# taz.de -- Neues Gesetz in Indien: Recht auf kostenlose Bildung | |
> Kinder zwischen 6 und 14 Jahren bekommen in Indien ab 2012 das Recht auf | |
> einen kostenlosen Schulbesuch. Und Privatschulen müssen sozial | |
> benachteiligte Kinder aufnehmen. | |
Bild: "Wir können es uns nicht leisten, unserer Kinder nicht zur Schule zu sch… | |
DELHI taz | Was in Europa schon seit Langem als Selbstverständlichkeit | |
gilt, wird nun auch in Indien festgeschriebenes Recht. Ein neues Gesetz | |
legt fest, dass alle Kinder im Alter zwischen 6 und 14 Jahren eine Schule | |
besuchen sollen. | |
Bereits am Dienstag hat das Unterhaus des indischen Parlaments mit großer | |
Mehrheit das Gesetz verabschiedet. Das Oberhaus hatte schon am 20. Juli | |
seine Zustimmung gegeben. Jetzt bedarf es nur noch der Billigung durch | |
Präsidentin Pratibha Patil, was reine Formsache sein dürfte. | |
Innerhalb der nächsten drei Jahre sollen im gesamten Land staatliche | |
"Nachbarschaftsschulen" eingerichtet werden. Privatschulen, die bislang nur | |
der vermögenden Mittel- und Oberschicht des Landes vorbehalten waren, | |
werden dazu verpflichtet, ein Viertel ihrer Schulplätze für Kinder aus | |
sozial benachteiligten Familien bereitzuhalten. | |
"Wir können es uns als Nation nicht leisten, unsere Kinder nicht zur Schule | |
zu schicken", sagte Bildungsminister Kapil Sibal. Das Gesetz sei ein | |
"Vorbote einer neuen Ära". Beinahe vier von zehn Indern können weder lesen | |
noch schreiben. | |
Das Gesetz überträgt die Verwaltung der Schulen an Gremien aus Lehrern, | |
Eltern und staatlichen Beamten. Die Praxis, wonach Schulleiter bislang | |
eigenmächtig entscheiden konnten, welche Kinder sie aufnehmen, wird | |
abgeschafft. Oft haben Schulen Aufnahmegebühren verlangt, weswegen viele | |
arme Familien ihre Kinder nicht zur Schule schicken konnten. | |
Doch sofort meldeten sich Kritiker zu Wort. Denn das Gesetz legt nicht | |
fest, wer für die Kosten aufkommen soll. Einen Teil soll die | |
Zentralregierung tragen, den Rest sollen die Bundesstaaten übernehmen. Der | |
Bau der geplanten staatlichen Schulen könnte sich durch langwieriges | |
Gerangel über die Finanzierung verzögern. | |
Der Erziehungswissenschaftler Anil Sadagopal sagte einer Tageszeitung, | |
obwohl das Gesetz eine "kostenlose" Schulbildung ermöglichen solle, sei | |
nicht geklärt, wie Eltern für die hohen Kosten für Bücher und | |
Unterrichtsmaterialien an Privatschulen aufkommen könnten. | |
Vertreter von Menschenrechtsgruppen bemängelten, dass in dem Gesetzestext | |
behinderte Kinder nur vage erwähnt werden. Für Eltern behinderter Kinder | |
ist es bislang besonders schwer, einen Schulplatz an einer öffentlichen | |
Schule zu erhalten. Das Gesetz sieht es nicht vor, die Schulen zur Aufnahme | |
dieser Kinder zu verpflichten. | |
Die Garantie auf eine Schulbildung erstreckt sich nur bis zur achten | |
Klasse. Dann ist es laut neuem Gesetz den Privatschulen freigestellt, | |
Schulgebühren zu verlangen, was für die meisten der Kinder aus armen | |
Familien mit Sicherheit das Ende ihrer Schullaufbahn bedeuten wird. Schon | |
heute zeigen Statistiken, dass mittlerweile zwar mehr als 90 Prozent der | |
Kinder eingeschult werden. Bei den sekundären Schulen nach der achten | |
Klasse fällt diese Zahl jedoch drastisch ab. Nur zwölf von hundert Schülern | |
besuchen später eine Hochschule, weitaus weniger als etwa in Europa. | |
Die heftigste Kritik an dem Gesetz kommt vonseiten der Privatschulen. Zwar | |
sollen sie für die Aufnahme von Kindern aus armen Familien vom Staat Gelder | |
erhalten, dennoch zeigen sie sich mit dem Gesetz unzufrieden. K. B. Kain, | |
Direktor einer Privatschule in Delhi, warnt in einem Zeitungsbericht vor | |
den Folgen, wenn Kinder aus unterschiedlichen sozialen Schichten | |
aufeinanderträfen: "In der Schule geht es nicht nur um Klassenzimmer. Es | |
geht um die Füller, die man benutzt. Darum, in welchem Auto man zur Schule | |
gefahren wird. Darum, wie viel Geld man in schicken Läden ausgibt." Das | |
könnte armen Kindern "psychologische Probleme" bereiten. Weiteres Gerangel | |
um die Umsetzung des Gesetzes ist somit programmiert. | |
7 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Sascha Zastiral | |
## TAGS | |
Indien | |
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