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# taz.de -- David Foster Wallace-Roman übersetzt: Das Irrenhaus ist unsere Welt
> "Unendlicher Spaß" von David Foster Wallace ist todkomisch, aber ganz
> sicher nicht heiter: Zugespitzte Gegenwart zwischen Tennisakademie und
> Entzugsklinik.
Bild: Selbst von den großen zeitgenössischen US-Autoren Bewundert: David Fost…
David Foster Wallace Roman "Unendlicher Spaß" ist hinter den Mythen, die
ihn umgeben, bei seinem Erscheinen in deutscher Übersetzung fast schon
verschwunden. Der Autor selbst wurde zum Mythos spätestens seit seinem
Suizid vor rund einem Jahr. Aber auch der im Original 1996 erschienene
Roman selbst produziert Mythen. Er ist eines jener Werke, die mehr beraunt
als (zu Ende) gelesen werden und beeindruckt zuallererst durch den schieren
Umfang: In der Übersetzung von Ulrich Blumenbach, an der dieser sechs Jahre
lang saß, sind es mehr als 1.500 Seiten.
Internetlesegruppen und Dechiffriersyndikate haben längst mit der
Interpretationsarbeit begonnen. Sie wenden und sichten jede einzelne
Anspielung, jedes vermeintlich oder tatsächlich der Deutung bedürftige
Wort. Was alles erst mal den Eindruck erweckt, dass das Buch in die
"Finnegans Wake"- oder "Zettels Traum"-Kategorie gehört, in die Reihe jener
Werke also, die man vermeintlich gar nicht lesen, sondern von Anfang an nur
studieren kann.
Nun stimmt das natürlich für die beiden genannten heiligen literarischen
Monster schon nicht und noch weniger für den "Unendlichen Spaß". Der
nämlich erstreckt sich zwar lang und weit und in der Tat scheinbar
unendlich vor dem lesenden Auge, jedoch ist und bleibt die Landschaft, die
man mit der Lektüre betritt, nicht verrätselt oder in enigmatischer Sprache
verfasst. Gewiss, die berüchtigte Liebe des Autors zu seinem
Fremdwörterlexikon und zu teils weit abgelegenen Bereichen des Wissens ist
unübersehbar, aber im Prinzip ist die Erzählweise des Romans realistisch,
vielmehr, was dann doch wieder etwas anderes ist, hyperrealistisch.
Das beginnt mit der räumlichen Situierung. So detailgenau wie "Unendlicher
Spaß" war vermutlich noch kaum ein Roman je verortet. Die zentralen und im
Wortsinn erschöpfend beschriebenen Schauplätze liegen in Boston.
Da ist zum einen die Tennisakademie ETA, im (fiktiven) Stadtteil Enfield
und, ihr fast unmittelbar benachbart, eine Entzugsklinik namens Ennet-Haus,
deren psychiatrische Atmosphäre durchaus in Richtung Tennisakademie
ausstrahlt. Aus diesen beiden Institutionen - Inbildern je einer ganzen
Welt - rekrutiert der Roman weite Teile seines Personals. Lädiert und von
irgendeiner Art von mentalem Leiden zerfressen sind sie alle, Opfer eines
gesamtgesellschaftlichen Suchtsyndroms, dessen Formenkreis Foster Wallace
unendlich einfallsreich, ja obsessiv ausschreitet.
Dies, das Ausschreiten des Suchtsyndrom-Formenkreises, von Drogen aller Art
zu Entertainment und Sport, ist denn auch die eigentliche Erzählbewegung
des Romans, der in der Zeit immer wieder vor- und zurückspringt. Spannung
oder auch nur die Entwicklung einer Handlung im engeren Sinn gibts dabei
nicht. Es gibt nur Verdichtungen, Vernetzungen, Überkreuzungen und
Verfehlungen. Und Motiveinführungen, Motivvariationen, Motivwiederhoungen.
Was "Unendlicher Spaß" eine Grundstruktur gibt, sind zwei
Vernetzungsformen: Familie, also Genealogie, und Zwangs- bzw.
Notgemeinschaft. Das Buch ist auf einer seiner Ebenen auch ein
Familienroman. In der in die Zukunft verlegten Erzählgegenwart ist James
Incandenza, der Vater der drei Brüder Hal (Tennisspieler), Mario (geistig
und körperlich behinderter Filmemacher) und Orin (Footballspieler), bereits
tot. Genauer gesagt: Er hat seinen Kopf in eine extra dafür umgebaute
Mikrowelle gesteckt. James Incandenza war Tennisspieler, Gründer der
Enfielder Tennisakademie, vor allem aber auch Filmemacher.
Sterben vor Vergnügen
Sein künstlerisches Schaffen wird neben vielen anderen Dingen im ebenfalls
sehr berüchtigten, über hunderte Seiten sich erstreckenden Fußnotenanhang
filmografisch aufgearbeitet. Es reicht von obskursten Avantgardewerken bis
zu Annäherungen an den Mainstream. Ein Incandenza-Film ist auch das
Zentrum, das Dingsymbol, das Mysterium, die Super- und Megadroge des
Romans: Wer diesen Film ansieht, der "Unendlicher Spaß" oder auch einfach
"Die Unterhaltung" (im Original: "the entertainment") heißt, wird vor
Vergnügen hirnlos, stirbt oder will fortan von der Welt nichts anderes
haben als nur noch den Film.
