# taz.de -- Portrait der "Mutter der Uiguren": Pekings Sündenbock | |
> Rebiya Kadeer ist Sprecherin der Exil-Uiguren. Die neunfache Mutter ist | |
> skrupellose Geschäftsfrau, war einst Chinas Vorzeige-Uigurin. Bis sie in | |
> Ungnade fiel. Nun nennt Peking sie "Drahtzieherin". | |
Bild: Soll nun an allem Schuld sein: Rebiya Kadeer. | |
BERLIN taz | Für die Regierung in Peking ist sofort klar gewesen, dass | |
Rebiya Kadeer hinter den gewalttätigen Unruhen in Ürümqi steckt, der | |
Hauptstadt von Chinas Nordwestprovinz Xinjiang. Denn in der Logik der | |
chinesischen Propaganda kann so viel Gewalt nur von Außen kommen. Das war | |
schon im März 2008 bei den Unruhen in Tibet so, als Peking den Dalai Lama | |
umgehend zum Alleinverantwortlichen erklärte. | |
Laut der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua habe die Polizei in den | |
vergangenen Tagen Telefongespräche Kadeers aufgezeichnet, die belegten, | |
dass sie „Drahtzieherin“ der Unruhen in Ürümqi sei. Ein Kommentar des | |
KP-Blatts Volkszeitung vergleicht sie mit dem Dalai Lama und nennt sie eine | |
„eiserne Separatistin, die gemeinsame Sache mit Terroristen und islamischen | |
Extremisten macht, und eine Aufwieglerin, die unaufhörlich ihre Anhängern | |
in und außerhalb Chinas zur Unruhe anstiftet“. | |
Die seit 2005 im Exil bei Washington in den USA lebende Kadeer weist die | |
Vorwürfe zurück und sagt, sie habe nur mit ihrem Bruder in Ürümqi | |
telefoniert und ihn aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Von so viel | |
Bekanntheit und Einfluss wie dem Dalai Lama kann Kadeer ansonsten nur | |
träumen. | |
Zwar wurde sie auch schon vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush | |
empfangen. Aber bisher war die Präsidentin des in München ansässigen | |
„Weltkongresses der Uiguren“ den meisten so unbekannt wie ihr muslimisches | |
Turkvolk im Nordwesten Chinas vor dem Versuch, das US-Gefangenenlager in | |
Guantánamo zu schließen und dort einsitzende Uiguren nicht an Peking | |
auszuliefern. | |
„Unser Schicksal ähnelt dem der Tibeter – wir werden von China auch wie | |
diese behandelt und gefoltert“, sagt Kadeer. Öffentlich tritt die | |
62-Jährige, die sich selbst „Mutter der Uiguren“ nennt, meist mit einer | |
Doppa auf. Die traditionelle viereckige bestickte Kappe trägt sie über | |
ihren geflochtenen langen Zöpfen. | |
Chinas einstige Vorzeige-Uigurin saß selbst fünfeinhalb Jahre im Gefängnis. | |
Auch sie wirft Peking „kulturellen Völkermord“ an ihrer Volksgruppe vor, | |
wie dies der Dalai Lama im Hinblick auf die Tibeter macht. Kadeer beziffert | |
die Uiguren mit 20 Millionen, China spricht dagegen von sieben Millionen. | |
Kadeer nennt ihre Heimat, die viermal so groß wie Deutschland ist, | |
Ostturkestan. | |
Peking nennt das 1949 annektierte Gebiet mit vormals wechselhaftem Status | |
dagegen Xinjiang („Neue Grenze“). Als Tor zu Zentralasien hat es für China | |
großen strategischen Wert. | |
„China greift unsere ethnische Identität an“, sagte Kadeer im April 2008 | |
vor der Presse in Berlin. Sie neigt dazu, Worte mit eindringlichen | |
Armbewegungen zu unterstreichen. Sie spricht von Zwangsumsiedlungen und | |
-assimilationen, der Unterdrückung der uigurischen Sprache und Kultur, | |
Vertreibungen und willkürlichen Festnahmen. | |
„Wir wurden in unserer Heimat Bürger zweiter Klasse.“ Wie in Tibet würden | |
auch in ihrer Heimat systematisch Han-Chinesen angesiedelt. Die seien | |
inzwischen zahlenmäßig stärker als die Uiguren. | |
Neunfache Mutter, Eltern Goldsucher | |
Die mit mehreren Menschenrechtspreisen ausgezeichnete und bereits viermal | |
für den Friedensnobelpreis nominierte Kadeer stammt von armen Eltern ab. | |
Die suchten bei ihrer Geburt im Altay-Gebirge gerade Gold. Mit 15 wird sie | |
an einen wohlhabenden Uiguren verheiratet. | |
Als sie sich mit 27 scheiden lässt, ist sie bereits sechsfache Mutter. Sie | |
eröffnet einen Waschsalon und beginnt Geschäfte zu machen. 1978 heiratet | |
sie den uigurischen Gelehrten und Regierungskritiker Sidik Rouzi. Mit ihm | |
hat sie drei weitere leibliche sowie zwei adoptierte Kinder. | |
Gewinne ein Uigure in der Bevölkerung an Einfluss, gebe ihm die Regierung | |
