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# taz.de -- Salafismus in Deutschland: Allah statt Playstation
> Der Berliner Schüler Stefan Moser entdeckt im Internet den Islam. Er
> taucht in eine Welt ein, die der genaue Gegenentwurf zu seinem alten
> Leben ist – die der Salafiten.
Bild: Salafitensuperstar: Pierre Vogel alias Abu Hamza erklärt den Islam in 30…
In seinem alten Leben war Stefan Moser ein kleiner Gangster. Er nannte sich
Styla, zog mit seiner Clique durch die Straßen, die Jungs machten
wildfremde Leute an, baggerten an Mädels herum, soffen, kifften und rannten
vor den Bullen weg. Und sie hörten Gangsta-Rap, die Songs von Sido, der
hier aus dem Viertel kommt. Richtig wohlgefühlt hat sich Stefan in der
Clique nie, sagt er.
In seinem neuen Leben steht Stefan in der Morgendämmerung auf, rollt einen
Teppich aus und betet. Er hat angefangen Arabisch zu lernen, fünf
Koransuren kann er schon auswendig. Mit Alkohol will er nichts mehr zu tun
haben, und wenn er ein hübsches Mädchen sieht, guckt er auf den Boden. Als
er neulich an seinen alten Kumpels vorbeilief mit einem Rucksack auf dem
Rücken, da riefen die: "Alter, hast du da ne Bombe drin, oder was?" Er ging
einfach weiter.
Stefans neues Leben hat an einem Abend im Herbst 2008 angefangen. Er sitzt
zu Hause in der Wohnung, die er sich mit seiner Mutter teilt. Ein Hochhaus
im Norden Berlins, ein Problemkiez. Stefan schaut sich in seinem Zimmer
Islamvideos im Internet an, wie so oft in den Wochen davor. Er hat sie auf
YouTube entdeckt. Heute geht er einen Schritt weiter. Er spricht einem der
Männer in den Videos auf Arabisch nach: "Ich bezeuge, dass es keinen Gott
gibt außer Allah, und ich bezeuge, dass Mohammed sein Gesandter ist." Von
nun an ist Stefan kein Christ mehr. Von nun an ist er Muslim.
Stefan ist 17 Jahre alt und heißt in Wirklichkeit anders. Aber stünde hier
sein richtiger Name, würde sich seine Mutter vielleicht Sorgen machen. Oder
seine Lehrer. Womöglich würden sich sogar die Behörden für ihn
interessieren. Denn Stefan hat sich einer umstrittenen Strömung des Islam
angeschlossen: den Salafiten. Die propagieren einen ultrafrommen, strikt am
Wortlaut des Korans und der Sunna ausgerichteten Urislam. Sie orientieren
ihr ganzes Leben am Vorbild des Propheten Mohammed und den "frommen
Altvorderen" vor 1.400 Jahren, den al-Salaf al-Salih - daher die
Bezeichnung Salafismus. Sie teilen die Welt in richtig und falsch, in
Gebotenes und Verbotenes. Ihren Anhängern prophezeien sie das Paradies -
und den Ungläubigen die Hölle.
Die Salafiten bilden eine kleine, radikale Minderheit unter den Muslimen in
Deutschland. Eine Minderheit, die stetig wächst. Das beobachten zumindest
Experten wie Claudia Dantschke vom Zentrum Demokratische Kultur, die sich
seit Jahren mit der Szene befasst. Sie schätzt, dass inzwischen rund 30
Moscheegemeinden in Deutschland salafitisch geprägt sind - von rund 2.500
insgesamt.
