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# taz.de -- Montagsinterview mit Cornelia Reinauer: "Istanbul ist wie Berlin ei…
> Schon vor ihrer Zeit als Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg
> verliebte sich Cornelia Reinauer in Istanbul - und zog 2006 dorthin. Nun
> pendelt sie als "Transmigrantin" zwischen beiden Städten.
Bild: "Istanbul bildet in seinen einzelnen Bezirken das ganze Land in seiner Vi…
taz: Frau Reinauer, Istanbul ist derzeit total angesagt in Berlin. Warum
eigentlich?
Cornelia Reinauer: Ich glaube, es ist die Mischung aus einer
multiethnischen Riesenmetropole mit einem vielfältigen kulturellen und
historischen Erbe mit all den Problemen, die eine solche Stadt hat, mit der
Lebendigkeit eines sich selbst organisierenden Chaos. Istanbul ist wie
Berlin eine Stadt, die man auch aushalten muss.
Was lernt man, wenn man aus Berlin nach Istanbul kommt?
Dass der gerade auch von Politikern gern gesagte Satz, Istanbul sei zwar
eine moderne Metropole, aber nicht die Türkei, unzutreffend ist. Istanbul
bildet in seinen einzelnen Bezirken das ganze Land in seiner Vielfalt und
Unterschiedlichkeit ab. Meine Wohnung liegt in Beyoglu, einem sehr
kosmopolitischen Bezirk. Gehe ich aber nur einige Straßen weiter nach
Tarlabasi, wo viele Zuwanderer aus Südostanatolien leben, bin ich
eigentlich in Diyarbakir. Istanbul ist wie Berlin ein Ort multikulturellen
Zusammenlebens. Das macht die Stadt so anziehend und interessant.
Was ist Ihre bisher wichtigste Erfahrung als Migrantin?
Eine Erfahrung, die ich immer wieder mache, wenn ich Besucher aus
Deutschland hier habe: Wie gering deren Wissen über die Türkei ist. Ich
finde es beschämend, dass nach 40 Jahren Migration viele Deutsche so wenig
wissen über die Menschen und das Leben dort.
Was sollte man denn wissen?
Dass die Türkei keineswegs so rückständig ist, wie viele immer noch
vermuten, dass das Land Neugierde und Respekt verdient. Oft sind die Gäste
erstaunt, was für eine pulsierende Großstadt Istanbul ist. Trotzdem sollte
man ein paar Sachen darüber wissen, wie man sich hier benimmt.
Wo muss man sich in Istanbul anders benehmen als in Berlin?
Etwa beim offenen Austausch von Zärtlichkeiten: Es gibt in Istanbul nur
wenige Orte, wo das üblich ist. Das passiert etwa in Beyoglu, aber in
bestimmten anderen Stadtteilen nicht.
Es gibt in Istanbul Orte, wo man genauso leben kann wie in Berlin, und es
gibt Orte, wo das unmöglich ist?
Ja. Ich gehe gerne auf den Markt nach Fatih auf der Südseite des Goldenen
Horns im alten Istanbul. Meine türkischen Freunde würden da niemals
hingehen. Das Viertel ist ihnen zu traditionell und konservativ. Als ich
1981 das erste Mal in Istanbul war, war es schwer, sich dort als Touristin
zu bewegen. Die schwarz verhüllten Frauen dominierten das Bild und man
wurde schief angeguckt. Aber das hat sich sehr verändert, ist offener
geworden. In Tarlabasi fällt man dagegen als Fremde sehr auf.
Ist das ein unangenehmes Auffallen?
Man wird sehr intensiv beobachtet. Das Viertel ist wie eine geschlossene
Gesellschaft: Das Leben spielt sich auf der Straße ab.
In welcher Stadt fühlen Sie sich sicherer?
Ich habe mich in Berlin immer sicher gefühlt und tue das auch in Istanbul.
Allerdings haben wir - ich wohne mit Freunden in einer WG - bewusst eine
Wohnung in einem Teil des Istanbuler Zentrums gesucht, von dem ich wusste,
dass ich hier auch als Frau nachts alleine nach Hause gehen kann. Ich habe
aber auch nicht das Gefühl, dass es für mich in Istanbul so etwas wie eine
No-go-Area gibt.
Was hat Sie eigentlich bewogen, nach Istanbul zu gehen?
Anfang der 80er war ich gemeinsam mit einem Kollegen in einer Kreuzberger
Bibliothek für den türkischsprachigen Buchbestand zuständig. Wir sind ein-
oder zweimal im Jahr nach Istanbul geflogen, um Bücher auszusuchen. 1981
habe ich drei Monate in Istanbul verbracht, um die Sprache zu lernen, und
mich damals schon, obwohl das eine schwierige Zeit war kurz nach dem
letzten Militärputsch, in die Stadt verliebt. Nun lebe ich mit zwei
deutschtürkischen FreundInnen zusammen, einer Schauspielerin und einem
Filmproduzenten. Wir zählen uns zu den sogenannten Transmigranten, die
zwischen zwei Heimaten hin- und herpendeln.
