# taz.de -- Architektur: Unterschätzte Bauten | |
> Oft übersehen, vielerorts vom Abriss bedroht und doch ein | |
> architektonischer Schatz: die Kirchen der Nachkriegszeit. | |
Bild: Der „sozialistischen Umgestaltung“ fielen die Häuser der Fischerinse… | |
Über ihren prominenten Kollegen Frank Gehry erzählen sich Architekten den | |
Witz, er habe zu seiner Form gefunden, nachdem er wütend ein verpfuschtes | |
Skizzenblatt in den Mülleimer befördert hatte. Plötzlich inspiriert, | |
fischte er die zerknüllte Papierkugel wieder heraus und legte sie auf | |
seinen Schreibtisch: So und nicht anders sollte sein nächstes Gebäude | |
aussehen. | |
Ähnlich könnte es sich zugetragen haben, als die katholische Kirche St. | |
Maximilian Kolbe in Hamburg-Wilhelmsburg entworfen wurde. Von vorne sieht | |
sie mit ihrer geschwungenen Fassade, die in einen Turm ausläuft, wie ein | |
Streifen Papier aus, der sich an einem seiner Enden schräg zusammenrollt; | |
skulptural, ein wenig wie eine Kaprize der Kunst, ein wenig wie Gehry. | |
In der Kirche ist zur Zeit eine Ausstellung über Hamburgs Nachkriegskirchen | |
und den Planer von St. Maximilian Kolbe, den Bremerhavener Architekten Jo | |
Filke zu sehen. Klingt ein wenig abseitig, ist aber von großer Relevanz und | |
Brisanz. Relevant, weil die Architektur im Kirchbau der Nachkriegszeit ein | |
Experimentierfeld vorfand: Unzählige Gotteshäuser lagen in Schutt und | |
Asche, neu entstandene Stadteile brauchten neue geistliche Zentren. | |
Brisant, weil die Ergebnisse bis heute kaum angemessene Wertschätzung | |
erlangt haben und vielerorts bedroht sind. | |
"Baukunst von morgen!" lautet der Titel der Ausstellung selbstbewusst. Sie | |
greift damit ein Wort des Architekten Otto Bartnig auf, das er 1953 über | |
den Kichenbau fällte und womit er in der Rekonstruktionsdebatte der | |
Nachkriegsjahre wiederholt Position bezog. "Wiederaufbau? Technisch, | |
geldlich nicht möglich, sage ich Ihnen; was sage ich? - Seelisch | |
unmöglich", lautete sein Diktum schon 1946. Es erstaunt bis heute, dass | |
auch in kirchlichen Kreisen diese Abkehr von Tradition mitgemacht wurde - | |
und zwar nicht etwa nur in den reformierten Kirchen, sondern selbst noch in | |
dem Traditionsunternehmen, das die Katholische Kirche ist. Aber so wars und | |
so schrieb der katholische Publizist Walter Dirks: "Nur eins ist angemessen | |
und groß: den Spruch der Geschichte anzunehmen, er ist endgültig … Dem Mut | |
zur Zukunft entspricht die Entschlossenheit, Abschied zu nehmen von dem, | |
was unwiderruflich vorbei ist." | |
An der katholischen Kirche St. Maximilian Kolbe kann dieser Abschluss mit | |
dem, was war - die mit dem "Dritten Reich" diskreditierte Geschichte - | |
abgelesen werden. Passend, weil der Namensgeber als Märtyrer in einem KZ | |
starb, nachdem er versucht hatte, Juden vor dem Zugriff der Gestapo zu | |
schützen. | |
Die Kirche lässt an eine Art katholisches Bilderverbot denken: Nach außen | |
wirkt sie mit ihrem Sichtbeton hermetisch abgeschlossen, der Eingang liegt | |
fast versteckt an der Seite. Ein Kreuz gab es anfangs gar nicht, es wurde | |
erst in den späten 80er Jahren an der Rückseite angebracht. Auch | |
Kirchenschiff und Chor fehlen: Der Grundriss ist polygonal, wobei die | |
Stuhlreihen im Halbrund angeordnet sind und die Form der gewaltigen, | |
fächerartigen Dachbalkenkonstruktion aufnehmen. Das Licht fällt durch | |
schlichte Lamellenfenster herein. Ein Kruzifix hängt an der Wand, aber das | |
war es auch schon mit der Ausgestaltung. Keine Heiligenbildchen. Nicht | |
einmal von Kolbe. | |
Die reformierten Kirchen sind in der Reduktion freilich weiter gegangen. | |
Die Evangelisch-reformierte Kirche in der Hamburger Altstadt beispielsweise | |
kommt ohne Turm aus, ohne den erhobenen Zeigefinger der Sakralbauten. | |
Klobig wirkt sie von außen, mit ihrem billigen Industrie-Gelbklinker ein | |
wenig abstoßend. Wie so viele Kirchen der Nachkriegszeit überzeugt sie erst | |
von innen: Siebeneckig der unregelmäßige Grundriss, eine gefaltete | |
Holzdecke, schräge Wände, die von Fensterbändern eingefasst werden, und | |
eine große Betonglasfassade, die durch Grau- und Blautöne wie zerbrochen, | |
gefaltet, wie aus Scherben zusammengesetzt wirkt. | |
Nichts stört das komplexe und doch schlichte Zusammenspiel von Licht, Raum | |
und Farbe: Die Ausstattung beschränkt sich auf das Nötigste: die | |
Stuhlreihen, ein runder Tisch, der vielleicht einen Altar vorstellt, und | |
eine trapezförmige Kanzel, alles aus dem selben Holz. | |
Skulpturale Entwürfe, ungewöhnliche Raumkompositionen und erstaunliche | |
Lichtführung und -effekte: Das sind die architektonischen Werte, die die | |
Ausstellung den Kirchen der 1950er bis 1970er Jahre bescheinigt. Allgemein | |
anerkannt sind sie nicht. Das zeigt sich etwa, wenn es durch schrumpfende | |
Gemeinden zu Kirchenfusionen kommt. Regelmäßig bekommt da die ältere | |
Kirche, meist aus dem Historismus, den Zuschlag für die gottesdienstliche | |
Nutzung. Die Nachkriegskirchen aber verschwinden. Oft ohne dass ihre | |
Vorzüge auch nur einmal gewürdigt worden wären. | |
24 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Maximilian Probst | |
Maximilian Probst | |
## TAGS | |
Rekonstruktion | |
Architektur | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
DDR-Architektur und Nachwende-Rekonstruktion: Eine Geschichte, die es so nie gab | |
Der Architekturstreit über die Berliner Fischerinsel in der DDR gibt | |
wichtige Anregungen für die aktuelle Rekonstruktionsdebatte. | |
Stephan Trüby über Architekturpolitik: „Die Vergangenheit neu erfinden“ | |
Mit städtebaulichen Rekonstruktionen platziert die Rechte ihre Ideologie in | |
der Mitte der Gesellschaft. Der Architekturprofessor über rechte Räume und | |
Ästhetik. |