Dies ist die Sucht in äußerster Reinform, Inbegriff einer
Begehrensstruktur, bei der die Lust vollends in tödlichen Zwang umschlägt.
Die Sucht und die Flucht vor ihr motivieren sehr konsequent fast alle und
alles in diesem Roman. In größter Ausführlichkeit werden etwa die
unterschiedlichen Therapieansätze verschiedener AA-Gruppen vorgestellt.
Keinem gelingt wirklich der Ausgang in die Suchtfreiheit - was den
"Unendlichen Spaß" zu einem gelegentlich zwar todkomischen, aber ganz
sicher nicht heiteren Werk macht.
Der Titel des Buchs beschreibt unsere Gegenwart, wie David Foster Wallace
sie sieht. Diese durch zuspitzende Verfremdung kenntlich zu machen ist das
zentrale Verfahren. Das heißt: Einzig der Zuspitzung wegen, nicht aber in
Science-Fiction-Absicht ist das hauptsächliche Geschehen in die Zukunft
verlegt. Hier werden die Jahre nicht mehr gezählt, sondern nach Sponsoren
benannt ("Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche", "Jahr des Glad-Müllbeutels").
Eine Zukunft auch, in der Kanada, Mexiko und die USA zu einem O.N.A.N.
genannten Gebilde vereinigt sind. Dieses nordamerikanische Reich wird von
einer Quebecer Separatistengruppe von Rollstuhlfahrern attackiert, die auch
versucht, den tödlichen Incandenza-Film in die Finger zu bekommen.
Endlos geschichtet und in sich gefaltet ist die Textur dieses Romans. Es
gibt darin keinen privilegierten Punkt. "Unendlicher Spaß" praktiziert das
Erzählen als All-Over, als akribische Bearbeitung einer Oberfläche, die
zwar den Ausgriff in viele Bereiche kennt, Dichtepunkte, komische Crescendi
ebenso wie - und nicht zu knapp - das monotone Totlaufen in der endlosen
Reihung von Wahnwitz. Und zwar ist das alles auf eine kaum überschaubare
Zahl von Stimmen verteilt, die in Ulrich Blumenbachs Übersetzung neben
vielen anderen die Sprachen der Jugend, der Wissenschaft, der Filmtheorie
oder auch mal Baslerdeutsch sprechen. Der Grundton freilich ist von
seltsamer Umständlichkeit, mit jugendsprachlichen Flapsigkeiten und
Fachvokabular gleichermaßen durchsetzt. Ein sehr eigener Sound, der den
Grundzug des Buchs nur noch einmal verstärkt: Das Wallace-Universum von
"Unendlicher Spaß" kennt kein Außen. (Und, denkt man allzu oft: auch kein
Ende.)
Künstliche Beleuchtung
Es ist, als erschiene in diesem Roman einer Gesellschaft, die nur aus der
Unterhaltung/der Droge verfallenen Individuen besteht, nichts in
natürlichem Licht. Es gibt hier nur Licht als Beleuchtungseffekt. Die Welt
von "Unendlicher Spaß" ist durchweg künstlich und in ihrer wahnhaften
Künstlichkeit zugleich scharf und übergenau in den Blick gefasst. Auch
sprachlich. Die Wörter sind organisiert zu einer arhythmisch vorwärts
drängenden Masse von Sätzen, die große Schwierigkeiten mit dem Aufhören
haben und, sich immer tiefer ins Detail bohrend, nie auf den Punkt kommen.
Oder auch: auf viel zu viele Punkte auf einmal. Das Endergebnis ist trotz
stringenter motivischer Durcharbeitung seltsam amorph, Absatz für Absatz,
Abschnitt für Abschnitt, auch im Ganzen.
Was dabei herauskommt, ist ein Gesellschaftsroman als monströser Chor für
emotional schwer beschädigte Stimmen. Das Bild der Gesellschaft, das im
komponierten Durcheinandersingen des Individuenchors entsteht, ist darum
selbst psychotisch, Ergebnis einer unkontrollierbaren, unendlichen
Sprachproduktion. Auch und gerade die Politik ist fantastisch deformiert,
die Fortsetzung eines James-Incandenza-Films mit möglicherweise nicht
einmal anderen Mitteln.
Ganz zweifellos will David Foster Wallace mit dem Roman seiner Zeit einen
Spiegel vorhalten. Dieser Spiegel aber verzerrt alle Wirklichkeit dermaßen
stark, dass man die Haltung des Werks zu dem, was er als Gesellschaft vor
Augen stellt, kaum als kritisch bezeichnen kann. "Unendlicher Spaß"
schlingt obsessiv Reales in sich hinein und verwandelt, was Wirklichkeit
war, extrem detailgetreu in heillosen Wahn.
Der Roman selbst ist, buchstäblich, ein Irrenhaus. Und seine Insassen sagen
durch den Lärm der wild durcheinandersprechenden Stimmen im Grunde nur
eins: Dies Irrenhaus, liebe Leserin, lieber Leser, ist meine, aber auch
deine, ist unsere Welt.
22 Aug 2009
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
US-Literatur
David Foster Wallace
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