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# taz.de -- Hamburger Institut für Sozialforschung: Die Zivilgesellschaft tanz…
> Das Hamburger Institut für Sozialforschung feiert sich selbst zum 25.
> Geburtstag und den 60. der Bundesrepublik mit der Tagung "Im Blick der
> Nachbarn".
Bild: Das bekannteste Projekt des Instituts: Die Wehrmachtausstellung.
Im Garten des Instituts war ein Wunder geschehen: Wo gewöhnlich der
Parkplatz liegt, stand ein Festzelt, die Treppe zum Souterrain des Hauses
war illuminiert. Geladen hatte das Institut für Sozialforschung zum
Sommerfest, man feierte zugleich seinen 25. Geburtstag. Jan Philipp
Reemtsma, der Mann, ohne dessen erbschaftsgenerierte Finanzen diese
Denkfabrik nicht hätte existieren können, sagte nach der Festansprache, in
der eben dies in vielerlei Dank gekleidet wurde, lediglich ein knappes
"Danke" - und betonte später, der Geburtstag spiele keine besondere Rolle,
denn seinen eigenen vergesse er beinahe auch Jahr für Jahr.
Das darf man hanseatisches Understatement heißen, denn das HIS hat sich in
den 25 Jahren zu einer der einflussreichsten intellektuellen Orte der
Bundesrepublik entwickelt, und nicht nur die Wehrmachtsausstellung der
mittleren Neunziger hat diesen Ruhm begründet, aber vor allem sie.
Dabei waren es nie allein die Themen, die das HIS promotete - sie allein
waren längst in akademischen Verhältnissen geborgen, neben
Wehrmachtsforschung, die zur Integration von MigrantInnen, die zum
postindustriellen Prekariat oder zur Gewalt schlechthin. Das HIS vermochte
Akademisches mit extremer Aufmerksamkeitsorganisation zu verknüpfen:
Science goes Pop!
Die eigentliche Ironie dieser Institutsgeschichte ist, dass ein Projekt aus
einer linken Vorgeschichte heraus geboren wurde - und heute ein
konservativ-liberaler Bürgermeister Ole von Beust nicht müde wird, dem
Institut und seinem Leiter zu gratulieren: Das hätte das linke Juste milieu
vor einem Vierteljahrhundert für unwahrscheinlich, obendrein für
unerwünscht gehalten. Der Beifall vom Landesvater kann auch als Applaus
gedeutet werden, dass die Ansprüche Linker und Libertärer, im Mainstream
nicht aufzugehen, sondern dessen Fluss mit zu bestimmen, aufgegangen ist.
Und es zählte nicht zu den unwichtigsten Kniffen des HIS-Geburtstags, dass
das Haus eine Tagung unter dem Titel "Im Blick der Nachbarn. Die
Bundesrepublik nach sechzig Jahren" veranstaltete. Die Geladenen
attestierten der Bundesrepublik viel Freundliches. Der Pole Janusz Reiter
unterstrich, dass Deutschland keine Gefahr mehr für sein Land sei; Michael
Werner vom Centre Interdisciplinaire dÉtudes et de Recherches sur
lAllemagne in Paris erkannte in deutsch-französischen Annäherungen seit dem
Zweiten Weltkrieg eine vorsichtig gelingende Kommunikation, die freilich
gut in der Europäisches Union eingebettet sei.
Peter J. Katzenstein, Professor für Internationale Studien an der Cornell
University, Ithaca, war der Erste, der Kühles zu bedenken gab: Die
Bundesrepublik bilde sich zu viel ein auf ihre Zivilität und ihre Ferne zu
kriegerischen Fantasien - in Wahrheit sei es gerade die ökonomische Potenz
Deutschlands, die nicht minder global um Einfluss sucht und findet.
