# taz.de -- Kulturerbe: Zwangsmodernisierung | |
> Chinesische Tradition als Disneyland zwischen Kommerz, Kitsch und | |
> Kontrolle | |
Bild: Uigurin in der Altstadt von Kashgar | |
Die radikale Abrisspolitik historischer Viertel in der überwiegend von | |
Uiguren bewohnten Stadt Kashgar folgt einem in China bekannten Muster. | |
Einen ähnlichen Kahlschlag gab es schon im tibetischen Lhasa. Und selbst | |
Chinas Metropolen Peking und Schanghai, wo der Verdacht der Kontrolle | |
ethnischer Minderheiten nicht besteht, haben schon die flächendeckende | |
Zerstörung ihrer Hutong- und Altstadtviertel erlebt. Wie jetzt in Kashgar | |
wurden auch dort angestammte Bewohner mit autoritären Mitteln vertrieben. | |
Zumindest in Peking hat der Widerstand der Bevölkerung inzwischen zu einem | |
etwas behutsameren Umgang mit dem architektonischen Erbe geführt - wie auch | |
zu dessen Kommerzialisierung. Zum einen haben sich zivilgesellschaftliche | |
Organisationen wie das Beijing Cultural Heritage Protection Center | |
gebildet, die ein Umdenken in Partei und Regierung einleiteten. Neue | |
Gesetze sprechen sich heute deutlicher für den Erhalt alter Gebäude aus, | |
doch ist dies noch längst nicht landesweit Praxis. Zum anderen sind einige | |
Hutong-Viertel, renovierte echte oder nachgebaute, inzwischen zu hippen | |
Häusern für Neureiche geworden oder Locations für trendige Shops und Bars. | |
Das neue kommerzielle Interesse am Erhalt und der Inwertsetzung alter | |
Viertel ringt jetzt mit den Profitinteressen von Spekulanten. Diese | |
Spekulanten stehen überall in China oft mit den führenden Kadern in | |
Verbindung. China verweist mit nationalistischem Stolz auf die | |
mehrtausendjährigen Wurzeln und Traditionen seiner Kultur, vernachlässigt | |
aber auffällig die Bewahrung kultureller Zeugnisse der jüngeren Geschichte. | |
Die Kommunistische Partei (KP) inszeniert sich als Hüterin einer zweifellos | |
großen Kultur, ohne ihre eigene Rolle bei deren Zerstörung etwa während der | |
sogenannten Kulturrevolution zu thematisieren. Jahrtausende alte | |
Traditionen werden heute von der KP funktionalisiert und zugleich um eine | |
radikale Zwangsmodernisierung ergänzt. Letztere folgt einem Modernitätsbild | |
von Hochhäusern und Autobahnen, wie es in westlichen Ländern in den 60er- | |
und 70er-Jahren modern war und auch dort eine radikale Abrisspolitik samt | |
gigantischer Spekulation beförderte. Von behutsamer Stadterneuerung wollten | |
die verantwortlichen Politiker und Baugesellschaften zunächst ebenfalls | |
nichts wissen. | |
Chinas mit starker Kommerzialisierung einhergehende Verkitschung des | |
kulturellen Erbes wird besonders im Umgang mit den 55 sogenannten | |
nationalen Minderheiten deutlich. Sie werden ausländischen Besuchern und | |
der Mehrheit der Han-Chinesen als bunte Folkloregruppen verkauft. Denn weil | |
sich Chinas Städte immer mehr gleichen, heben diejenigen sich für die | |
Touristen ab, die auch noch eine andere Kultur vorweisen können. Doch | |
gepflegt wird dabei nicht eine lebendige Kultur der verschiedenen Ethnien, | |
sondern eine von Peking entleerte äußere Hülle. So war es auch nur | |
folgerichtig, dass die im August 2008 bei der Eröffnung der Olympischen | |
Spiele auftretenden Kinder der Völker Chinas alles Han-Chinesen waren, die | |
einfach in Minderheitenkostüme gesteckt worden waren. | |
Ein Schicksal als bunte Folkloreshow droht jetzt auch Kashgar. Von den | |
traditionellen muslimischen Lehmbauten dort sollen nur 15 Prozent | |
überleben, ähnlich einer Touristenattraktion wie dem Potala-Palast im | |
tibetischen Lhasa. Denn heute reisen (mit Ausnahme der Zeit von Unruhen wie | |
im vergangenen Jahr) viel mehr hanchinesische Touristen in diese zunehmend | |
chinesische Stadt als zu Zeiten, als Lhasa wirklich noch eine überwiegend | |
tibetische Stadt war. In eine Stadt, die - von Peking gewollt - immer mehr | |
zu einem tibetischen Disneyland wird. Den meisten Chinesen reicht offenbar | |
die ethnische Hülle. Zumindest zur erfolgreichen Vermarktung. Ansonsten | |
dürfte der Kahlschlag in Lhasa und Kashgar vor allem der sozialen Kontrolle | |
und Zwangsassimilation der als separatistisch eingeschätzten Tibeter und | |
Uiguren dienen. Und als Machtdemonstration Pekings. | |
29 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
## TAGS | |
Reiseland China | |
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