Was vermissen Sie, wenn Sie in Istanbul, was, wenn Sie in Berlin sind?
In Istanbul vermisse ich manchmal die Ruhe des Lebens in Berlin, das viele
Grün. In Berlin vermisse ich den Bosporus und den Morgengruß der Möwen.
Aber ich kann das gut aushalten, da ich ja weiß, ich sehe die jeweils
andere Welt bald wieder.
Konservative Politiker wären damit nicht einverstanden: Sie möchten lieber
Doppelstaatsbürgerin bleiben, statt sich irgendwo richtig zu integrieren!
Fällt Ihnen denn das Switchen zwischen solchen verschiedenen Wertesystemen,
wie Sie vorhin beschrieben haben, gar nicht schwer?
Nein. Man verändert sich und sein eigenes Wertesystem dabei. Natürlich ist
man von der Kultur, in der man aufgewachsen ist, stärker geprägt. Aber das
verwischt irgendwann. Ich merke das, wenn meine Mitbewohner über das Leben
in Istanbul schimpfen und ich ihnen sage: Leute, jetzt seid ihr mal wieder
deutscher als die Deutschen. Sie sagen dann: Du bist ja schon türkischer
als wir. Das ist doch spannend! Ich bin ja im Schwabenland aufgewachsen und
mit meiner schwäbischen Seele nach Berlin migriert. Das war auch schon ein
großer Schritt. Ich musste wirklich Hochdeutsch lernen! Und als ich als
schwäbische Kreuzbergerin in die Politik ging und damit in Marzahn
angefangen habe, war das wieder ein völlig anderes kulturelles Wertesystem,
in dem ich mich zurechtfinden musste. Die Spannbreite unterschiedlicher
Lebensentwürfe ist in Istanbul mit all seinen Minderheiten ebenso groß wie
in Berlin. Das Umsetzen solcher Lebensentwürfe ist aber sicher dort oft
härter ist als in Berlin.
Wieso?
Istanbul ist bei aller Faszination auch eine unglaublich brutale Stadt. Ein
Großteil der Menschen in dieser 17-Millionen-Metropole führt einen ganz
harten Überlebenskampf. Es gibt so gut wie keine soziale Absicherung.
Viele, die vom Land in die Stadt migriert sind, leben nur mithilfe der
Großfamilien, und auch viele junge Menschen könnten ohne die
Verwandtschaftsstrukturen nicht überleben. Das schränkt die Möglichkeiten
ein, sich als Individuum zu entfalten. Das ist ein großer Unterschied zu
Berlin und Deutschland.
Es gibt aber auch großen Reichtum.
Ja, aber die reiche Elite lebt mehr oder weniger völlig abgeschottet und
zunehmend abgeschottet in geschlossenen Cities oder hinter Mauern
verrammelten Villen am Bosporus entlang. Noch ist das nicht so wie in
manchen lateinamerikanischen Städten, aber der Weg führt dorthin. Es gibt
zunehmend aber auch eine wohlhabende, gutsituierte, auch intellektuelle
Mittelschicht, die etwa in Beyoglu lebt. Und die dort, ganz ähnlich wie in
manchen Bezirken Berlins, durch Modernisierung von Häusern und Miet- oder
Kaufpreissteigerung die eingesessene Bevölkerung verdrängt. Besonders
betroffen waren die hier ansässigen Transsexuellen.
Werden schwul-lesbische und Transgender-Lebensweisen in Istanbul
akzeptiert?
So weit wie in Berlin ist man in Istanbul nicht, dass man sagt, das ist
eine akzeptierte Lebensform unter vielen. Oder dass sich gar Politiker
offen zu ihrer Homosexualität bekennen. Aber das hat sich ja auch hier erst
in den letzten Jahren so entwickelt.
Stimmt der Eindruck, der hier oft vermittelt wird, dass in Istanbul ein
erstarkender Islam bestimmte Lebensweisen wieder verdrängt? Oder wird da
etwas aufgebauscht?
Dies ist ein sehr kompliziertes Thema. Auch mir fällt es sehr schwer, das
zu bewerten, ich kann mich dazu eher als Beobachterin äußern. Tatsächlich
sind offene islamische Lebensweisen in der Stadt in den letzten Jahren
sichtbarer geworden, sind nicht mehr nur auf Unterschicht beschränkt: Es
gibt eine wohlhabende Mittelschicht, Universitätsprofessoren,
Geschäftsleute, in der Kopftuch getragen wird. Es gibt neuerdings in
Istanbul Friseursalons für Musliminnen, wo Frauen sich, wenn sie ausgehen
wollen, ihre Kopftücher auf besondere und besonders schöne Art stylen
lassen können. Auch das schleichende Alkoholverbot ist spürbar: Dass in
einem bestimmten Umkreis um eine Moschee kein Alkohol verkauft wird, ist
Tradition. Aber nun gehen auch Besitzer anderer Lokale dazu über, keinen
Alkohol zu verkaufen.
