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# taz.de -- Reportage und Video – Kampf ums Koka: Rauschgift oder Naturkost
> Boliviens Präsidenten kämpft für den Ausbau des Handels mit Koka, dem
> "heiligen Blatt". Es soll eine Industrie entstehen für Shampoos, Tees und
> Bonbons. Der Rest der Welt sieht nur das Kokain.
Bild: In einem der wenigen legalen Koka-Anbaugebiete im Dorf Irupana in der Reg…
LA PAZ taz | Der Flughafen von La Paz liegt gut 4.100 Meter über dem
Meeresspiegel. Flachländer kippen dort wegen des knappen Sauerstoffs leicht
um. Schwindelgefühle vor dem Schalter der Einreisebehörde sind normal, beim
anschließenden Geldwechseln bohrt sich ein Schmerz tief ins Gehirn. Die
Hotels der bolivianischen Hauptstadt sind auf solche Kalamitäten
vorbereitet. Ganz selbstverständlich liegen auf dem Zimmer, gleich neben
einem Wasserkocher, zwei Teebeutelchen mit fein geschnittenen Kokablättern.
Aufgebrüht schmeckt das etwa wie die Kräutertees in der Jugendherberge.
Aber es wirkt. Nach kurzer Zeit lassen Kopfschmerzen und Schwindelgefühle
nach.
Die Indígenas in Boliviens Hochland wissen seit Jahrtausenden, dass Koka
gegen Höhenkrankheit hilft, und Evo Morales weiß es auch. Er ist nicht nur
Präsident des Landes, sondern gleichzeitig Vorsitzender der Vereinigten
Gewerkschaften der Kokabauern. Er fühlt sich auch als Staatschef
verpflichtet und fördert den Kokaanbau, natürlich nur den legalen. Und
damit das auch klar ist, heißt das Motto der entsprechenden
Regierungskampagne "Coca no es cocaína" - "Koka ist kein Kokain".
Tatsächlich enthält das Kokablatt höchstens 1 Prozent des Alkaloids Kokain,
dazu große Anteile von Kohlehydraten, Kalzium, Proteinen und Eisen und die
Vitamine A und B 2. Ein gesundes Pflänzchen. In bolivianischen
Buchhandlungen findet man Heilkundefibeln, die Kokarezepturen gegen
allerhand Zipperlein enthalten. Weil es heilend wirkt, gilt das Blatt dem
Volk der Aymara seit Jahrtausenden als heilig.
Lange wurde Koka nur im religiösen Kult und in der Medizin verwendet. Und
auf Reisen, weil das Kauen von Kokablättern wachhält und den Hunger
unterdrückt. Erst in der Kolonialzeit wurde Koka massenhaft eingesetzt.
Damit die Einheimischen in den bis zu 5.000 Meter hoch gelegenen Minen,
ohne viel zu essen, lange schuften und für die Spanier die Silbervorkommen
der Region ausbeuten konnten, gab man ihnen Koka zum Kauen. Das Blatt war
für den Andenkapitalismus so wichtig, dass es in einem Dekret vom 4. August
1940 zum Grundnahrungsmittel erklärt wurde. Minenarbeiter bekommen noch
heute beim Einfahren in den Stollen eine im Tarifvertrag vereinbarte Menge
Blätter.
taz.de-Slideshow von Toni Keppeler (Text), Lukas Coch (Fotos) und Cecibel
Romero (Produktion).
In den Siebzigerjahren wurden die bis dahin staatlichen Minen privatisiert
- die Folge waren Massenentlassungen. Doch für die arbeitslos gewordenen
Knappen gab es eine lukrative Alternative: Statt Koka nur zu kauen, bauten
sie es an. In den USA stieg Kokain in diesen Jahren zur Modedroge auf, die
Nachfrage war groß. Die Anbaufläche in Bolivien wuchs von rund 10.000 auf
über 50.000 Hektar an. Kolumbianische Drogenkartelle konnten in den
80er-Jahren in der damals neu erschlossenen Kokaregion Chapare den zu Paste
konzentrierten Grundstoff des Kokains offen einkaufen.
