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# taz.de -- ZDF-Literaturkritikerin Amelie Fried: "Ich bin nicht Elfriede Jelin…
> Die Autorin und neue ZDF-Literaturkritikerin Amelie Fried über die
> Bedeutung des Lesens, gut gemachte Unterhaltung, Perfektionismus und
> typisch deutsche Vorbehalte.
Bild: Amelie Fried schreibt - und kritisiert ab 10. Juli fürs ZDF andere Autor…
taz: Frau Fried, was macht für Sie ein gutes Buch aus?
Amelie Fried: Ein gutes Buch erreicht für mich Herz und Hirn gleichermaßen.
Ich bin weder so eine hormonelle Leserin, die immer nur schwärmt: Hach, das
hat mich sooo berührt. Ich bin aber auch keine, die nur scharfsinnig
analysiert. Mich muss es emotional und intellektuell packen.
Wenn Sie einen flammenden Appell fürs Lesen halten müssten, wie würde der
klingen?
Leute, neben dem Leben, das ihr führt, neben der Welt, die ihr kennt, gibt
es unendlich viele andere Welten und die könnt ihr euch durchs Lesen
erobern. Ich bin da gar nicht missionarisch in dem Sinne, dass ich sage:
Ihr müsst aber lesen. Es tut mir einfach nur leid, wenn jemand diesen
Zugang nicht findet, weil ihm so unendlich viel entgeht.
Was war für Sie das prägendste Leseerlebnis?
Es gab nicht das eine Leseerlebnis. Ich habe schon als kleines Mädchen sehr
viel vorgelesen bekommen und konnte mit fünf schon lesen. Von da an las ich
ständig, erst die Kinderklassiker, später vieles aus der Bibliothek meines
Vaters. Ich hatte mal eine französische Phase, las Gide, Stendal, Zola,
fühlte mich sehr interessant und dachte, ich könnte bei Männern Eindruck
machen, wenn ich viele tolle Bücher kenne, aber das interessiert die
meisten Männer nicht so. Dann hatte ich eine Phase mit Anais Nin, Henry
Miller und Lawrence Durrell. Eines der prägendsten Bücher ist "Lichtjahre"
von James Salter. Dieses Buch handelt davon, dass man das Glück nicht
halten kann. Ich habe es kurz vor meinem 40. Geburtstag gelesen, wo man ja
als Frau immer ein bisschen mit dem Schicksal hadert. Das hat mich völlig
umgeworfen.
Wie würden Sie das Genre nennen, in dem Sie schreiben?
Das ist Unterhaltungsliteratur.
Ärgern Sie sich, wenn Sie mit Ihren Büchern in die Kategorie
Frauenliteratur gesteckt werden?
Für mich ist der Begriff Frauenliteratur dumm und diskriminierend. Was soll
das sein? Schwachsinn für Minderbemittelte? Nach welchen Kriterien wollen
wir das entscheiden? Die Autorin ist eine Frau? Reicht nicht. Es wird von
Frauen gelesen? Belletristik wird fast nur von Frauen gelesen. Es kommt
eine Frau drin vor oder die Heldin ist eine Frau? Auch das kommt
gelegentlich in anderer Literatur vor. Der Begriff ist ein sehr deutsches
Phänomen. Auch dass man sich immer dafür rechtfertigen muss, dass man "nur"
Unterhaltung schreibt. Warum? Es gibt Winzer, die stellen einen prima
Tafelwein her, der von vielen Leuten gern getrunken wird. Die werden dafür
auch nicht angegriffen. Sie sind trotzdem in der Lage, Spitzenweine zu
erkennen und zu beurteilen. Mich immer rechtfertigen zu müssen, das nervt
mich wirklich. Also, es tut mir leid, ich bin eben nicht Elfriede Jelinek.
Gibt es im Genre Unterhaltung auch noch Abstufungen?
Natürlich gibt es die. Ich ärgere mich, wenn ich genreübergreifend
verglichen werde, weil es da natürlich leicht ist, mir eins reinzuwürgen.
Aber wenn Sie es innerhalb des Genres vergleichen, dann denke ich schon,
dass meine Bücher eine gut konzipierte Geschichte haben, eine ordentliche
Dramaturgie. Die Figuren sind nicht nur Schablonen, sie machen eine
Entwicklung durch, die nachvollziehbar ist. Und es geht um durchaus ernste
Themen, nicht nur immer um "sie trifft ihn". Ich habe schon das
Selbstbewusstsein zu sagen: Innerhalb dieses Genres sind meine Bücher nicht
schlecht. Und sie werden von sehr vielen Menschen gerne gelesen.
Welche Leserin haben Sie beim Schreiben gedanklich vor sich?
Überhaupt keine. Ich kann nur Geschichten schreiben, die irgendwas mit
meinen Interessen, Erfahrungen, Empfindungen zu tun haben. Ich kann das an
einem Beispiel schildern: Als ich über die Geschichte meiner jüdischen
Familie recherchiert habe, stand ich zeitweise vor Abgründen. Alle
Gewissheiten sind erschüttert worden. Diese Empfindung habe ich zur
emotionalen Unterströmung meines Romans "Die Findelfrau" gemacht. Darin
geht es um eine Frau, die mit Ende 30 erfährt, dass sie ist nicht das Kind
ihrer Eltern ist. Auch sie steht eines Tages vor dieser Situation, dass
das, was sie über ihre Herkunft zu wissen glaubte, nicht mehr zutreffend
war. Die Geschichte ist eine andere, aber die Gefühle sind ähnlich. Ich
glaube, so kriegen meine Bücher was sehr Authentisches.
