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# taz.de -- Doku "Armutsindustrie": Zehn Tage Arbeit für ein Puzzle
> Die Autorin Eva Müller hat in der boomenden "Armutsindustrie"
> recherchiert, von der viele profitieren – allerdings nicht die
> betroffenen Arbeitslosen (Mittwoch, 21.45 Uhr, ARD).
Bild: So kann man die Zeit auch totschlagen: Ein-Euro-Jobber überprüfen alte …
Ein Fernsehabend mit dem Ersten dürfte am Mittwoch keine gute Laune machen.
Im Gegenteil. Es treibt einem mitunter Wut in den Bauch. Der Abend lohnt
sich dennoch, weil sich die Autorin Eva Müller eines bisher unangetasteten
Phänomens angenommen hat: der "Armutsindustrie", die von 1-Euro-Jobbern und
subventionierten Mitarbeitern lebt, die rasant wächst und von der viele
profitieren, nur nicht die betroffenen Arbeitslosen.
Im Film taucht etwa René auf. Der gelernte Mechaniker baut Trampoline für
ein schwäbisches Unternehmen zusammen, das einst in Deutschland
Arbeitsplätze strich, um in China zu produzieren. Weil sie dort zwar
billiger, aber auch schlampiger arbeiteten, setzt die Firma inzwischen
wieder auf deutsche Wertarbeit.
Während sie früher hierzulande übliche Löhne und Versicherungsbeiträge
zahlen musste, greift heute der Steuerzahler in die Tasche. René und die
anderen Fließbandarbeiter sind nämlich 1-Euro-Jobber und damit Teil der
Armutsindustrie. Für ihren Arbeitsplatz zahlt der Staat bis zu 500 Euro im
Monat - frei von Versicherungen.
René und Kollegen bekommen einen Euro pro Stunde, um ihr Hartz-IV-Budget
aufzubessern. Perfide daran ist, dass nicht der Trampolinhersteller auf die
Idee gekommen ist, sondern ein Personaldienstleister, der ausgerechnet zur
evangelischen Kirche gehört - und sich "Neue Arbeit" nennt. Sie entleihen
mehr als 1.000 1-Euro-Kräfte.
Wer jetzt denkt, da sei bloß etwas schiefgelaufen, irrt gewaltig. Längst
werden laut ARD mehr als eine Million Menschen mit solchen Modellen aus der
Arbeitslosenstatistik gekauft. Der Preis dafür sind Lohnkosten von mehr als
einer Milliarde Euro pro Jahr: Sozialbeiträge und Steuern, deren Profiteure
nicht Arbeitslose sind, sondern freie Unternehmen, bis hin zur
verarbeitenden Industrie.
Müller selbst sagt, sie sei bei den Dreharbeiten "erstaunt gewesen, wie
normal manch einer es findet, 1-Euro-Jobber, die vom Steuerzahler bezahlt
werden, in der Produktion für ein ganz normales Produkt einzusetzen". Der
Film der Autorin, die immer wieder mit herausragenden Sozialreportagen
glänzt, zeigt auch Arbeitslose, die als Praktikanten bei
Logistikunternehmen Lieferungen zusammenstellen. Oder Frauen, die als
1-Euro-Kraft putzen - auch bei Stadträten und Rechtsanwälten. Und eine
Langfassung der "ARD Exklusiv"-Doku, die im August im WDR zu sehen sein
wird, befasst sich mit einem Supermarkt, betrieben von 1-Euro-Jobbern.
Der Film könnte eine gesellschaftspolitische Debatte auslösen. Denn Müller
beschäftigt sich auch mit dem Prinzip des "Social-Washings": Unternehmen,
die sich mit karitativen Projekten ein soziales Image verpassen, "dabei
aber auf fragwürdige Methoden zurückgreifen", so die Autorin, die etwa den
TÜV-Konkurrenten Dekra besuchte.
Der beschäftigt 1-Euro-Jobber und verkauft als "Eignungsfeststellung"
Projekte wie diese: Gleich mehrere Arbeitslose puzzeln um die Wette, um
festzustellen, ob bei gebrauchten Spielen Teile fehlen. Sind sie
vollständig, werden sie verkauft. Im Film erklärt einer: "Der Rekord für
5.000 Teile liegt bei knapp zehn Tagen." Zehn Tage für ein gebrauchtes
Puzzle. Arbeitszeit ist hier offenbar nicht viel wert.
Die "Armutsindustrie" zeigt auch die andere Seite der Medaille, nämlich
Arbeitslose, die resignieren statt sich zur Wehr zu setzen. Etwa einen
jungen Mann, der auf Nachfrage der Reporterin lamentiert, er habe für
Arbeiten zwei Wochen Zeit, die problemlos in ein bis zwei Tagen erledigt
werden könnten. Er fühle sich nicht ernst genommen. Warum er sich nicht
beim Arbeitsamt beschwere, fragte ihn die Autorin. "Weil das eh nichts
bringt. Ich bin doch Bittsteller und muss mich mit denen gut stellen."
15 Jul 2009
## AUTOREN
Daniel Bouhs
Daniel Bouhs
## TAGS
Entspannung
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