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# taz.de -- Kunstfigur Horst Schlämmer: Er ist dann mal weg
> Horst Schlämmer ist der beliebteste Politiker Deutschlands. Aber was ist
> eigentlich dran an Kerkelings Kunstfigur? Ein Bericht von der
> Filmpremiere von "Isch kandidiere".
Bild: "Liebe Freunde, grunz, mein Name ist Horst Schlämmer, grunz".
Vom SPD-Wahlwürfel auf dem Potsdamer Platz blickt Kanzlerkandidat
Frank-Walter Steinmeier auf ein paar versprengte, aber grundsätzlich
Interessierte herab. Xavier Naidoo singt dazu. "Dieser Weg wird kein
leichter sein" - manchmal ist das Leben symbolträchtiger, als man sich das
wünschen kann. Steinmeier hat es nicht leicht dieser Tage, wie fast alle
Politiker in diesem lauen Wahlkampf. Sie scheinen den Leuten egal zu sein
und sich fast selbst zu langweilen dabei.
Wie viel leichter haben es da ihre Karikaturen. Seit Tagen scheinen die
Medien über nichts anderes zu berichten als über Hape Kerkelings Witzfigur
Horst Schlämmer, Kanzlerkandidat seiner eigenen Partei und PR-Arbeiter für
seinen eigenen Film. Am Montag hatte der Film "Horst Schlämmer - Isch
kandidiere" in Berlin Premiere, im Sony-Center, nur ein paar dutzend Meter
von Steinmeiers Glücksspielwürfel entfernt.
Am roten Teppich in der Pole Position steht eine 28-jährige Studentin,
Informationswissenschaft, und wartet auf Hape Kerkeling. In der Hand hält
sie eine Autogrammkarte von Horst Schlämmer, eine von denen, die
vorsorglich über die Leute ausgeschüttet wurden. "Horst ist ein
Traumpolitiker. Einer, der über sich selbst lachen kann", sagt sie. Vor
allem seine Sprüche überzeugen sie. Zum Beispiel, dass "jeder mit jedem
kollidieren kann". Das sei einer, der auch Schwächen zugeben könne. Und
Horst Schlämmers Schwächen zeigen sich an diesem Abend nur zu deutlich.
Volksnah soll er sein, sagen seine Fans. Einer, der die Leute ernst nimmt.
Allerdings nimmt er an diesem Abend in Berlin vor allem seine mediale Rolle
ernst. Die Menge am roten Teppich ist zweigeteilt: links das einfache Volk,
gut geschützt durch eine Plakatwand, die keinen Blick auf den Teppich
zulässt. Rechts die Medien, von ZDF über Starstyle TV bis zu RTL Explosiv,
hunderte Kameras, Fotografen, Presseleute. Das Verhältnis Medien-Volk ist
etwa 50:50. Zwischen Gebäudewand und Absperrung leitet ein Mitarbeiter des
Filmverleihs Constantin eine Herde Radiojournalisten hinter den Zuschauern
vorbei in eine tote Gasse. Sie stecken fest und warten darauf, dass "der
Horst" zu ihnen kommt und Interviews in ihre Mikrofone spricht.
Doch erst mal läuft die Prominenz auf, viele davon B oder C, viele davon
wirken wie ihre eigene Karikatur. Manche wirken auch nur wie die Karikatur
eines Promis und sind in Wahrheit nicht Dieter Bohlen, sondern nur sie
selbst - und damit einige der wenigen aus dem Volk, die über den Teppich
reinkommen. Als Bushido auftaucht, vergessen einige an der Absperrung, wer
der eigentliche Held des Abends ist, und gehen nach intensivem
"Bushido"-Gekreische aus Versehen schon mal nach Hause.
Was da überhaupt los ist, erkennt das aus allen Teilen Deutschlands
zufällig zusammengekommene Wahlvolk erst, als sie auf ihre T-Shirts gucken.
Die gab es umsonst und für den Fotoeffekt. Darauf prangt in Ocker das Logo
der HSP, der Horst Schlämmer Partei. Aber so kann wenigstens das Volk von
den Fotografen unterscheiden, kamerabewaffnet sind beide.
Ein unschwer als Schwabe erkennbarer Vater hat seinen kleinen Sohn mit der
Digitalkamera ausgestattet und auf den Schultern platziert. "Wenn der da
von dem Plakat kommt, also der Horst, dann muscht du abdrücken", sagt der
Vater. "Wieso?", fragt das Kind, knipst aber brav Oliver Kalkofe und "den
größten von den sieben Zwergen". Wer auch immer das ist. Nach zehn Minuten
ist es dem Vater dann doch zu langweilig. "Das war blöd, wegen diesem Affen
hier zu warten", sagt er und geht mit dem Sohn davon. Horst Schlämmer ist
immer noch nicht da. Dafür kommen jetzt die Politiker. Cem Özdemir, Claudia
Roth und Gabriele Pauli spielen sich selbst und mit im Film.
