# taz.de -- Übergangs-Gesellschaft DDR: Glotzt ruhig auch mal romantisch! | |
> Gesichter auf Republikflucht: Eine große Ausstellung in Berlin zeigt die | |
> Fotografie der untergehenden DDR. Bilder, die von der romantischen Idee | |
> des authentischen Individuums beseelt sind. | |
Bild: Durfte im SED-Staat nicht ausgestellt werden: Foto aus der Serie "Punk in… | |
Bis zuletzt wurde die Fassade von Ordnung, Disziplin und uniformer | |
Teilnahme am ostdeutschen Kleinbürgersozialismus aufrechterhalten: Als | |
Regunglosigkeit über makellos weißem Kragen zeigt sie sich im Gesicht des | |
Soldaten der Nationalen Volksarmee, der Unter den Linden Dienst tut. Sein | |
Bild ist Teil der Serie "Passanten unter den Linden, 2. Oktober 1990" des | |
1927 geborenen Fotografen Arno Fischer. Ob die ins Leere blickenden Augen | |
des jungen Paradesoldaten stolzer Ausdruck eines ungebrochenen Glaubens an | |
den Sozialismus und das deutsch-demokratische Vaterland sind oder ob auch | |
hier, im warmen Körper der Nationalen Volksarmee, der Widerstandswille | |
triumphiert, der die marode Ordnung draußen längst hinweggefegt hat - wer | |
will das beurteilen? | |
Fischers Bilder von Passanten in der Hauptstadt der DDR an ihrem letzten | |
Tag sind jetzt - 20 Jahre nach dem Mauerfall - in der Ausstellung | |
"Übergangsgesellschaft" in der Akademie der Künste zu Berlin zu sehen. Sie | |
bilden einen deutlichen Kontrast zu der Mehrzahl der hier gezeigten Fotos | |
einer jüngeren Generation von Fotografen, die beinahe allesamt Mitte der | |
Fünfziger geboren sind. Sie werfen ihren Blick hinter die Kulissen des | |
Staatstheaters und zeigen vor allem eins: "echte Menschen". Die | |
80er-Jahre-Fotografie der DDR entwirft das Bild einer überwinternden | |
Subjektivität. Exemplarisch zeigt die Ausstellung, wie die DDR-Bürger sich | |
von ihrem Staat abgewandt und in den Kokon des Privaten zurückgezogen | |
haben. | |
Helga Paris fotografiert Menschen in ihren Privaträumen. Angela Fensch | |
zeigt Mütter mit ihren Babys, um Jahre später noch einmal zu ihnen | |
zurückzukehren. Der für seine Architekturfotos bekannte Ulrich Wüst hat | |
vier Jahre lang die Besucher seiner Wohnung gefragt, ob er sie jetzt sofort | |
fotografieren könne. Die so entstandene Sammlung dokumentiert all jene, mit | |
denen Wüst in jenen Jahren in Kontakt stand. Thomas Florschuetz hat | |
ebenfalls eine Serie von Porträts aufgenommen, wobei die Köpfe auf dem | |
unteren Rand der Fotografie zu ruhen scheinen, als sei es darum gegangen, | |
wirklich nur die Gesichter einzufangen, die sich und die anderen ihres | |
lebendigen Kerns mittels eines melancholischen Habitus versichern. Dabei | |
sollte es im Lichte der fortschrittlichen, also munter in die Zukunft | |
schreitenden sozialistischen Gesellschaft offiziell nur muntere Gesichter | |
geben. | |
Cornelia Anke zum Beispiel, 22 Jahre alt, bereits fünf Jahre in dem | |
Wäschereibetrieb tätig, in dem sie porträtiert wurde, sieht nicht nur wegen | |
des schwarzen Kajals um ihre Augen anders aus, als man sich eine glückliche | |
Werktätige wohl vorzustellen hatte. Aus ihr spricht unterdrückter Zorn. Es | |
ist zwar nicht statthaft, aus dem Gesicht dieser Einzelnen eine Haltung zum | |
gesellschaftlichen Ganzen herauszulesen, wohl aber aus der Entscheidung des | |
Fotografen Frank Gaudlitz, ein solches Gesicht als Ausdruck des zwar nicht | |
Normalen, aber eben real existierend Alltäglichen zu zeigen. Dasselbe gilt | |
für die Punks, die Christiane Eisler für ihre Diplomarbeit fotografierte, | |
aber nicht ausstellen konnte, weil es Punks nicht geben durfte. | |
Zwar hat Roger Melis nicht nur Heiner Müller 1990 beim Besprayen der Mauer | |
abgelichtet, sondern auch eine Malerbrigade, die 1980 in Marzahn Brotzeit | |
macht. Doch wird hier nicht die Arbeit im Arbeiter-und-Bauernstaat | |