Anders als die Regierungen in Peru und Kolumbien gingen die bolivianischen
Behörden nie sonderlich repressiv gegen den Kokaanbau vor. Für den
traditionellen Gebrauch wurden 12.000 Hektar Kokapflanzungen legalisiert,
jede Bauernfamilie darf ein Cato mit Kokasträuchern - 40 mal 40 Meter -
behalten. Für vernichtete Kokaplantagen gab es Entschädigungen. Und obwohl
nie richtig definiert wurde, welche Pflanzungen nun zu den legalen 12.000
Hektar gehören und welche nicht, sank die Anbaufläche von über 50.000
Hektar auf rund 15.000 Hektar im Jahr 2000. Die Einkünfte aus dem
Drogenhandel gingen entsprechend von rund 800 Millionen Dollar auf knapp
300 Millionen zurück.
In den vergangenen Jahren aber wurden die Anbauflächen wieder auf gut
30.000 Hektar ausgeweitet. Präsident Morales hat seinen
Gewerkschaftsgenossen versprochen, den legalen Anteil von 12.000 auf 20.000
Hektar zu erhöhen. Natürlich nicht, um die Nachfrage der Kokainkartelle zu
befriedigen. Nein, in Bolivien soll eine eigene Koka-Industrie entstehen,
die die positiven Eigenschaften des Blattes nutzt.
Nach einer Umfrage kauen schon heute gut 60 Prozent aller Bolivianer
regelmäßig Kokablätter. Kokatees gibt es in großer Auswahl in jedem
Supermarkt. Aber Morales denkt auch an den Export, nicht nur von Blättern
und Tee. Wenn es nach ihm ginge, würden auch Kokamedizin, Kokashampoos und
Kokagesichtscremes um die Welt geschickt. Dazu noch Kokawein, Kokaschnaps
und für die Damen Kokaparfüm. Alles aus bolivianischer Produktion. Doch der
Einzige, der bislang den Import solcher Produkte in Aussicht gestellt hat,
ist Venezuelas Präsident Hugo Chávez.
Nicht mehr als drei Gläser Kokawein am Tag
Ansonsten schlägt Morales nur Ablehnung entgegen. Das Kokablatt gilt
weltweit als geächtete Droge. Der Präsident und Kokagewerkschafter bemüht
sich zwar seit Jahren, dass die Pflanze von der schwarzen Liste der
UNO-Drogenkommission genommen wird und nur das Kokain dort bleibt - ohne
Erfolg.
In bescheidenem Umfang gibt es in Bolivien schon heute so etwas wie eine
Koka-Industrie. Gleich neben dem Platz vor der San-Francisco-Kirche von La
Paz, wo Kunsthandwerk für Touristen angeboten wird, hat eine Aymara-Frau
ihren Stand. Neben Kokablättern und Kokatee hat sie verschiedene
Naturheilmittel, Shampoos, Gesichtscremes, Lutschbonbons und Kaugummis auf
Kokabasis im Angebot. Selbst Kokawein verkauft sie. Er schmeckt ein
bisschen wie Hustensaft und wirkt wie andere alkoholische Getränke. Auf der
Flasche steht, man solle sich nicht mehr als drei Gläschen pro Tag gönnen.
Senator Lino Vilca konsumiert Koka ganz traditionell: Er kaut es. Bevor er
in den Senat gewählt wurde, war er Vorsitzender der Kokabauern-Gewerkschaft
im Anbaugebiet von Los Yungas, wo Koka seit fast 2.000 Jahren wächst. Beim
Jahreskongress der Gewerkschaft in Irupana, 120 Kilometer nordöstlich von
La Paz, wird Vilca als Ehrengast erwartet. Die Straße windet sich zunächst
auf knapp 5.000 Meter hinauf. Dann wird sie zur einspurigen Schlammpiste
und schlängelt sich, garstigen Abgründen entlang, durch Bachbetten und
unter Wasserfällen hindurch auf 1.400 Meter herunter. Nach sechs Stunden
Fahrt erreicht man Irupana, ein 6.000-Einwohner-Städtchen mit
Kolonialhäuschen und heruntergekommenen Betonbauten. Die Straßen sind grob
gepflastert. Gut tausend Kokabauern warten in einer schmucklosen Halle.