Insofern haben sie das beste aus beiden Welten gewählt - sie sind überall
mit dabei. Da darf auch Gregor Gysi nicht fehlen. Der ist einfach nur so
da, lobt aber Schlämmer, weil der "den Frust einer Gesellschaft zum
Ausdruck" bringe. Frust macht sich dann tatsächlich breit, als der Horst
endlich auftaucht, irgendwo an der Plakatwand, ganz nah bei den Kameras, in
sicherer Entfernung zum Zuschauer, die seit Stunden auf ihn warten und ihn
an diesem Abend doch nicht zu sehen bekommen werden.
Wer ist eigentlich Horst Schlämmer? Die unappetitliche, in die Jahre
gekommene Variante des It-Girls. Falsche Zähne statt falscher Brüste. Aber
im Grunde ebenso inhaltslos und multimedial. Hape Kerkeling erfand den
stellvertretenden Chefredakteur des Grevenbroicher Tagblatts, der Rücken,
Schnappatmung und Kreislauf hat, nach Schnaps stinkt, grunzt und sich an
jede Frau mit "Schätzelein" ranwanzt. Eine Figur, die wie aus dem
Willy-Millowitsch-Theater und der alten Bundesrepublik geklaut wirkt,
Westalgie fürs Privatfernsehen. Dabei hat Horst Schlämmer keine eigene
Show. Er lebt in einem virtuellen Raum, den er hin und wieder für "Wer wird
Millionär?" oder zum Aufpeppen von eingeschlafenen Sendungen verlässt - und
nun für die PR-Kampagne für seinen Film.
Statt eine Pressevorführung des fertigen Kinofilms wurden die Journalisten
zu einer Pressekonferenz ins Berliner Ritz Carlton eingeladen, wo sie
willfährig Futter für Kerkeling-Schlämmers Scherze spielten. N-TV und N24
präsentierten das Wahlprogramm Schlämmers - unter anderem Schönheits-OPs
und Sonnenbank für alle - als Breaking News. Der Stern gab sogar eine
Umfrage in Auftrag. Das Ergebnis: 18 Prozent der Befragten würden Schlämmer
wählen, wenn sie es denn könnten. Eine als Spaß verkleidete Variante der
Protestwahl. Aber wünschen sich die Wähler wirklich Politiker wie
Schlämmer? Was fasziniert sie daran - und was heißt das für die Politik? Er
kann über sich selbst lachen, kennt seine Schwächen, sagt so tolle Sprüche
und vertritt die Interessen der Bürger, sagen die, die ihn wählen würden.
Was für Interessen sind das? Die Verkehrssünderkartei in Flensburg
aufzulösen oder auf keinen Fall vier Millionen Arbeitsplätze zu schaffen?
Der Protest-Schlämmer
Schlämmer parodiert und kritisiert die anderen, das ist lustig, aber auch
immer das Gleiche. Politik, die man nicht ernst nehmen muss, scheint den
Leuten zu gefallen. Dabei kann man etwa Claudia Roth kaum vorwerfen, sie
könne nicht über sich selbst lachen. In die echte Politik übertragen, ist
das aber offenbar wählbarer Wert. Trotzdem zeigt sich an der HSP ein Trend,
jener, kleine Parteien wählen zu wollen, die nicht regierungsfähig sind.
Doch nur wenige haben solche Unterstützung in den Medien wie Hape-Horst.
Aber auch Schlämmer hat seinen Zenit überschritten. Als er auf dem roten
Teppich in irgendein Mikrofon brüllt: "Liebe Freunde, grunz, mein Name ist
Horst Schlämmer, grunz", hört ihm schon fast keiner mehr zu. "Seid doch mal
ruhig", knarzt er hinterher. Auch wenn er stolz die Prognose von 18 Prozent
verkündet, "so viele wie Doornkart", an die Leute kommt er nicht mehr ran -
und sie nicht an ihn.
Die Radiojournalisten in der Gebäudeklemme warten vergeblich auf einen
O-Ton von Schlämmer, die Autogrammjäger auf eine Unterschrift. Seit drei
Stunden stehen sie da. "Tom Cruise und Brad Pitt sind extra zurückgekommen,
um Autogramme zu geben. Aber der hat jetzt seine guten Kritiken, mehr
braucht der nicht. Bestimmt schreiben wieder alle, wie sympathisch der
war", schimpft eine Frau an der Absperrung. Madonna und Britney Spears
seien da zugänglicher gewesen. "Aber so wichtig, wie der tut, ist der
nicht", sagt die Autogrammsammlerin.
Auch die Studentin ist enttäuscht. Sie hat extra ihr Abendessen für Horst
Schlämmer ausfallen lassen. "Das können Sie ihm ruhig sagen, wenn Sie ihn
noch sehen", sagt sie. Unschlüssig wackelt sie am Gitter herum, um dann zu
seufzen: "Ach Horst!"
19 Aug 2009
## AUTOREN
Judith Luig
Daniela Zinser
## TAGS
Verfilmung
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