ein Amt, um Macht über ihn zu gewinnen und auf ihre Seite zu ziehen, heisst | |
es in ihrer auf deutsch von Alexandra Cavelius aufgeschriebenen und 2007 | |
veröffentlichten Autobiografie „Die Himmelsstürmerin“ (Heyne-Verlag, | |
München) über ihre Erfahrungen. So wurde Kadeer 1992 Delegierte des | |
Nationalen Volkskongresses in Peking, des Scheinparlaments. 1995 gehört sie | |
Chinas offizieller Delegation der Weltfrauenkonferenz in Peking an. | |
Skrupellose Geschäftsfrau | |
Als Geschäftsfrau feierte Kadeer Erfolge. Skrupellos nutzte sie die | |
Umbrüche in China und Zentralasien aus. In Ürümqi eröffnet sie einen Markt | |
und 1992 das erste Kaufhaus überhaupt. Sie wird Chinas reichste Frau. In | |
ihrer Biografie räumt sie offen die Beteiligung an der gängigen Korruption | |
ein. Den angehäuften Reichtum rechtfertigt sie damit, dass sie nur so etwas | |
für ihr Volk habe tun können. So initiiert sie die | |
„Tausend-Mütter-Bewegung“, die Uigurinnen zu selbstbewussten | |
Geschäftsfrauen ausbildet. | |
Doch als Kadeer 1997 vor dem Volkskongress die Zustände in ihrer Heimat | |
kritisiert, fällt sie in Ungnade. Bald verliert sie alle Ämter und ihren | |
Reichtum. Im August 1999 wird sie verhaftet. Sie wollte ihrem inzwischen im | |
US-Exil lebenden Mann Material über Menschenrechtsverletzungen zuschicken. | |
Wegen „Verrats von Staatsgeheimnissen“ wird sie zu acht Jahren Gefängnis | |
verurteilt. | |
„In den ersten Monaten im Gefängnis vermisste ich mit jeder Faser meines | |
Körpers meine Familie und meine Freunde. Nach Monaten der Einzelhaft sehnte | |
ich mir nur noch nach der Nähe meiner irgendeines anderen Menschen, und ich | |
hoffte sogar: 'Vielleicht kommt jemand, um mich zu verhören'“, schreibt | |
sie. Aufgrund internationalen Drucks kommt sie im März 2005 frei. Kadeer | |
darf schließlich in die USA zu ihrem Mann ausreisen. | |
Seit November 2006 führt sie, was für eine Frau in der männerdominierten | |
uigurischen Gesellschaft ungewöhnlich ist, die Exilvereinigung der Uiguren. | |
„Sie hat die Position wegen ihres hohen Ansehens“, sagt Ulrich Delius von | |
der Gesellschaft für bedroht Völker. „Sie ist ein Aushängeschild, das | |
versteht zu gewinnen.“ | |
Er hat Kadeer mehrfach bei Besuchen in Deutschland betreut. Aus Rache für | |
ihre Exilaktivitäten hat Peking zwei ihrer in China verbliebenen Söhne zu | |
neun und sieben Jahre Haft verurteilen lassen. Laut Delius müsse sie | |
deshalb immer wieder abwägen, wieweit sie in ihrer Kritik an Chinas | |
Regierung gehen kann. | |
Aus Sicht Pekings verkörpert Kadeer „die drei Übel“: Separatismus, | |
Islamismus und Terrorismus. Seit den Terroranschlägen vom 11. September | |
2001 in New York und Washington diffamiert Peking Uiguren, die sich für | |
ihre Rechte einsetzen, pauschal als Terroristen. Dabei helfen vereinzelte | |
Verbindungen von Uiguren zu Islamisten in Zentralasien, Afghanistan und | |
Pakistan. | |
Die größten Verlierer des 11. September | |
„Wir Uiguren zählen zu den größten Verlierern des 11. September“, meint | |
Kadeer. Denn heute wende die Regierung in Peking gegen die Uiguren | |
Sicherheitsgesetze an, die sie früher nicht getraut hätte in Kraft zu | |
setzen. | |
Kämpft Kadeer für ein unabhängiges Ostturkestan? Sie wolle die | |
Selbstbestimmung ihres Volkes, sagt sie ausweichend. „Der Dalai Lama hat | |
gesagt, er ist mit Autonomie einverstanden. Trotzdem werden die Tibeter | |
weiter unterdrückt, und der Dalai Lama wird weiter von Peking als Feind | |
betrachtet. Deshalb kämpfe ich nicht für Autonomie oder Unabhängigkeit, | |
sondern für die Menschenrechte der Uiguren.“ | |
Über den künftigen Status ihrer Heimat könnten die Uiguren erst | |
entscheiden, wenn die Voraussetzungen für eine freie Wahl geschaffen seien. | |
Hinweise auf ein politisches Programm finden sich in ihrer stellenweise | |
sehr pathetischen Autobiografie nicht. „Ihre Schwäche ist sicher das | |
analytische Element“, sagt Delius. „Sie ist keine Politologin.“ | |
Die bisher nicht belegten Vorwürfe Pekings gegen Kadeer dürften jetzt ihre | |
internationale Bekanntheit massiv fördern und damit auch ihren Einfluss, | |
zumindest im Exil. | |
8 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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