Im Internet werben die Salafiten massiv um Nachwuchs. Hunderte
Missionierungsvideos und Aufnahmen von Konvertierungen haben sie ins Netz
gestellt, auf Seiten wie [1][islamvoice.de], [2][einladungzumparadies.de]
oder [3][diewahrereligion.de]. Sie werden zehntausendfach angeklickt, nicht
zuletzt, weil sie auf Deutsch sind. Das gab es vorher kaum - bis die
Salafiten die Lücke schlossen. Wenn heute Deutsche oder Migranten aus der
zweiten und dritten Einwanderergeneration im Netz Informationen zum Islam
suchen, landen sie fast zwangsläufig auf den Salafiten-Seiten. Die
Verfassungsschützer beunruhigt das zunehmend. Sie warnen vor einer
"hochgradig radikalisierungsfördernden Wirkung" des Salafismus - gerade auf
Islamanfänger. Die Frage, was junge Leute an dem erzfrommen Islam
fasziniert, beantworten die Behörden nicht.
Berlin-Neukölln im Juli. Die Al-Nur-Moschee ist in einem Gebäude aus
Waschbeton untergebracht. Mehr als 700 Menschen sind an diesem Wochenende
gekommen, aus Berlin, Köln, Wiesbaden, Stuttgart. Die Frauen sitzen im
oberen Stockwerk, die Männer im Erdgeschoss. Viele von ihnen sind zwischen
14 und 30. Einige tragen Bart, Häkelmütze und weite, knöchelfreie Gewänder.
Andere Jeans, T-Shirt und Baseballmütze - noch.
"Die verborgene Welt" heißt das Seminar, zu dem sie gekommen sind. Drei
Tage lang lernen sie, wie ein gottgefälliges Leben aussieht. Und was sie
dafür im Jenseits erwartet. Werbeflyer für das Seminar lagen in Dönerbuden
aus. Es richtet sich vor allem an Neulinge. Essen und Übernachtung sind
kostenlos.
Es ist heiß in der Moschee. Immer wieder gehen Helfer mit Wasserflaschen
durch die Reihen. Später beim Abendessen sitzen die jungen Männer zusammen
auf dem Boden, bei Reis, Fleisch und Salat, sie reichen sich Fladenbrot,
nennen sich gegenseitig "Bruder". Ist es das, was ihnen gefällt? Die
Gemeinschaft? Der Zusammenhalt?
Viele der jungen Männer erzählen voller Abscheu von ihrem alten Leben. Da
ist der 30-jährige Deutschlibanese aus Berlin-Neukölln, der "viel Scheiße
gebaut hat", darunter auch Einbrüche. Oder der 25-jährige Deutschtürke aus
der Nähe von Ludwigsburg, der früher "von Montag bis Sonntag in der Disko"
war. Oder eben der 17-jährige Stefan, der von diesem ganzen Ghettogehabe
genug hatte. "Ich will die Wahrheit finden", sagt er.
Es sind Geschichten, wie man sie auch von wiedergeborenen Christen hören
kann, den Evangelikalen. Auch in deren Gruppen stranden viele Suchende,
Verzweifelte, Gescheiterte. Überhaupt sind die Parallelen zwischen
Evangelikalen und Salafiten nicht zu übersehen: Beide Bewegungen kämpfen
gegen eine als dekadent empfundene moderne Welt, die voller Pornografie,
Homosexualität und anderem Schmutz sei. Und beide versprechen das Heil
durch ein gottgefälliges Leben.
"Allah ist größer als dein Playstationspiel!", ruft einer der Referenten an
diesem Wochenende. Und ein Seminarteilnehmer sagt: "Eine Minute Internet
zerstört so viele Gehirnzellen wie ein Glas Wodka." Er meint damit die
Sexseiten. Die mit den Islamvideos meint er nicht. Es ist eine Bewegung
voller Widersprüche.
Hauptreferent ist Abdul Adhim, der aus Marokko stammende Prediger der
Moschee. Er ist Anfang 30 und einer der Stars der deutschen Salafiten.
Abdul Adhim trägt einen ungestutzten Bart und einen roten Sarik, die
Kopfbedeckung der Vorbeter. Er sitzt an einem Tisch, die Teilnehmer auf dem
Boden vor ihm. Kameras filmen den Vortrag, damit er ins Internet gestellt
werden kann. Und damit die Frauen im oberen Stockwerk auf einem Bildschirm
mitschauen können. Abdul Adhim hebt den Zeigefinger. "Machen wir uns bereit
für die Worte Allahs, dass sie unsere Herzen aufmachen", sagt er.
