# taz.de -- Kolumne Landmänner: Ich folge dir bis in die letzte Pfütze | |
> Wenn der spätzeitliche Automobilismus im Raum Berlin-Brandenburg an seine | |
> Grenzen stößt, geht es weder vor noch zurück. | |
In regelmäßigen Abständen versenkt mich mein Mann im Schlamm. Es handelt | |
sich dabei allerdings nicht um eine bizarre sexuelle Spielart, sondern um | |
ein scheinbar nicht vermeidbares Übel, wenn man wie wir zwei in | |
regelmäßigen Abständen mit dem Auto auf Brandenburger Abwegen unterwegs | |
sind. | |
Mein Mann ist als Eingeborener und gelernter DDR-Bürger in | |
Infrastrukturfragen völlig unerschrocken. Gleich ob es sich um halb im | |
Sumpf versunkene LPG-Plattenwege, märkische Sandpisten, friderizianische | |
Kopfsteinpflaster oder historische Knüppeldämme handelt - immer heißt es: | |
"Fahr, das geht schon." | |
Und das mit dem schönen Westwagen! Er will einfach nicht einsehen, dass | |
Aufhängung, Stoßdämpfer, Fahrwerk und was es da noch so alles am Automobil | |
gibt (Ölwannen, die abreißen könnten, solche Sachen), bei solchen | |
Expeditionen in Mitleidenschaft gezogen werden können. Und das, obwohl er | |
als junger Mann gezwungen wurde, eine Kfz-Mechaniker-Lehre zu machen: "Das | |
hier ist kein Trabbi!", sage ich immer streng. Und ins Nichts. Man bräuchte | |
eigentlich einen Geländewagen - wenn es nicht so albern wäre. | |
Zugegeben: Dieses Mal war er nicht allein schuld. Wir waren zum | |
spätnachmittäglichen Essen ins Nachbardorf geladen, von einem sehr netten | |
älteren Ehepaar. Im Nachbardorf wird allerdings gerade die Straße saniert, | |
was einige der älteren Anwohner noch ganz schön in finanzielle | |
Schwierigkeiten bringen wird, der Anrainerkosten wegen. | |
Dieses Mal versenkte mich also eine nette ältere Dame im Schlamm. Sie wies | |
mir von der Haustür aus einen "Parkplatz" zu, eine Schlammkuhle mit | |
integrierter Pfütze, die ich misstrauisch beäugte, aber man kann sich schon | |
denken, was mein Mann dazu sagte: "Fahr, das geht schon." | |
Und schon saßen wir im Dreck fest. Es ging nicht mehr vor und nicht mehr | |
zurück. Nur seitwärts, und zwar von ganz allein, der Wagen rutschte in | |
Zeitlupe in Richtung Straßenbaustellenloch. Kennen Sie auch solche Momente, | |
in denen Sie bedauern, weder Vorurteile zu haben noch beratungsresistent zu | |
sein? | |
Die Beratungslage in dieser ausweglosen Situation war jedenfalls opulent. | |
So setzte vom Haus der Gastgeber aus ein reges Winken und Rufen ein, mein | |
Mann wiederum versuchte es mit Physik: "Wenn du rückwärts fährst und | |
gleichzeitig nach rechts einlenkst, entsteht zu viel Widerstand, das | |
schaffst du nicht". Er hat nicht mal einen Führerschein. | |
Außer dem von den Rädern aufgewühlten Schlamm bewegte sich jedenfalls gar | |
nichts, bis ich mir dachte, dass es an der Zeit sei, die Physis zum Einsatz | |
zu bringen - die Muskeln des Herrn Gemahls sind ja nicht nur zu Deko da: | |
"Schieb, das geht schon", sagte ich. | |
Was soll ich sagen: Er hat es geschafft, im Schweiße seines Angesichts, | |
"geht doch". | |
Der Westwagen sah danach natürlich aus, als hätte ich an der Rallye | |
Paris-Perleberg teilgenommen, was mir jedoch nach meiner Rückkehr nach | |
Berlin einen völlig unerwarteten Punktgewinn an den Ampelanlagen Neuköllns | |
einbrachte. Anerkennende bis neidvolle Blicke von oben, nämlich von den | |
Fahrersitzen jener großstädtischen Geländewagen, die es höchstens bis zum | |
Parkplatz einer Parkanlage schaffen, streiften Automobil und Fahrer, und | |
ich fühlte mich mindestens wie Heidi Hetzer. | |
Und irgendwie von gestern mit meiner schlammverkrusteten, alten | |
Dampfmaschine aus Westproduktion. Von nun an warten wir auf unseren Trabbi. | |
Mit Elektroantrieb. | |
20 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
Martin Reichert | |
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Liebeserklärung | |
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