# taz.de -- Pflanzen als Rohstoff für Industrie: Lippenstift aus Biomasse | |
> Pflanzen sind mehr als Nahrungsmittel, Tierfutter und Energieträger. Bei | |
> schwindenden Erdölreserven werden sie zum Rohstoff für die chemische | |
> Industrie. | |
Bild: Achtung beim Küssen: Im Lippenstift steckt Erdöl. | |
Die chemische Industrie von morgen lässt sich im Städtchen Zeitz im Süden | |
von Sachsen-Anhalt besichtigen: eine Fabrik, in der einmal Ethanol, | |
flüssiges Kohlendioxid oder Vitamine aus Pflanzen hergestellt werden | |
sollen. Es ist kein Zufall, dass in Zeitz Cropenergies aktiv ist, ein | |
Tochterunternehmen des Zuckerproduzenten Südzucker. Firmen, die aus | |
Pflanzen Lebensmittel herstellen, sind auf der Suche nach | |
Verwertungsmöglichkeiten für ihren "Abfall". Auch Hersteller von | |
Verpackungen oder Schmierstoffen suchen nach Verfahren, mit denen sie | |
Produkte aus Pflanzen herstellen können, deren Grundlage bislang noch Erdöl | |
ist. | |
Denn ob Tüte, Lippenstift, Kaugummi oder Tankfüllung - ohne Erdöl ist | |
unsere Industrie nicht denkbar, in allen steckt das schwarze Gold. Das | |
Stichwort nun ist "Bioraffinerie". "Perspektivisch geht es darum, eine der | |
Petrochemie vergleichbare Bioraffinerie aufzubauen", sagt Dietmar Peters | |
von der Fachagentur für erneuerbare Rohstoffe (FNR). Pflanzen sollen nicht | |
nur als Energieträger dienen. Chemiefabriken der Zukunft sollen in der Lage | |
sein, aus verschiedenen Pflanzenrohstoffen wie Getreide, Stroh oder Holz | |
verschiedenste Produkte herzustellen. | |
In Zeitz zum Beispiel verarbeiten derzeit 104 Mitarbeiter jährlich rund | |
700.000 Tonnen Getreide und 1 Million Tonnen Zuckerrübensirup zu rund 360 | |
Millionen Litern Ethanol. Dabei fallen Futtermittel für die Landwirtschaft | |
ab. | |
2010 soll eine Anlage in Betrieb gehen, die das bei der Fermentation von | |
Getreide entstehende Kohlendioxid auffangen und verarbeiten kann. Das soll | |
schließlich in Sprudelwasser landen oder der Entkoffeinierung von Kaffee | |
dienen. "Es geht darum, die Wertschöpfungskette zu verbessern", sagt Lutz | |
Guderjahn, Mitglied im Vorstand von Cronenergies. Ziel sei die kombinierte | |
Nutzung für stoffliche Produkte, Energie, Lebens- und Futtermittel. Die | |
jetzige Bioethanol-Anlage würde dann so etwas wie einen "Nukleus" bilden. | |
Für die Branche erwarten Experten genauso eine Organisation von | |
Chemieparks, in der verschiedene Anlagen zusammen arbeiten. "Da ist der | |
Sachverstand von Anlagenbauern nötig, von Zellstoffverarbeitern oder | |
chemischer Industrie", sagt FNR-Projektbetreuer Peters. Dabei würden sich | |
regionale Wirtschaftskreisläufe entwickeln, weil der Transport der Pflanzen | |
ökologisch und ökonomisch nur bei Strecken bis 50 Kilometer sinnvoll sei: | |
"Derzeit erleben wir einen Wendepunkt weg von der Grundlagenforschung hin | |
zur Anwendungsorientierung", erklärt Peters. | |
Auf die Frage, wie schnell die chemische Industrie auf ihre Basis, das | |
Erdöl, verzichten kann, gibt es allerdings unterschiedliche Antworten. Für | |
den Geschäftsführer der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie, | |
Ricardo Gent, liegt ein Ölwechsel noch in weiter Ferne. "Wir sind noch im | |
Bereich der Grundlagenforschung", sagt Gent. "Von industriellen Anwendungen | |
sind wir noch weit entfernt." Bioraffinerien der heutigen Generation seien | |
noch nicht wettbewerbsfähig. | |
Dietrich Wittmeyer, Geschäftsführer der europäischen Vereinigung | |
erneuerbarer Rohstoffe (Errma), sieht die Technologie schon einen Schritt | |
weiter. "Wir forschen doch schon anwendungsorientiert", sagt er. Nötig sei | |
jetzt massive politische Unterstützung, etwa durch Zertifizierungen, | |
Markteinführungsprogramme und das öffentliche Auftragswesen. | |
Dass der Bioraffinerie das gleiche Schicksal blüht wie der | |
Biokraftstoffbranche - erst als Zukunftstechnologie gefeiert, dann in der | |
"Tank-versus-Teller-Debatte" verteufelt -, glaubt Peters nicht. Die | |
Ölmühlen hätten die Pflanzen ineffizient genutzt und seien daher auf | |
Subventionen angewiesen geblieben. "Gerade darum geht es hier nicht", so | |
Peters. Für ihn hängt der Erfolg des gesamten Konzeptes davon ab, "wie | |
schnell das Erdöl so teuer wird, dass es sich nicht mehr rechnet". | |
Heutzutage sei es noch immer konkurrenzlos billig. "Aber der Preissprung im | |
vergangenen Jahr hat die Unternehmen aufgeschreckt", sagt der FNR-Experte. | |
"Das war ein Blick in die Zukunft." | |
14 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
## TAGS | |
Süßigkeiten | |
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