdings stehen immer mehr in Konkurrenz zum | |
Fachhandel, der dem Verbraucher die Anfahrt erspart. | |
Gerade einmal zehn Kilometer entfernt vom Gut Wulksfelde liegt Gut | |
Wulfsdorf, nahe einer Endstation des Hamburger U-Bahnnetzes. Auch hier | |
reihen sich Mercedes, BMW und Audi auf dem Parkplatz auf. Auch hier ein | |
Supermarkt, immerhin 300 Quadratmeter. Und doch ist vieles anders: Stille | |
liegt auf dem Gelände, das ein Stallensemble zergliedert. Geflügel läuft | |
durch den Kräutergarten. Landidylle strahlt in jedem Winkel. | |
Ebenfalls seit 1989 betreiben hier Elisabeth und Georg Lutz auf 350 Hektar | |
ökologische Landwirtaschaft - nach den Demeter-Standards, anthroposophisch | |
also. Sie feiern das Jubiläum nicht. "Wissen Sie", sagt Elisabeth Lutz in | |
die Sonne blinzelnd, "wir sind so sehr von der Arbeit eingenommen, wir | |
schaffen es einfach nicht." Wirtschaftlich seien sie gesund, aber unter | |
Druck stünden sie schon seit in Ahrensburg und Volksdorf, nur ein paar | |
Kilometer weg also, Naturkosthändler ansässig seien. "Der Umsatz ist | |
letztes Jahr schon gesunken", sagt Lutz, ehe sie die "ersehnte Mittagsruhe" | |
einlegt. | |
"Marketing gibt es bei uns eigentlich nicht", sagt Martina Stresser. Sie | |
sitzt nebenan in einem kuscheligen Verwaltungsbüro und bastelt gerade am | |
Internetauftritt des Hofs. Eine "Preisspirale" vor allem sei das Problem | |
und Importe aus Osteuropa - wobei "wir noch jede Kartoffel verkaufen", sagt | |
Stresser lächelnd. | |
Doch eines irritiert: Gut Wulksfelde verlässt man als zufriedener Kunde - | |
mit Westebbes Überzeugung in der Einkaufstüte: Marketing und Expansion ist | |
Bio-Zukunft. Wer sich aber von Gut Wulfsdorf verabschiedet, fragt sich wohl | |
eher: Wie viel Marketing würde dieser Bauernhof eigentlich vertragen? | |
19 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Mart-Jan Knoche | |
## TAGS | |
Landwirtschaft | |
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