# taz.de -- Die arabische Welt und die Iran-Krise: Neid und großes Schweigen | |
> Die Öffentlichkeit in der arabischen Welt ist von den Vorgängen im Iran | |
> hin- und hergerissen. Einerseits wird der Mut der Protestler bewundert, | |
> andererseits fürchtet man Dominoeffekte. | |
Bild: Gebet in der Al-Azhar Moschee in Ägyptens Hauptstadt Kairo. Diei iranisc… | |
KAIRO tazAls Araber möchte man dieser Tage Iraner sein. Vielleicht | |
abgesehen von jenen Arabern, die die Ereignisse im Iran von der Warte des | |
verängstigten autokratischen Herrschers betrachten. "Die Iraner zeigen | |
Reife und Enthusiasmus und verteidigen ihre Stimme. Sie verdienen das Recht | |
der Auswahl mehr als andere. Ich wünschte, es gäbe ähnliche Verhältnisse | |
hier", bringt ein Kommentator der unabhängigen ägyptischen Tageszeitung | |
Al-Masri Al-Youm das auf den Punkt. "Die Araber betrachten all das im | |
Fernseher mit einem Gefühl von Einsamkeit und Neid", schlussfolgert auch | |
Rami El-Khouri von der Amerikanischen Universität in Beirut. | |
Als Gegengewicht dienen die zahllosen arabischen Regierungsorgane, die | |
nicht müde werden, darauf hinzuweisen, welch destabilisierendes Potenzial | |
die Ereignisse im Iran auf die Region haben könnten. Bemerkenswert ist auch | |
das große Schweigen der arabischen Präsidenten, Könige, Emire und | |
Revolutionsführer. | |
Bei einem näheren Blick erkennt man allerdings, dass sowohl die Regime als | |
auch die arabische öffentliche Meinung von den Ereignissen im Iran hin und | |
her gerissen sind. Einerseits freuen sich die Regierungen in Kairo, in Riad | |
und in Amman darüber, dass der Iran als regionaler Konkurrenzspieler | |
geschwächt wird. Doch gleichzeitig fürchten sie, dass die iranischen | |
Straßenproteste in ihren eigenen Ländern Schule machen könnten. Eine | |
Samtrevolution in seiner Nachbarschaft wäre des arabischen Herrschers | |
Albtraumszenario. "Die arabischen Regierungen machen kein Geheimnis aus | |
ihrem Missfallen gegenüber dem iranischen Regime und sie wären glücklich, | |
würde es gestürzt", schreibt El-Khouri. Aber "eine Veränderung, die durch | |
Straßenproteste herbeigeführt wird, mit einer Choreografie des Internets, | |
digitaler und geflüsterter Botschaften und nächtlichen Rufen auf den | |
Dächern, das macht ihre eigene Verwundbarkeit deutlich". | |
Die arabische öffentliche Meinung ist ebenfalls gespalten. Trotz aller | |
Gegensätze hat man den Iran immer auch dafür bewundert, dass er nun seit 30 | |
Jahren allem Druck der USA widerstanden hat. Die stärksten Gefühle hier | |
sind wahrscheinlich Neid und Bewunderung. Vor 30 Jahren haben die Iraner | |
durch eine Revolution ihre Führung gewechselt und nun stellen sie erneut | |
ihr System in Frage. Das Ganze zeigt auf schmerzliche Art und Weise die | |
arabische Passivität und Schwäche Veränderungen herbeizuführen. | |
Der Ausgang der iranischen Episode ist offen und damit ist es schwer für | |
die Strategiezentren in den arabischen Hauptstädten einzuschätzen, welche | |
Auswirkungen das Ganze auf die regionalen Machtverhältnisse haben wird. | |
Wird es etwa zu einer Machtverschiebung zwischen den beiden arabischen | |
Lagern kommen: dem "moderaten", das durch Verhandlungen mit Israel seine | |
Ziele erreichen will, und dem "radikalen", das das Wort "Widerstand" auf | |
seine Fahne geschrieben hat. Eine Schwächung des iranischen Systems | |
zusammen mit dem Obama-Faktor käme sicherlich den Regierungen in Ägypten, | |
Saudi-Arabien und Jordanien zugute. Damit würden alle im Orbit des Iran, | |
wie Syrien, die palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah an | |
Einfluss verlieren. | |
Doch anderseits könnte ein im Inneren geschwächtes iranisches System gerade | |
über seine Außenpolitik versuchen abzulenken. Alle Iraner, ob Konservative | |
oder Reformer, wollen, dass ihr Land in der Region eine starke Rolle | |
spielt. Ein Faktor, mit dem die angeschlagene iranische Führung wieder | |
versuchen könnte, eine Art nationale Einheit herzustellen, wie ihr das rund | |
um das Atomprogramm gelungen ist. | |
Auch für Israel selbst wird die iranische Bilanz zwei Seiten haben. Ein mit | |
sich selbst beschäftigter Iran stellt keine große Bedrohung dar. | |
Andererseits verliert der Premier Benjamin Netanjahu sein iranisches | |
Feindbild, auf das er immer gerne mit dem Finger deutet, wenn er auf einen | |
palästinensischen Staat und einem Stopp des Siedlungsbaus angesprochen | |
wird. | |
Gewonnen hat in arabischen Augen in jedem Fall Obama, der von vielen | |
arabischen Medien für seinen positiven und "reifen" Umgang mit der | |
iranischen Krise im Gegensatz zu Europa Lob erhalten hat. Denn darüber sind | |
sich die meisten arabischen Medien einig: eine zu einseitige amerikanische | |
Parteinahme für die Reformer hätte es für die iranische Führung einfach | |
gemacht, sie als westliche Agenten zu verunglimpfen und den iranischen | |
Patriotismus gegen sie auszuspielen. | |
29 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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