Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Drama "Vineta" im Ersten: Arbeitswut und Kontrollsucht
> In der Reihe "Debüt im Ersten" läuft am Montag (10. August, 22.45 Uhr)
> Franziska Stünkels "Vineta". Ein stark besetztes, stark gespieltes und
> stark verstörendes Schauspielerfestival.
Bild: Peter Lohmeyer spielt in "Vineta" den Workaholik und Architekten Sebastia…
Zwei Walnüsse in der linken Hand, unablässig aneinander gerieben, gedrückt.
Sie sind die einzige sinnliche Empfindung, die Sebastian Färber noch
zulässt, sein einziger Kontakt. Färber ist Spitzenarchitekt, der lebt, um
zu arbeiten, der manisch mit Kohlestiften Bauten auf Papier wirft und die
Nüsse tütenweise in der Küche stapelt. Doch seine Visionen sind längst
jenseits aller Realisierbarkeit, sein Herz ist fast schon im Jenseits. Sein
Partner will ihn loswerden, seine Tochter ist voller Sorge um ihn.
Wie Peter Lohmeyer diesen Färber spielt, fiebernd, fahrig, ohne Regung im
Gesicht, gehetzt, schlaflos, das ist eines der vielen Bilder, die sich
einprägen im 2005 entstandenen Kinofilm "Vineta" von Regisseurin Franziska
Stünkel, der in der Reihe "Debüt im Ersten" läuft. Das Drehbuch entstand
nach dem Theaterstück "Republik Vineta" von Moritz Rinke und erzählt von
Arbeitswut und Kontrollsucht, ist Gesellschaftskritik und Psychogramm
voller poetischer Bilder.
Eines davon zeigt die Flamingos, die Färbers Tochter im Zoo pflegt, die
hinausstürmen ins Außengehege - nur einer bleibt zurück, dreht um,
stolziert in die Ecke, um zu sterben. Erst viel später versteht der
Zuschauer dieses Bild, das sich durchzieht durch den Film, das Pink der
Flamingos fließt wieder und wieder über den Bildschirm wie Blut.
Dieses Pink und das kalte Blau von Neonröhren und Schnee in der Dämmerung
bestimmen die Bilder, zeigen in ihrer Künstlichkeit die Unfähigkeit Färbers
zur echten Wahrnehmung. Wasser hat er seit Jahren nicht mehr bewusst
gespürt und seine Fenster verhängt er gegen zu viel Licht.
Immer nah am Zusammenbruch, erhält Färber plötzlich einen Geheimauftrag.
Der mysteriöse Doktor. Leonhard (Ulrich Matthes) bringt ihn zusammen mit
einem Investmentbanker, einem Sicherheitspolitiker, einem Seefachmann und
einem weiteren Architekten auf eine verschneite Insel. Hier sollen sie
innerhalb von zwei Wochen die ideale Stadt entwerfen, sicher und trotzdem
lebenswert.
Sie soll auf Vineta entstehen, einer Insel im Baltischen Meer, die die
Bundesrepublik gekauft und Leonhards Firma damit beauftragt haben soll, als
Schutz gegen den Terrorismus dort eine Welt zu bauen, die sicher und doch
lebenswert ist. Schnell gerät Färber mit seinem Kollegen aneinander, der
einen Überwachungsstaat aus Beton errichten will. Färbers Vision ist eine
Begegnungsstätte über dem Meer, eine soziale Gemeinschaft, in der ein
Miteinander möglich ist und die Kontrolle von alleine kommt.
Das Zusammentreffen ist ein Schauspielerfest: Ulrich Matthes als kalter,
wahnsinniger Leiter, Justus von Dohnányi als paranoider Architekt mit
Kontroll- und Machtfantasien, Matthias Brandt als ängstlicher Banker, der
merkt, dass etwas nicht stimmt mit diesem Auftrag. Wie sie Schneemänner
bauen und darum konkurrieren, wer den Kopf draufsetzt, oder zur Entspannung
mit den Füßen in Eiswasser stehen, wie jeder zu funktionieren versucht und
keiner echt ist dabei, das ist aufwühlend gut.
Bald kommen Färber Zweifel: Werden sie überwacht, gibt es Leonhards Firma
wirklich und ist das Interesse von Leonhards Assistentin Nina, in die
Färber sich verliebt, echt? Beeindruckend und nachhaltig zeigt "Vineta"
inmitten aller Diskussion um Arbeitslosigkeit, was auch die Arbeitswelt den
Menschen antun kann - und was Arbeitssüchtige sich selbst und anderen
antun. Bis zum Zusammenbruch oder bis zum Neubeginn. Bis die letzten
Walnüsse zu Boden fallen.
10 Aug 2009
## AUTOREN
Daniela Zinser
Daniela Zinser
## TAGS
DDR
## ARTIKEL ZUM THEMA
Spielfilm über letztes DDR-Todesurteil: Der Mann, der in die Kälte ging
Ein Unrecht sogar nach damaligen Maßstäben: In „Nahschuss“ erzählt
Franziska Stünkel die Geschichte des letzten in der DDR Hingerichteten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.