# taz.de -- Sondermüll in Mecklenburg-Vorpommern: Der Giftberg | |
> In Mecklenburg-Vorpommern wird die größte Sondermülldeponie Europas | |
> betrieben. Mitarbeiter und Anwohner leben gefährlich, denn niemand kennt | |
> die giftigen DDR-Altlasten. | |
Bild: Obwohl die Deponie in den 90er Jahren geschlossen werden sollte, wird sie… | |
SCHÖNBERG taz | "Da hinten ist was faul", sagt Günter Wosnitza, sein | |
Fernglas auf einen grasbewachsenen Berg gerichtet. An einem Hang fehlt das | |
Gras, rechteckig leuchten Bahnen anthrazitfarbener Folie in der Sonne. Der | |
Hügel gehört zur größten Sondermülldeponie Europas, der IAG | |
Abfallentsorgungsgesellschaft Ihlenberg im Nordwesten | |
Mecklenburg-Vorpommerns. Von ihren Gipfeln aus kann man die Kirchtürme der | |
Lübecker Altstadt sehen und den Hafen von Travemünde. | |
Als "Deponie Schönberg" kannte sie in den 80er und 90er Jahren jeder, der | |
regelmäßig Zeitung las. Einen Skandal nach dem anderen lieferte sie, | |
jahrelang, immer ging es um Gift und Geld. Dann wurde es ruhig um die | |
Müllkippe. Doch für Wosnitza, 59, Gründungsmitglied der Lübecker Grünen und | |
der Bürgerinitiative "Stoppt die Deponie Schönberg", sind immer noch viele | |
Fragen offen: Unter welchen Umständen wurde die Müllkippe damals von der | |
DDR-Führung genehmigt, im Sperrgebiet, an der Grenze zum Westen? Welche | |
giftigen Abfälle wurden dort genau hingekippt - und ist es ausgeschlossen, | |
dass sie nun, 30 Jahre später, das Grundwasser verseuchen? | |
Fernsehtechniker Wosnitza hat sich nie mit dem Hügel aus Schlacke, | |
Bauschutt und Sondermüll abgefunden, 17 Millionen Tonnen schwer, 82 Meter | |
hoch. An einem schönen Spätsommertag beobachtet er Arbeiter, die Erde auf | |
die Folie schütten, ein Kipplaster nach dem anderen rollt heran. Auf der | |
Erde soll später wieder Wiese wachsen. Von der Ferne lädt der Giftberg fast | |
zum Wandern ein. "Denen ist da die Grasschicht weggeplatzt", vermutet | |
Wosnitza, "die haben immer Probleme mit dem Wasserhaushalt." Er reicht sein | |
Fernglas weiter. | |
Millionen Tonnen Müll | |
Auf die Deponie selbst zu gelangen, ist schwierig. Zwar überschreibt sie | |
ihre Website mit "Entsorgung ist Vertrauenssache" und versichert, "Besucher | |
sehen wir gern. Überraschen Sie uns doch mal". Journalistenanfragen | |
beantwortet die Geschäftsleitung allerdings nicht, und wer an der | |
Haupteinfahrt neugierig aufs Gelände späht, der wird von einem Wachmann | |
verscheucht. Also bleibt die Sicht von außen, vom Nachbarhügel, aus dem | |
angrenzenden Buchenwald, vom Stoppelacker, immer durch den Stacheldrahtzaun | |
hindurch. | |
Wosnitza, der Jeans, Karohemd und eine graue Wuschelfrisur trägt, steigt in | |
seinen Opel Kadett. Er fährt regelmäßig zu der Deponie und schaut sich um, | |
er kennt die Schleich- und Waldwege rund um ihren Zaun. Er holpert über | |
einen sandigen Weg, links und rechts Brombeer- und Holundersträucher. | |
Sobald sie eine Lücke lassen, parkt Wosnitza seinen Wagen. Durch einen | |
Buchenwald gelangt er auf die Rückseite der Deponie. | |
Von hier sehen die Müllberge nicht mehr aus wie Almen. Hier sind Ziegel und | |
Kies, Sand und Asche aus Müllverbrennungsanlagen sichtbar. Und die Fässer | |
voller Farben, Pflanzenschutz- und Lösungsmitteln, die Batterien, der | |
asbestverseuchte Beton und mit Schwermetallen belastete Schutt lassen sich | |
