| # taz.de -- Neues Chicks on Speed-Album: Nicht ganz auf der Höhe der Zeit | |
| > Chicks On Speed legen mit "Cutting the Edge" ein gelungenes Doppelalbum | |
| > vor, das vielleicht etwas zu "nineties" ist. | |
| Bild: Die Chicks, bisher unersetzlich, aber out of time: Akademischer Rrriot Gi… | |
| Gleich im allerersten Stück wird die Auferstehung des "Girl Monster" | |
| beschworen. Chicks on Speed sprechen die magische Formel "Rise from the | |
| dead!", und es erscheint: Ein Bausatz-Rrriot-Girl mit metallisch scharfen | |
| Fingernägeln, eine ferngesteuerte Killerinsektenmaschine, ein "Fembot", der | |
| super tanzen und singen kann, noch superer aussieht und mit allen Wassern | |
| der Girlie-Subkultur-Geschichte gewaschen ist. Ob das jetzt toll ist oder | |
| schrecklich, ob Chicks on Speed da Madonna, Lady Gaga, das neue | |
| Popkultur-Magazin Missy oder sich selbst als hyperauthentische Kunstfiguren | |
| auf die Schippe nehmen - zwölf Jahre nachdem drei nichtdeutsche Münchner | |
| Kunststudentinnen die Chicks on Speed aus der Taufe hoben, tut ein bisschen | |
| wohlklingend ironische Materialisationsmagie zu Beginn ihres neuen Albums | |
| "Cutting the Edge" gut. | |
| Die Chicks, die nach dem gemeinsam mit dem Technoproduzenten Cristian Vogel | |
| zusammengeschraubten, recht verhakelten letzten Werk "Press The Spacebar" | |
| (2004) und dem Ausstieg von Kiki Moorse nur noch zu zweit sind, beschwören | |
| aber ihre artifizielle Superheldin sicher nicht aus Unsicherheit heraus. | |
| Wild waren sie unterwegs in den letzten Jahren, entwarfen Modekollektionen, | |
| performten im MoMa und im Centre Pompidou, arbeiteten in Musikdingen mit | |
| WhoMadeWho, Mark Stewart, Patrick Pulsinger und dem britischen | |
| Produzententeam A Scholar and Physician. Entsprechend aufgekratzt, oftmals | |
| auch wieder absichtsvoll nervig hühnerhaft überdreht, singen, shouten und | |
| schreien sich Melissa Logan und Alex Murray-Leslie durch den fünften | |
| Longplayer ihrer musikalischen Existenz, "Cutting the Edge" ist ein | |
| Doppelalbum geworden. | |
| Darauf wird allerdings weniger eine topaktuelle Musikinnovation zelebriert | |
| als vielmehr genüsslich mit Schere und Papier an Fembot-Anziehpuppen | |
| geschnipselt (Scheren, Nähmaschinen und aus Highheels selbstgebastelte | |
| Gitarren kommen häufiger mal vor, auch soundmäßig). Das Album hat 18 | |
| vollwertige Lieder und einige kleinere Intermezzi, viele Mitsingsongs, | |
| käsig georgelte Anschmiegungen an die Sechzigerjahre in der Surf- und | |
| Beatmusik, einigen Eurotrash, eine Kraftwerk-Referenz sowie ein paar | |
| modernere Einsprengsel aus der Electroclash-, Clubmucke-, ja gar der | |
| Dubstep-Ecke. Die Themen umfassen folgendes Spektrum: Supergirls, | |
| Vibratoren, die Kontrollgesellschaft, Billigfliegerei, die ewige Frage nach | |
| Original oder Kopie, viel Do it Youself, Sex in der Stadt. Und natürlich | |
| den fiesen, geldgeilen, männerfixierten Kunstmarkt. Das bereits zwei Jahre | |
| alte Stück "Art Rules" ist mit Gastsänger-Starkünstler Douglas Gordon der | |
| unumstrittene Hit des Albums. | |
| Die Welt der Chicks on Speed ist auch im Jahr 2009 noch ein | |
| crafting-affines, spielerisch feministisches La-La-Land, in dem es wimmelt | |
| von handgemachten Kostümen mit eingebauten Effektgeneratoren, nett | |
| verpackten kritischen Ansätzen und vielen MitproduzentInnen aus der großen | |
| weiten Welt der antimaterialistischen Kreativelite. In zwölf Jahren haben | |
| sich Chicks on Speed eifrig und umtriebig zu einer Marke gemacht: Sie sind | |
| laut und schlau, bunt und gewitzt, kollaborativ und autonom. Sie haben was | |
| gegen die Mechanismen des Kunstbetriebs und die Genderrollen in der | |
| Popkultur, aber testen sie auch immer wieder, in Wort, Klang und Tat, in | |
| einer Mischung aus Provokation, Verarsche und Dazugehörenwollen selbst aus. | |
| In all ihrer ausgestellten, megafonbewehrten Widerspenstigkeit sind sie | |
| schon lange feste Ensemblemitglieder im Kunst- und Musikzirkus der | |
| artsy-fartsy Indiewelt. | |
| Und wenn sie jetzt ein fettes Doppelalbum veröffentlichen, das musikalisch | |
| nach Popkriterien ihr bislang bestes, weil eingängigstes ist, dann ändert | |
| das nichts daran: Die Chicks-Haltung (akademischer Rrriot Girlism plus Glam | |
| plus DIY plus Kunstfeldbashing) fühlt sich - so super und von noch nichts | |
| Besserem ersetzt sie auch sein mag - nicht mehr contemporary an, sondern oh | |
| so nineties. Wirklich interessant geht anders. | |
| 1 Jul 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Kirsten Riesselmann | |
| Kirsten Riesselmann | |
| ## TAGS | |
| Feminismus | |
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