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# taz.de -- Ang Lee über seinen Woodstock-Film: "Amerika ist immer eine utopis…
> Mit "Taking Woodstock" hat Ang Lee eine milde Komödie über Woodstock
> gedreht. Ein Gespräch über Aufbruch, Erinnerung und modische Schamhaare.
Bild: Die Mutter aller Festivals: Ang Lee hat Woodstock auf die große Leinwand…
taz: Herr Lee, um die Wahrhaftigkeit der Bilder der Hippies in Woodstock zu
gewährleisten, soll es am Set ein Buch mit strengen Regeln gegeben haben.
Stimmt das?
Ang Lee: Ja, es gab ein Buch, das ein paar Fashiontipps gab. Viele der
Darsteller hatten 1969 noch nicht gelebt. Es gab rebellische
Körperhaltungen darin, Frisurentipps. Schamhaare waren etwa damals noch
durchaus in Mode. Die Verbindung mit der Natur, das implizite Verständnis
unter den Hippies, dass sie die einzig Wahren sind - das musste man
vermitteln. Man lässt die Darsteller am besten ein paar Tage im Camp
schlafen. Dann kippen sie rein. Wenn nicht, verwendet man sie eben nur im
Hintergrund.
"Taking Woodstock" ist nach "Der Eissturm" Ihr zweiter Film über die späten
60er- und die frühen 70er-Jahre in den USA. In vieler Hinsicht ist er sein
fröhliches Gegenteil - was hat Sie an dieser Tonart gereizt?
"Der Eissturm" zeigt die dunkle Seite der 60er, den Hangover, den
Nachgeschmack, wenn man so will. Woodstock ist hingegen der Moment der
großen Vereinigung - und zwar kurz bevor alles endet. Es stimmt, ich habe
eine komische Form der Annäherung gewählt. Frieden, Liebe und ganz viel
Schlamm, "bad acid" und die Freiheit, nackt zu sein - das sind die
Bestandteile dieser frischeren, auch optimistischeren Seite von Amerika,
die ich diesmal zeigen wollte.
Es ist das jugendliche, unschuldige Amerika, von dem Sie sprechen. Was
blieb für Sie übrig von der damaligen Utopie?
Amerika ist immer eine utopische Idee, nicht nur für Amerikaner, sondern
für die ganze Welt. Woodstock ist dafür ein Beispiel, da erwacht ein
Verlangen - man kann es im Hintergrund förmlich hören. Natürlich habe ich
diese Naivität im Blick, die Woodstock ausmacht; ich glaube aber auch, dass
hier ein Zeitalter beginnt, in dem wir noch immer leben. Nachhaltige Themen
wurden aufgebracht, die wir ernst nehmen müssen: Weltfrieden,
Umweltproblematik, Gleichberechtigung, Menschenrechte. So hats begonnen.
Es war der Aufbruch einer neuen Generation …
Ja, der Generation des Babybooms nach dem Zweiten Weltkrieg. Das waren sehr
viel junge Menschen mit viel Energie, die sich gegen das Establishment,
gegen die Eltern gerichtet haben. Sie waren energetisch, idealistisch und
ziemlich brillant, wenn es um Musik ging. Ich glaube schon, dass es dieses
Kontinuum zur Gegenwart gibt. Doch der Moment Woodstock ist für sich allein
erinnerungs-, ja denkwürdig. Drei Monate später, beim Konzert von Altamont,
hörten die 60er-Jahre schon wieder auf.
Diese Idee der ständigen Neuerfindung ist sehr amerikanisch. Begeistert Sie
diese Kraft der Neuschöpfung?
Ich hoffe, dass sich diese Idee beständig neue Wege erobert. Es kommt zwar
auch immer ein Rückschlag, aber ein paar gute Sachen schaffen es zu
bleiben. Das letzte Happening dieser Art war die Wahl von Obama - das hatte
etwas von dem Gefühl von damals, auch wenn es viel pragmatischer zuging,
schließlich machen wir gerade eine innere Krise durch. Gewiss sind auch die
jungen Menschen heutzutage viel nüchterner - vielleicht sogar zu nüchtern …
Elliot Teichbergs Geschichte, auf der der Film basiert, erzählt Woodstock
gleichsam von der Hintertreppe aus. Er lotst die Veranstalter in den
kleinen Ort Bethel. Dann wird alles schnell unkontrollierbar. Was hat Sie
an seiner Story fasziniert?