erahnen. | |
Jährlich kommt bis zu eine Million Tonnen Müll hinzu, aus ganz Europa wird | |
er angekarrt. Aus ökologischer Sicht muss das nicht schlecht sein, sagt das | |
Dessauer Bundesumweltamt dazu, schließlich verfüge Deutschland über eine | |
hoch entwickelte Deponietechnik. | |
Die durfte Wosnitza - in den Augen der Deponieleitung sicher eine ziemliche | |
Nervensäge - kürzlich besichtigen. Gleich entdeckte er Baumaßnahmen, | |
offenbar eine bislang unbekannte Erweiterung. Die Lübecker Bürgerschaft war | |
empört, das schleswig-holsteinische Umweltministerium schäumte. Erst | |
kanzelte das zuständige Wirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern | |
die Kritiker ab und verwies auf Genehmigungen von 1990, die den | |
schrittweisen Ausbau des Geländes umfassten. Inzwischen versucht es, die | |
erregten Gemüter der Hansestadt zu beruhigen und gewährt der Lübecker | |
Verwaltung Akteneinsicht in die früheren Genehmigungsverfahren. Außerdem | |
durfte der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Terpe aus | |
Mecklenburg-Vorpommern die Anlage besichtigen. | |
Der hörte sich ein paar Stunden lang die Position der Ihlenberger | |
Geschäftsführung an, fuhr und stiefelte über die Deponie und sagt jetzt, | |
vorsichtig, "soweit ich das beurteilen kann", dass dort heute offenbar | |
alles mit rechten Dingen zugehe. Der Umgang mit Sickerwasser, das vom | |
Deponiegrund weggeleitet, in Becken aufbereitet und dann auf das | |
betriebseigene Biotop gekippt wird, scheint ihm sicher. Der Untergrund | |
lasse keine Giftstoffe durch, habe die Deponieleitung versichert. Doch | |
Zweifel bleiben. "Warum", fragt er sich, "lässt ein landeseigener Betrieb | |
nicht mal eine ordentliche Umweltverträglichkeitsprüfung machen oder eine | |
Planfeststellung durchführen?" Bundesrepublikanisch übliche Verfahren - zu | |
DDR-Zeiten kam eine Müllkippe auch ohne sie aus. "Und warum", fragt Terpe, | |
"gehen die so mit der Bürgerinitiative um?" | |
Unkenntnis und Sturheit | |
Die 30 Mitglieder der Initiative "Stoppt die Deponie Schönberg" und die | |
Betreiber haben sich in einem jahrelangen Kampf ineinander verbissen. Sie | |
bombardieren sich mit Gutachten und Gegengutachten, unterstellen sich | |
gegenseitig Unkenntnis und Sturheit. Einige der Mitglieder der | |
Bürgerinitiative sitzen in dem Beirat, der sich vor sieben Jahren auf | |
Initiative des mecklenburg-vorpommernschen Umweltministers gegründet hat. | |
Er wollte die Kommunikation zwischen Öffentlichkeit, Verwaltung und Deponie | |
verbessern. Doch das Gremium fühlt sich ausgebremst. Regelmäßig fallen | |
Sitzungen aus, alles sei zäh wie Kaugummi, beklagen sich Beiratsmitglieder. | |
"Unterlagen über geologische Grundlagen, über die Wasserproben", sagt der | |
Schlosser Christian Arndt, der in Schönberg das Neue Forum mitgegründet | |
hat, "nie hat der Beirat zu sehen bekommen, was er wollte." Er selbst ist | |
darum ausgestiegen. "Wir hätten das Ding während der Wende stürmen sollen", | |
sagt er heute. | |
Gestürmt wurde nicht. Also begann Uwe Lembke, in Archiven zu wühlen. Er, | |
50, Vater zweier Kinder, ist Vorsitzender der Bürgerinitiative und Mitglied | |
im Beirat. Als die DDR-Führung 1979 die Müllkippe einrichtete, um mit | |
Abfall aus dem Westen Devisen zu scheffeln, lebte der Servicetechniker in | |
Wismar. Als die DDR ihrem Ende zusteuerte, flüchtete er in den Westen, | |