Sind das Zuwanderer aus ländlichen Gebieten oder alteingesessene Städter,
die sich neu zum Islam bekennen?
Ich glaube, beides. Die türkische Gesellschaft befindet sich in einem
Transformationsprozess - und wohin sich das Land entwickeln wird, ist
derzeit noch nicht so richtig klar. Es gibt die alten Kemalisten, die
sagen, wir sind froh über die Macht des Militärs, das uns einen säkularen
Staat garantiert. Dann gibt es die neu erwachende islamische Elite, die
wächst und ihre Macht ausbaut. Und auf politischer Ebene leider wenig
dazwischen: Denn die libertären Intellektuellen, die Künstler und andere
zivilgesellschaftliche Akteure haben auf der politischen Ebene keine
Ausdrucksform. Ihre Diskussionen spielen sich in privaten Zirkeln und nur
selten auf der öffentlichen Ebene ab.
Die Ermordung von Hrant Dink, dem armenischen Journalisten, war so ein
Anlass, der diese Gruppe öffentlich sichtbar werden ließ. Es brechen,
nachdem die AKP nun lange an der Regierung ist, alte
Identitätsfindungsprozesse auf, die die Kemalisten unterbunden haben.
Auffällig ist, dass sich in letzter Zeit viele Menschen eher über ihre
ethnische Herkunft, also als Tscherkesse, Armenier, Laze, Kurde, Grieche
definieren. Kaum jemand in den aufgeklärten Kreisen beschreibt sich gerade
als Türke. Andererseits sind die Menschen kaum in der Lage, mit dieser
Diversität umzugehen. Das zeigt sich daran, wie schwer es ist, eine Lösung
für den Umgang mit den Kurden zu finden, die aber gefunden werden muss und
die ja auch viele wollen.
Sie versuchen, zum Beispiel über das Forum Berlin-Istanbul, Projekte
durchzuführen, die sich auf künstlerischer oder lokalpolitischer Ebene mit
Migration, ethnischer und sozialer Vielfalt und dem Umgang damit
beschäftigen. Klappt das?
Ich habe aus meiner Zeit als Politikerin und Bürgermeisterin gute Kontakte
zu einigen Istanbuler Verwaltungen. Aber vieles läuft hier anders. Es ist
ein anderes System, erheblich paternalistischer und personenabhängiger als
unseres. Das heißt, es gibt wenig Transparenz dabei, wie Entscheidungen
getroffen, Gelder verteilt werden. Deshalb ist es ganz wichtig, dass man
die richtigen Menschen in der Verwaltung überzeugen kann. Dann laufen
Projekte auch.
So? Wie läuft es denn hier?
Natürlich muss man auch in Berlin die richtigen Ansprechpartner finden.
Aber es gibt transparentere Auswahlverfahren für Projekte, und nach der
Entscheidung eine gewisse Verfahrenssicherheit.
Wie können denn zwei so verschiedene Systeme überhaupt zusammenarbeiten?
Durch Erfahrungsaustausch und arbeiten an gemeinsamen Projekten. Dies
gelingt momentan vor allem auf lokaler Ebene. Es gibt beispielsweise schon
seit längerem einen Fachaustausch zwischen Mitarbeiterinnen der
Frauenhäuser der Bezirke Kreuzberg und Kadiköy. Im Juni wurde ein
Künstleraustauschprojekt zwischen Mitte und Istanbul-Cihangir von
Kulturvereinen realisiert. In solchen Projekten kann man voneinander lernen
und tut das auch. I
Als Bürgermeister Klaus Wowereit kürzlich zur Jubiläumsfeier in Istanbul
war, hat er trotzdem das alte Stereotyp wiederholt: Istanbul sei eine
moderne Stadt, repräsentiere aber eben nun mal nicht die ganze Türkei. Und
die türkischen Einwanderer in Berlin kämen nun mal nicht aus Istanbul.
Ändert all die Kooperation nichts an dem Blick auf die Türkeistämmigen
hier?
Mich machen solche Äußerungen sehr nachdenklich und wütend. Die
Entwicklungen in Großstädten sind in Grundzügen doch überall gleich: Es
findet Ausgrenzung statt, bestimmte Bevölkerungsgruppen werden wenig
beteiligt. Natürlich lassen sich je nach Stand der demokratischen
Entwicklung solche Prozesse leichter gestalten. Aber immer nur diese starre
Sichtweise beizubehalten: Ja, es gibt in Istanbul libertäre,
fortschrittliche Nischen, aber wir haben hier eben nur die
zurückgebliebenen anatolischen Bauern gekriegt, das ist mies. Das ist immer
noch so ein altertümlicher Blick auf Migration hier in der Stadt Berlin.
7 Sep 2009
## AUTOREN
Alke Wierth
Alke Wierth
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Istanbul
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