In meinem Kopf ist Woodstock ikonisch. Das Festival war so einflussreich,
so imaginär und so abstrakt zugleich - und die Musik auf der Bühne erklärt
nicht das ganze Phänomen. Es ist sehr schwierig, daraus eine Geschichte zu
entwickeln. Wie erfasst man die Humanität dieses Ereignisses? Wir konnten
das Festival nicht noch einmal aufbauen. Es gibt Michael Wadleighs
Dokumentarfilm "Woodstock", der ein Klassiker ist. Ein Teil von Elliots
Buch erschien mir da als gute Quelle. "Taking Woodstock" verstehe ich so:
Um es zu erfassen, muss man es ins Herz lassen. Das Festival bleibt
abstrakt, wenn man nur zeigt, wie es seine Form annahm. Elliot reagiert
mehr, als zu handeln. Das empfand ich als Herausforderung: Man kann durch
ihn hindurch Woodstock wie unter einem Mikroskop betrachten.
Zugleich handelt es sich um eine Familiengeschichte. Elliots Weg führt fort
von den Eltern. Woodstock als Emanzipationsprozess?
Gewiss, man kann mit dieser Geschichte gleich mehrere Generationen von
Amerikanern porträtieren. Elliot gehört der Jugend an, die an das alte
Amerika nicht mehr glaubt. Das ist ein Echo auf die größere Geschichte
Amerikas und jene des amerikanischen Traums. Eine Art Miniatur der
Geschichte. Die Eltern kommen aus dem Osten Europas, sie sind Einwanderer
und kämpfen um ihr Fortkommen.
Im Zuge der Ereignisse beginnt Elliot auch, zu seiner Homosexualität zu
stehen - ein Thema, das in Ihren Filmen immer wieder auftaucht. Warum?
Ich weiß nicht, warum diese Figuren immer wieder zurückkommen … Vielleicht,
weil diese Art der Repression, die sie erfahren müssen, einfach sehr gute
Geschichten abgibt, die mich besonders anziehen. Es ist ein interessanter
Winkel, um Menschlichkeit als solche zu betrachten. Ich stolpere einfach
über diese Geschichten. In "The Wedding Banquet" schrieb ich das Drehbuch
noch selbst, hier ist es einfach eine Geschichte, die mich inspiriert hat.
Ich fühlte mich ihr verbunden.
Soziale Zwänge, aus denen Figuren ausbrechen - das ist etwas sehr
Beständiges in Ihrem Werk. Gibt es dafür eine Erklärung?
Es geht immer darum, das Establishment zu dekonstruieren. Oder die
Geschichte, die Gesellschaft und ihre Rollen - all die Dinge, die uns
eingrenzen. Wenn man sich der Zwänge annimmt, gewinnt man einen neuen Blick
auf die Gesellschaft.
Zu Woodstock hat jeder bestimmte Bilder im Kopf - manche erkennt man in
Ihrem Film wieder.
Es gibt ein paar Bilder im Film, die ich aus dem Dokumentarfilm zitiere -
gar nicht so buchstäblich, das ist eher unvermeidlich. Der Mann mit dem
Peace-Zeichen, die Schlammschlacht, die ich aber aus einem anderen Winkel
gedreht habe. Die Split-Screens sind natürlich ein offensichtliches Zitat.
Ich habe auch etliche Szenen mit einer 16 mm-Kamera gedreht, die man bequem
in der Hand halten konnte. Auch die Zoomlinse ist ein filmisches Mittel,
das man sehr mit den 60er- und 70er-Jahren verbindet. Ich wollte die
Stilistik der Filme heraufbeschwören.
Sie haben gesagt, Sie hätten mit "Taking Woodstock" nach etwas Leichterem
gesucht - nach all den Dramen, die Sie zuletzt gedreht haben. Die Tonart
erinnert an Ihre frühen Filme aus Taiwan.
Es fühlte sich ja auch ein wenig so an, als würde man in die Jugendzeit
nach Woodstock zurückgehen. Aber ich kann nicht so tun, als wäre ich
vollkommen unschuldig! (lacht) Im Ernst: Ich musste mich von diesen
kontrollierten Dramen erholen und endlich frische Luft schnappen. Ich suche
meine Stoffe intuitiv aus, und nach meinem letzten Film, "Lust, Caution",
fühlte ich mich unbehaglich. Das Woodstock-Thema bringt mich nicht um,
schließlich geht es um Glücklichsein und den Frieden - und darum, dieses
Gefühl schrankenlos zu teilen. In Woodstock war auch ich glücklich!
3 Sep 2009
## AUTOREN
Dominik Kamalzadeh
## TAGS
Irakkrieg
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