Stefan sitzt während des Vortrags auf dem Teppich. Er lauscht aufmerksam,
macht sich von Zeit zu Zeit Notizen. Er hat sein Herz schon geöffnet, auch
wenn er nicht alles versteht.
Abdul Adhim wettert gegen den Materialismus, die Fixierung auf Geld und
Besitz. Und die Wissenschaft, die heute zur Gottheit erhoben werde. Er
lächelt häufig, in vielem, was er sagt, bleibt er blumig, doch in einem ist
er eindeutig. Was im Jenseits mit denen passiert, die den Islam nicht
annehmen. "Dann sagt Allah zu ihnen: Schmeckt die Strafe für das, was ihr
verleugnet habt."
Terror und Gewalt verurteilt Abdul Adhim. "Wir wollen so etwas nicht
haben", sagt er. Das hat vielleicht auch mit seinem Vorgänger zu tun, dem
Imam Salem el-Rafei. Unter ihm galt die Moschee als Anlaufstelle auch
gewaltbereiter Islamisten, 2005 wurde ihm die Wiedereinreise nach
Deutschland verweigert.
Doch auch wer nicht offen Hass predigt, predigt noch lange keine Toleranz.
Der Verfassungsschutz hat vor Jahren ein Gespräch zwischen Abdul Adhim und
einem Freund abgehört. Sie machen Späße: Wenn sich alle Pilger
zusammentäten und auf die Ungläubigen spuckten, dann würden die in einem
Meer aus Spucke ertrinken. Vor wenigen Wochen sollte ein jamaikanischer
Imam in die Al-Nur-Moschee kommen, der Homosexualität mit dem Tod bestraft
sehen möchte. Er sollte mit dem Superstar der deutschen Salafiten
auftreten: Pierre Vogel, ein konvertierter Wanderprediger mit rotem Bart,
dessen Internetvideos einen großen Anteil am Boom des Salafismus haben.
Erst nach Protest des Lesben- und Schwulenverbands wurde der Vortrag des
Jamaikaners abgesagt.
Vogels Videos waren es auch, die Stefan zum Islam geführt haben. Auf dem
Seminar in Berlin-Neukölln bleibt er nun das ganze Wochenende. Er hat
seinen Schlafsack mitgebracht. Am Abend rollt er ihn in einer Ecke der
Moschee aus. Nachts um drei wacht er auf. Zeit für Fadschr, das Frühgebet.
Stefan reiht sich ein, verbeugt sich, wirft sich nieder. Nach dem Gebet
legt er sich wieder schlafen. Sein Rücken schmerzt vom harten Boden, aber
das ist ihm egal.
Wenige Tage später in einem Einkaufszentrum in Nordberlin. Stefan trägt
Jeans und Nike-Turnschuhe. Nach den Sommerferien, erzählt er, wolle er erst
einmal sein Abitur angehen, dann vielleicht Entwicklungshelfer werden, Arzt
oder Kriminalpolizist. Nur Banker, das könne er sich nicht vorstellen.
Zinsen zu nehmen sei unislamisch. Gerade hat sich Stefan seinen ersten
Koran auf Arabisch gekauft. Er ist in Leder eingebunden, mit
Reißverschluss, ein Koran zum Mitnehmen. "Das Gesetz des Islam ist zum
Schutz", sagt er. "Es schützt dich und die Gemeinschaft." Er überlegt nun,
sich einen islamischen Namen zu geben. Bilal vielleicht, Ibrahim oder
Wasil.
Stefan ist ein eher ruhiger Junge, aber eine Frage lässt ihn unruhig
werden. Glaubt er, dass er seine christliche Mutter im Paradies
wiedersieht? "Vielleicht wird sie noch auf ihren Schöpfer zugehen", sagt
er. "Ich hoffe es."
27 Jul 2009
## LINKS
[1] http://islamvoice.de/
[2] http://einladungzumparadies.de/
[3] http://diewahrereligion.de/
## AUTOREN
Wolf Schmidt
## TAGS
HipHop
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