# taz.de -- Gewalt in Treptow: "Gewalt gehört zum Alltag" | |
> Im Kungerkiez in Alt-Treptow wird geprügelt, gemobbt und gestohlen. | |
> Anwohnerin Sigrun Merkle fordert darum mehr bürgerschaftliches | |
> Engagement. | |
Bild: Protest gegen den Mietenwahnsinn 2021 in Berlin | |
taz: Frau Merkle, wieso interessiert Sie das Thema Gewalt im Kungerkiez? | |
Sigrun Merkle: Ein Schlüsselerlebnis war für mich, als meine damals | |
13-jährige Tochter in eine Tankstelle flüchten musste, weil ihr jemand das | |
Handy rauben wollte. So etwas krasses ist aber ein Einzelfall. | |
Was ist dann die Normalität? | |
Einerseits hat Alt-Treptow gute Integrationsarbeit geleistet, und auch die | |
Bouchégrundschule hat ein niedriges Gewaltniveau. Andererseits gehören | |
Gewalt und Rassismus zum Alltag. Hier gibt es Zeitungsläden, die als Schutz | |
die Türen verschließen, wo man erst reinkommt, wenn man klingelt. Und als | |
ich als Elternbegleiterin auf Klassenfahrt mitgefahren bin, habe ich | |
gesehen, wie Kinder raufen und toben, bis beinahe jemand verletzt wurde. | |
Für die Kinder ist das jedoch normal, und deswegen erzählen sie ihren | |
Eltern nichts davon. Wir haben hier außerdem seit kurzem eine Gruppe | |
Jugendlicher zwischen 12 und 15 Jahren, die pöbeln Kinder wie Erwachsene an | |
und treten regelrecht als Gang auf. Ich bin aber nicht bereit zu | |
akzeptieren, dass ich auf der Straße überfallen werde. | |
Sie haben Schüler und Eltern interviewt und eine Studie vorgelegt. Was | |
wollen Sie damit erreichen? | |
Oft wird über unseren Kiez gesagt: "Da ist doch alles schön." Jetzt wissen | |
wir, dass diese Wahrnehmung falsch ist. Wir haben auch Probleme, wir | |
brauchen deswegen mehr offene Jugendarbeit. Vor allem aber braucht es mehr | |
bürgerschaftliches Engagement. Gerade angesichts der Haushaltslage kann | |
hier einiges ohne viele Euros bewegt werden. Die Bürger müssen das | |
Gemeinwesen schützen, das kann die Polizei nicht alleine. Konkret ist für | |
den November eine Bürgerberatung geplant, wo wir uns Strategien überlegen | |
wollen, wie man bei Problemen reagieren kann. Wenn etwa Jugendliche sich an | |
einem öffentlichen Ort nachts betrinken und laut sind, müssen die Nachbarn | |
zusammen hingehen und sich durchsetzen. Auch sollen die Eltern aufgeklärt | |
werden, wie sie Bullying und Mobbing erkennen. | |
Warum verhalten sich Jugendliche gewalttätig? | |
Zunächst einmal: Jugendliche verhalten sich regelabweichend, das ist ja bis | |
zu einem gewissen Alter auch normal. Wenn aber dazu kommt, dass sie | |
schlechte Vorbilder haben, wird es problematisch. Im Kiez leben 44 Prozent | |
der Kinder unter 15 Jahren von ALG II, wir haben viele Alleinerziehende, | |
die es schwer haben. Und dann sehen die Kinder auf der Straße die | |
Alkoholiker und Leute, die sich anbrüllen. Diesem Umgang passen sich die | |
Kinder und Jugendlichen an. | |
20 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Bastian Brinkmann | |
## TAGS | |
Mietenwahnsinn | |
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