dokumentiert. Auch in Rudolf Schäfers Serie erscheinen Arbeitskollektive, | |
doch gehören sie zu einem Komplex von Serien, in denen die menschenleere | |
Stadt sowie Porträts von Lebenden und von Toten zu sehen sind. Spätestens | |
diese Serie von Totengesichtern macht deutlich, dass die Würde des | |
Einzelnen nicht einmal im Tod aus seiner Isoliertheit resultiert, sondern | |
aus der Tatsache, dass unter Millionen von Menschen nicht einer dem anderen | |
gleicht. Die Beobachtung ist simpel und widerspricht doch fundamental | |
sowohl der Idee vom monadischen Charakter des Einzelnen als auch jeder | |
kollektivistischen Idee von Gleichheit. | |
Diese Bilder, in der letzten Dekade der DDR entstanden, sind von der | |
romantischen Idee des authentischen Individuums beseelt, und zwar in der | |
präzisen Bedeutung, die Novalis seinerzeit dem Romantischen gegeben hat: | |
"Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein | |
geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem | |
Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es." Diese | |
Beobachtung gilt nicht nur für ihre Gegenstände, sondern oft auch für die | |
Fotos selbst, wie man an den Abzügen von Karin Wieckhorst ihres | |
"Fotoprotokolls Klaus Hähner-Springmühl" sehen kann, das sie am 18. April | |
1987 aufgenommen hat. Auf ihnen hat der Künstleralltag seine Spuren in Form | |
kleiner roter Farbspritzer hinterlassen. | |
Peter Hacks, der Architekt einer sozialistischen Klassik, hat in der | |
Romantik eine antirevolutionäre Stimmung von Frondeuren, also destruktiv | |
agierenden Oppositionellen gegen die Politik des Machbaren gesehen. Statt | |
Objektivität und Realismus setzten die Frondeure der Romantik | |
Formzertrümmerung und Tücke: "Ein von der Romantik befallenes Land sollte | |
die Möglichkeit seines Untergangs in Betracht ziehen." Dass die romantische | |
Gestimmtheit der Intelligentsia in seinem Land nichts anderes als Ausdruck | |
und Ergebnis der Untergangstendenz eines unreformierbaren und | |
zukunftsuntauglichen Systems sein könnte, wollte Hacks nicht denken. Außer | |
Acht gelassen hat er in seiner Definition ein zentrales Element | |
romantischer Überzeugung, nämlich den Glauben an die authentisch kreative, | |
welterzeugende Kraft des Individuums. | |
Für Kurator Matthias Flügge sind diese Bilder zwar manchmal ironisch, | |
jedoch nie anklagend. Er sieht in ihnen auch keine Einfühlung am Werk, | |
sondern Akzeptanz des Gegenübers. Flügge hat mit "Übergangsgesellschaft" | |
den Titel eines Stücks von Volker Braun gewählt, das von einer "zuschanden | |
gehenden Hoffnung" handle. Er versteht die Übernahme dieses Titels als | |
durchaus ironischen Akt: Seine Generation habe diese Hoffnung nicht mehr | |
geteilt, eine höchstens "linksprotestantische" Ideologie geteilt. | |
Akzeptanz des Gegenübers | |
Ihr Verständnis ist höchstens vermittelt durch die amerikanische | |
Massenkultur beeinflusst, in der das fotografische Bild des Menschen durch | |
die Komplementarität von Star und Freak, Konsum und Ausschluss geprägt ist. | |
Die romantische Idee eines mit den es umgebenden Modernisierungsschüben | |
inkommensurablen Individuums scheint sich in Ost wie West gegen das | |
stahlharte Gehäuse dieser Moderne aufzulehnen. Im Osten scheiterte in den | |
80ern die Planwirtschaft, im Westen wurde der Fordismus langsam von | |
Produktionsweisen abgelöst, denen das Menschenbild des | |
kreativ-genialischen, sich selbst verwirklichenden Künstlersubjekts | |
entgegenkam. Vielleicht erscheinen uns deswegen diese Fotos, die beredt von | |
der Stimmung in einem untergehenden Land handeln, von einer Naivität | |
geprägt, die unserem heutigen Bild von Subjektivität verlustig gegangen | |
ist. | |
11 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
Ulrich Gutmair | |
## TAGS | |
Kunst | |
Neue Bundesländer | |
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