Der dänische Sozialwissenschaftler Gösta Esping-Andersen analysierte aus
skandinavischer Sicht, dass die Sozialstaatsmodelle Nordeuropas keineswegs
exklusiv linker Provenienz seien. Gucke man aus seiner Gegend auf
Deutschland und sein katholisch inspiriertes Muster von
Subsidiaritätsstrukturen, an dessen Ende Frauen immer nur Hausfrauen und
Mütter blieben, die Kinder an Eltern geknüpft blieben, das Individuum stets
in familialen oder Klassenherkünften gekettet bliebe, dann erkennte man ein
sozialstaatliches "Verbrechen". Espen-Andersens schroffer Blick auf die
Normalverhältnisse war wohltuend: Das Modell Deutschland als ein gerade in
postindustriellen Zeiten strukturell notwendiges misslingendes.
Aber auch das löste, zumal in einem Rahmen der Festtage, keinen wütenden
Affekt aus. Es mag einen Zusammenhang geben zwischen der Zufriedenheit von
Linken und Libertären über die fast störungsfreie Reise in den sich
schätzenden und gratulierenden Mainstream und einem Bewusstsein vom
Schlechten, das in der (deutschen) Welt mit der Ankunft und den Wünschen
von MigrantInnen nach Teilhabe bleibt. Das Potenzial des Hungers nach
Anerkennung und Partizipation, wie es Espen-Andersen formulierte, bleibt -
aber an den Tischen des Sattwerdens scheint es in Deutschland keine Stühle
zu geben. Stattdessen, so murmelte es an den Seiten des Lichthofs, würden
Debatten stellvertretender Theorie geführt.
Sie fanden in dem Italiener Gian Enrico Rusconi ihr Ventil. Der Professor
für Politik an der Universität Turin wagte einen anderen Blick auf das
System Berlusconi. Rusconis Vortrag bestach durch die Kälte der Analyse des
Begriffs von Zivilgesellschaft. Eine Linke, die gegen das Großeganze immer
nur diese Vokabel ins Feld führe, verkenne, dass Berlusconi deren
Verwahrheitung sei. Er liebe das Informelle, das Kommunikative mit dem Volk
- und sei deshalb sehr nah an der klassisch-linken Verachtung für formale
Strukturen. Gramsci - ein Theoretiker des Medienministerpräsidenten? Ein
Regierungschef, der im Wortsinn alle Fäden zur Zivilgesellschaft in Händen
halte - und wisse, was es gut fände? Rusconi gründlich verstanden, muss
Gramsci und seine Verherrlichung von Informalität und einer Kultur des
(auch immer: völkisch) Ungefähren anders gelesen werden.
Das war ein feiner Ertrag dieser Tagung: dass da einer aus den Abgründen
einer an sich selbst gescheiterten Linken Italiens kommt und betont, dass
man mit der tröstlich gemeinten Dichotomie zwischen den bösen Oberen und
gutgesinnt Unteren nicht weiter kommt, schon gar nicht im Namen des Volks.
Das HIS hat wahrscheinlich die beste Tagung zum 60. Geburtstag der
Bundesrepublik ausgerichtet - und für dieses Urteil spielt auch eine Rolle,
dass Jan Philipp Reemtsma dieses Datum in seiner Eröffnung der Tagung
gleich ins rechte Verhältnis setzte: Deutsche Identitätsfragen, Golo Mann
zitierend, seien ihm einerlei, außerdem könne man keine Gratulation
abstatten für den selbstverständlichen Umstand, so Susan Neiman zitierend,
"dass man so lange niemanden mehr überfallen hat".
Beide Geburtstage, die des HIS wie der Bundesrepublik, umrissen keine
"biblischen Dimensionen". Aber ein Gehege an Fertigem, an Zufriedenem. Was
und wer in Hamburg zu Wort kam, war, zusammengenommen, eine Bilanz des
Zufriedenen. Man hat geholfen, die Bundesrepublik über sich selbst
aufzuklären, und nicht einmal mit Wenigem.
6 Jul 2009
## AUTOREN
Jan Feddersen
Jan Feddersen
## TAGS
Theodor W. Adorno
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