In Ihrem neuen Buch "Immer ist gerade jetzt" beschreiben Sie den
Ablöseprozess von Mutter und Tochter. Beruht auch das auf eigenen
Erfahrungen?
Ja. Vor zwei Jahren ging mein Sohn für ein Jahr nach Amerika, und ich hatte
vorher schlaflose Nächte und war ganz durcheinander, weil ich solche
Ablöseschmerzen empfunden habe. Denn mir war klar: Diese Nähe, die bisher
da war, die wird vielleicht nie wieder entstehen. Das war die Unterströmung
für dieses Buch. Und ich kann mich auch in die jugendliche Tochter noch gut
hineinversetzen.
Beim Lesen begegnen einem immer wieder Klischees. Wie wichtig sind sie in
dem Genre?
Das Genre funktioniert nach bestimmten Regeln. Also wenn mir gelegentlich
vorgeworfen wird, dass meine Bücher gut ausgehen, dann sag ich: Ja, liebe
Leute, wenn ich diese Art von Unterhaltung schreibe, dann müssen die Bücher
zumindest einen positiven Ausblick geben. Bei mir gibt es ja nie das nette
Geschenkpapier-Happy-End mit Schleife. Aber so eine Perspektive in der
Liebe, die muss man dem Leser einfach gönnen. Und was als klischeehaft
empfunden wird, ist ein Wiedererkennungseffekt. Ich denke nicht, dass das
ein Fehler ist in diesem Genre.
Wie stark feilen Sie an Ihrem Stil? Haben Sie Sätze, die Sie am liebsten
einrahmen würden?
Eher im Gegenteil. Bei den Lesungen streiche und verbessere ich und bastele
mir so eine Idealfassung, bei der ich mich ärgere, dass ich die nicht schon
im Buch drin habe. Ich bin sehr perfektionistisch und mir ist es wichtig,
eine anständige Sprache zu verwenden. Natürlich ist das eine einfache
Sprache, aber innerhalb des Stils muss es stimmen.
Sagen Ihre Freunde schon mal: Dass ist jetzt aber kein Futter für einen
Roman?
Meine Themen sind so verbreitet, dass man gar keinen Einzelfall beschreiben
muss. Wenn ich ganz bestimmte Elemente verwenden möchte, frage ich meine
Freundinnen vorher, ob ich das darf. Das Tolle ist ja: Die, die ich meine,
fühlen sich nicht gemeint. Ich hab in meinem ersten Roman meinem Exfreund
so richtig einen mitgegeben und ihn als ziemlich unsympathischen Typen
beschrieben. Jahre später sagte er zu mir: "Also Amelie, was ich ja nicht
verstehe: Wieso komm ich eigentlich in keinem deiner Bücher vor?"
Das ist eigentlich ein ganz gutes Ventil.
Das Buch "Der Mann von nebenan" hat mich von einem Mord abgehalten. Da gab
es einen heftigen Streit zwischen uns und einem Nachbarn, der uns
terrorisiert hat. Ich war irgendwann an dem Punkt: Entweder ich nehme jetzt
meine Gartenhacke und erledige diesen Typen oder ich muss ein Buch drüber
schreiben. Der Typ wird jetzt von meinen Heldinnen im Buch erlegt. Das war
eine solche Befreiung. Das ganze Dorf hat das Buch gelesen und später die
Verfilmung gesehen. Der Typ hat sich kaum mehr aus dem Haus getraut. Später
ist dann auch weggezogen.
Ab 10. Juli moderieren Sie mit Ijoma Mangold die neue ZDF-Literatusendung
"Die Vorleser". Wie wollen Sie sich von Ihren Vorgängern abheben?
Wir wollen aus beiden Sendungen Elemente übernehmen, die gut funktioniert
haben. Aus dem literarischen Quartett eine bestimmte Form des Diskurses.
Und aus der Sendung von Elke Heidenreich die Leidenschaft, mit der Bücher
empfohlen wurden. Aber es soll natürlich etwas Neues, Eigenständiges
entstehen. Wir haben schon festgestellt, dass wir einen unterschiedlichen
Zugang zu Büchern haben. Ijoma ist Literaturkritiker, ein Mann, 15 Jahre
jünger als ich. Ich bin eher so der Typ leidenschaftliche Leserin, schon
auch mit ein bisschen akademischem Background, aber nicht so wie er. Schon
allein daraus entstehen unterschiedliche Sichtweisen. Wenn dann noch der
Gast dazukommt, könnte das spannende Gespräche geben.
Welche Bücher wählen Sie für die Sendung aus und warum?
Theoretisch ist alles vorstellbar. Hätten wir vor einem Jahr angefangen,
als dieser Hype um "Feuchtgebiete" losging, dann hätten wir das wohl in der
Sendung diskutiert, einfach weil es ein Phänomen ist. Mein Ehrgeiz ist es,
Bücher zu finden, die ab vom Mainstream sind. Ich habe eine Entdeckung
gemacht, auf die bin ich wirklich stolz. Es ist ein wirklich ungewöhnliches
Buch und das ist eben noch nicht überall besprochen worden. Vielleicht kann
man so einem Buch einen Schubs geben. Das sehe ich als Zweck der Sendung
an. Es gibt da keine Hybris von wegen: Das ist uns zu trivial. Aber wir
haben Platz für sechs bis acht Bücher pro Sendung, da muss man genau
auswählen.
1 Jul 2009
## AUTOREN
Daniela Zinser
## TAGS
Thalia-Theater
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