# taz.de -- Erdrutsch in Nachterstedt: Vermeidbare Katastrophe | |
> Die Bewohner von Nachterstedt dürfen nicht mehr in ihre Häuser zurück. Zu | |
> groß ist die Einsturzgefahr. Laut einem Katastrophenforscher sei der | |
> Erdrutsch sogar vorhersehbar gewesen. | |
Bild: Rund um Nachterstedt wurden Bauzäune aufgestellt und Erdwälle aufgesch�… | |
DRESDEN taz | Die 41 Nachterstedter, die bei dem verheerenden Erdrutsch ihr | |
Zuhause verloren haben, dürfen definitiv nicht noch einmal in ihre Häuser. | |
Die Gebäude seien weiterhin akut einsturzgefährdet und zeigten teilweise | |
große Risse, teilte der Katastrophenstab am Mittwoch mit. Es sei nicht zu | |
vertreten, dass für ein paar Sachwerte Menschenleben riskiert werde. | |
Außerdem würden starke Regenfälle erwartet, die das Absacken des Hanges | |
beschleunigen könnten, so eine Sprecherin. | |
Die Erdrutschkatastrophe am Tagebau-Restloch in Sachsen-Anhalt war laut | |
einem Katastrophenforscher vermeidbar. "In Nachterstedt waschen sich alle | |
Verantwortlichen jetzt rein und sprechen von einem unvorhersehbaren | |
Unglücksfall, doch das entspricht nicht der Wahrheit", sagte der Kieler | |
Professor Wolf Dombrowsky der Neuen Osnabrücker Zeitung. | |
Seit Jahren verweise er darauf, dass die bisherigen Risikobewertungen in | |
Bergbauregionen ungenügend seien. "Es ist ein echtes Ärgernis, dass wir in | |
Deutschland keine öffentliche Debatte über die sogenannten Ewigkeitskosten | |
des Bergbaus führen." Dombrowsky, der auch Mitglied der Schutzkommission | |
beim Bundesinnenminister ist, verlangte eine Risikokartierung für ganz | |
Deutschland. | |
Am Sonnabend waren Teile einer Hochböschung in den künstlichen Concordiasee | |
in Sachsen-Anhalt gestürzt. Sie rissen zwei Häuser einer Siedlung mit sich, | |
in denen drei Menschen den Tod fanden. Der gesamte See ist mittlerweile | |
abgesperrt worden. Wegen der Anzeichen für weitere Bodenbewegungen gilt die | |
Siedlung bei Nachterstedt als nicht mehr bewohnbar. | |
Die Magdeburger Staatsanwaltschaft hat inzwischen Ermittlungen gegen | |
unbekannt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung aufgenommen. Einige | |
Bewohner wollen Anzeichen eines nahenden Unglücks bemerkt haben. | |
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) zufolge gab es | |
keine Hinweise, dass der Grundwasserspiegel gestiegen sei und es daher | |
Gefahr gegeben habe. Dies solle aber "sehr konsequent" geprüft werden, | |
sagte er am Mittwoch. | |
Die Wirtschaftsminister von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben | |
sich nun verständigt, alle Restlöcher des Braunkohlentagebaus zu | |
überprüfen. Das gilt auch für die bereits weitgehend gefluteten und | |
teilweise touristisch genutzten Gebiete in der Lausitz und im Leipziger | |
Südraum. | |
Die Grünen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg forderten bei dieser | |
Gelegenheit erneut eine Reform des Bergrechts und dessen Verankerung im | |
Umweltgesetzbuch. Bessere Information könne Risiken vermindern. Weil es | |
keine hundertprozentige Sicherheit gebe, müsse man "unnötigen Bergbau so | |
stark wie möglich einschränken". | |
"Das Unglück wirft einen Schatten auf die Renaturierung", räumte der | |
Sprecher des Sachsen-Anhalter Landesamts für Geologie und Bergwesen, | |
Bodo-Carlo Ehling, ein. Er widersprach aber Katastrophenforscher | |
Dombrowsky: "Woher hätten die Aushubmassen denn kommen sollen, mit denen | |
man den Boden stabilisieren sollte? Da hätte man neue Löcher graben | |
müssen." Mit der Ermittlung der genauen Unglücksursache würden | |
Universitäten und Ingenieurbüros beauftragt, mit denen momentan über | |
Verträge gesprochen werde. "Das wird viel Geld kosten", so Ehling. | |
Die Wirtschaftsministerien der drei ostdeutschen Bergbauländer beruhigten | |
unterdessen die Bevölkerung. Es sei kein vergleichbarer Fall bekannt, wo | |
Häuser ähnlich nah an einer Abbruchkante stehen. Die Nachterstedter | |
Siedlung war bereits vor 75 Jahren errichtet worden. | |
23 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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