kehrte aber schnell zurück in seine Heimat: In Schönberg hat er ein großes | |
weißes Haus gekauft, bröckelig, aber eine Villa. Die Deponie, habe man ihm | |
damals überall versichert, werde bald Geschichte sein. Wurde sie aber | |
nicht, sie blieb, und sie wuchs. | |
Lembke begann sich zu ärgern. Und fing an zu suchen: "Welche Untersuchungen | |
zur geologischen Eignung hat es in der DDR gegeben?", fragt er. "Und was | |
haben die da in den Anfangsjahren abgelagert?" Mit Uwe Lembke spricht die | |
Geschäftsleitung der Deponie inzwischen vor Gericht. Sie will dort dafür | |
streiten, dass er sie nicht mehr als "Müllganoven" bezeichnet. Es sieht so | |
aus, als könnten sich die beiden auf einen Vergleich einigen. Akten über | |
Akten hat er zusammengetragen, Dokumente aus Landes- und Kreisarchiven, | |
Papiere und Polaroidfotos, die ihm anonym zugespielt wurden, sie füllen | |
Ordner um Ordner. | |
Strahlt da was? | |
Vielleicht lässt sich also auf Lembkes Ledersofa mehr herausfinden über den | |
Müllberg als auf der Kippe selber. Auf einigen Fotos sind Fässer zu sehen, | |
die laut Lembke aus dem DDR-Kernkraftwerk Lubmin stammen. Radioaktiv | |
verseuchter Müll in Ihlenberg? Lemke zeigt "betriebsinterne Laufzettel", | |
auf denen Stempel verkünden, "keine Probeentnahmen möglich". Kein Mensch | |
wisse, was da drin sei, sagt er. | |
Vor einigen Jahren ergab sich aus anonymen Hinweisen an die | |
Bürgerinitiative, dass auffällig viele der Deponiearbeiter an Krebs | |
erkrankt seien. Wieder einmal stritt die Geschäftsführung alles ab, solange | |
sie konnte. Als die Hinweise zu dicht wurden, beauftragte sie den | |
Greifswalder Epidemiologen Wolfgang Hoffmann, die Sache zu untersuchen. | |
Hoffmann hat schon die erhöhten Leukämiefälle im Umkreis des | |
Atomkraftwerkes Krümmel untersucht und gilt als gleichermaßen | |
angriffslustiger wie hartnäckiger Fachmann. Die Zusammenarbeit mit der | |
Deponieleitung sei für ihn eine ganz neue Erfahrung, sagt er. "Wir haben | |
alle Daten bekommen, nach denen wir gefragt haben, nichts war manipuliert", | |
sagt er und klingt erstaunt, "die Geschäftsführung war kooperativ." | |
Ergebnis seiner Studie: Die Wahrscheinlichkeit für Mitarbeiter der Deponie | |
Ihlenberg, an Krebs zu erkranken, ist 1,8-mal und damit fast doppelt so | |
hoch wie für den Rest der Bevölkerung. Im September wird Hoffmann eine | |
Folgestudie vorstellen, in der er untersucht, ob bestimmte Arbeitsplätze - | |
etwa im Büro oder draußen auf dem Müllberg - gefährlicher sind als andere. | |
Zudem wird an einer toxikologischen Studie gearbeitet, die klären soll, | |
welche Gifte wo wie auf und aus der Deponie austreten. Ergebnisse werden in | |
zwei Jahren erwartet. | |
Günter Wosnitza hat genug gesehen für heute. Er fotografiert noch einen | |
erdigen Hügel - "da müssten die eigentlich Folie drüber legen" - und geht | |
zurück zu seinem Kadett. Auf seinem Heimweg fährt er wieder an den | |
Arbeitern vorbei, die auf dem Hügel an der Straße noch immer Erde auf der | |
Folie verteilen. Es ist gar nicht so leicht, über den gigantischen Berg auf | |
dem Ihlenberg Gras wachsen zu lassen. | |
4 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
Heike Holdinghausen | |
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Giftmüll | |
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