# taz.de -- Unbekannte Uiguren: Im Schatten des Dalai Lama | |
> Das Los der Uiguren rührt im Westen nur wenige. Während die Tibeter | |
> weltweit bekannt sind, wissen die meisten fast nichts über ihre | |
> nördlichen Nachbarn. Woran liegt das? | |
Bild: Wer sind diese Frauen - und was wollen sie eigentlich? | |
Das Problem fängt schon bei den Namen an. Wie heißt noch mal die | |
chinesische Provinz, in der derzeit die Unruhen herrschen? Und welche | |
Schreibweise ist die richtige für die Minderheit, um die es dabei geht? | |
Uiguren oder Uighuren? Wer sind sie, und warum begehren sie auf? Das Bild | |
der Uiguren im Westen ist verschwommen. Während ihre südlichen Nachbarn mit | |
dem Dalai Lama ein weltweit bekanntes Markenzeichen haben, liegen die | |
Anliegen der muslimischen Bewohner Xinjiangs im Dunkeln. Ein Vergleich der | |
beiden "autonomen Regionen" zeigt, wie viel sie gemeinsam haben - und dass | |
sie Entscheidendes trennt. | |
Das Schicksal Tibets und das Xinjiangs ähneln einander sehr. Beide | |
Provinzen sind dünn besiedelt, liegen im tiefen Westen Chinas. Ihre | |
Bewohner fürchten wegen des gezielten und massiven Zuzugs von Han-Chinesen | |
um ihre kulturelle Eigenständigkeit. Offiziell genießen die insgesamt rund | |
5 Millionen Tibeter wie die etwa 9 Millionen Uiguren Vorteile gegenüber den | |
Han-Chinesen: Als anerkannte ethnische Minderheiten sind sie nicht an die | |
Ein-Kind-Politik gebunden. Ihre Kultur wird offiziell als schützenswertes | |
Erbe Chinas gepriesen. Tourismus und Industrie bringen Geld in den rauen | |
Westen. Dies sind einige der vielen Parallelen zwischen Tibet und Xinjiang. | |
Doch ihre Wahrnehmung im Westen könnte kaum unterschiedlicher sein. | |
Mit dem Dalai Lama hat die Sache der Tibeter, die nach mehr | |
Eigenständigkeit rufen, einen nicht zu überschätzenden Anwalt. Der ewig | |
lächelnde, auf interessante Art fremdartig wirkende 74-Jährige befriedigt | |
die Sehnsucht vieler Westler nach einer bewundernswerten Autorität. Seine | |
Botschaften von Friedfertigkeit und Kooperation kommen besonders gut an in | |
Europa, das sich nach einem Jahrhundert heißer und kalter Kriege nach Ruhe | |
sehnt. | |
Hinzu kommt eine vage Sehnsucht vieler Westler nach Spiritualität, die sie | |
im Buddhismus finden. Und mit dem beeindruckenden Panorama des tibetischen | |
Hochlands und der ehemaligen Residenz des Dalai Lama in Lhasa bietet sich | |
ihnen obendrein eine eindrückliche Sehnsuchtslandschaft. Kurzum: Fast jeder | |
Europäer hat ein Bild Tibets im Kopf, und meist ist es ein positives. | |
Für diesen Gefühlsexport vieler Europäer können die Tibeter natürlich | |
nichts. Doch sorgen diese Faktoren für eine starke Identifizierung mit der | |
fernen Bergregion. Xinjiang hingegen fehlt all dies. | |
Schon oft hatten die Uiguren Pech. Eingeklemmt zwischen mächtigen Nachbarn, | |
wurden sie von diesen als Verhandlungsmasse benutzt. Das kommunistische | |
China nutzt das karge, von Wüsten geprägte Land als Puffer zwischen sich | |
und den Nachbarn Russland, Afghanistan, Pakistan und Indien. In den | |
60er-Jahren zündeten die Chinesen hier stolz ihre Atombomben. Heute | |
profitiert das 1,3-Milliarden-Land von Xinjiang als Hauptanbaugebiet für | |
Baumwolle und von den Bodenschätzen. Für wirkliche Autonomie in Xinjiang, | |
der "neuen Grenze", ist da aus Sicht Beijings kein Platz. | |
Mitgefühl im Westen gibt es für dieses Dilemma relativ wenig. Ein Aufschrei | |
blieb aus, als die jahrhundertealte Innenstadt von Kaschgar, dem religiösen | |
und kulturellen Zentrum Xinjiangs, zerstört wurde. Das liegt zum einen | |
daran, dass es hierzulande an Wissen fehlt. Hinzu kommen wieder einmal | |
weltpolitische Entwicklungen, auf die die Uiguren keinen Einfluss haben. | |
Heute leiden die Uiguren, seit dem 13. Jahrhundert weitgehend muslimisch, | |
unter der Furcht vor einem weiteren Erstarken des Islamismus. Nach den | |
Anschlägen vom 11. September ließ sich Chinas Zentralregierung die Chance | |
nicht entgehen, den Kampf gegen aufbegehrende Uiguren als Schlacht im | |
weltweiten "Krieg gegen den Terror" zu deklarieren. | |
UNO und USA taten Beijing den Gefallen, die Ostturkestanische Muslimische | |
Bewegung auf die Liste internationaler Terrororganisationen zu setzen. | |
Chinas Regierung kann so behaupten, bei ihrem Kampf gegen Aufständische in | |
Xinjiang im Einklang mit dem Westen zu handeln. Zudem wurden im | |
US-Gefangenenlager Guantánamo auch 22 Uiguren festgehalten. | |
Es sieht nicht gut aus für die Anliegen der Uiguren. Der Dalai Lama wird | |
heute weltweit von Regierungs- und Staatschefs zum Besuch empfangen. 17 der | |
Uiguren aus Guantánamo sollen nach ihrer Freilassung mit Mühe und Not | |
Aufnahme finden im Inselstaat Palau. | |
9 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
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