Das Präsidium sitzt auf dem Podium hinter einem Tisch. Ein Bauer schüttet
einen Sack Kokablätter darauf aus. Im Laufe des Tages muss er das mehrfach
tun. Kokablätter haben mit Erdnüssen gemein, dass man anfängt zu knabbern
und nicht mehr aufhören mag. Am Abend haben die Gewerkschaftsführer
geweitete Pupillen. Sie sind guter Dinge.
"Das Koka hier hat mittlere Qualität", sagt der Kokabauer Luis Poma. Beste
Qualität, das wären zarte tiefgrüne, kaum geäderte Blättchen, die im Mund
fast zergehen und beim Kauen so gut wie keinen Rest hinterlassen. Mindere
Qualitäten wachsen im Tiefland von Chapare. Sie sind großadrig und fast
ledern, enthalten aber mehr Kokain.
Pomas Pflanzung ist in schmalen Terrassen an einen steilen Hang gebaut. Ein
bisschen sieht es dort aus wie in einer Baumschule: In ein paar Reihen
stehen Setzlinge. Andere Sträucher sind schon zwei Jahre alt und kniehoch,
und wieder andere erreichen einen Meter. "In anderen Gegenden werden sie
höher", sagt Poma. "Aber hier ist der Boden schon erschöpft."
Und es gibt Schädlinge - der Fluch der Monokultur. Auf den
wolkenverhangenen Hügeln rund um Irupana steht fast nichts anderes als
Koka. Würmer gehen den Sträuchern an die Wurzeln, und Blattschneiderameisen
"können ein halbes Cato in einer Nacht wegräumen". Poma spritzt deshalb
Gift.
Alle drei Monate erntet er sechs bis sieben 50-Pfund-Säcke. Die Blätter
werden einfach von den Zweigen gerissen, dann auf großen Netzen in der
Sonne getrocknet und schließlich in Säcke gepresst. Das Gift bleibt dran.
Auf dem Großmarkt in La Paz gibt es für diese Qualität umgerechnet gut 60
Euro für einen Sack. 70 Prozent der Wirtschaft von Irupana hängen am Koka,
sagt Bürgermeister Clemente Mamani. Alles natürlich legal. "Dass es hier
Drogenhandel gibt, habe ich als Kind einmal gehört", sagt er. "Aktuell ist
das kein Problem."
Wer das wohl glauben mag? Der Preis für Koka ist nur deshalb viel höher als
der anderer Grundnahrungsmittel, weil es gleichzeitig Nachfrage vom
Schwarzmarkt gibt. René Sanabria, Chef der bolivianischen
Antidrogenpolizei, schätzt, dass mehr als 50 Prozent der Produktion des
Landes in den Drogenhandel gehen. Die UNO geht gar davon aus, dass von den
54.000 Tonnen Kokablättern, die im vergangenen Jahr in Bolivien geerntet
wurden, 42.000 in die örtlichen Drogenlabors gingen und dort zu 113 Tonnen
Kokain verarbeitet wurden.
Längst verkaufen die Bolivianer nicht mehr das Halbfertigprodukt Kokapaste
an kolumbianische Kartelle. Der Transport wäre heute wegen der engmaschiger
gewordenen Luftüberwachung viel zu teuer und gefährlich. In den
Kokainküchen von El Alto, einer fast nur von Aymara bewohnten Armenstadt
auf der Hochebene über La Paz, stellen heute kleine Betriebe in Hinterhöfen
das Endprodukt für den südamerikanischen Drogenmarkt her. Aymara-Clans
haben den Handel mit legaler und illegaler Ware im kleinen Grenzverkehr mit
den Nachbarländern fest im Griff.
Auf den Straßen aus den Anbaugebieten gibt es Kontrollstellen der
Drogenpolizei, und im Kokagroßmarkt von La Paz muss jeder Produzent beim
Wareneingang und jeder Händler, der die Säcke hinauskarrt, seine Papiere
abstempeln lassen. Ab morgens um 5 liefern die Produzenten an, ab 8.30 Uhr
dürfen die Säcke von den Aufkäufern abtransportiert werden. An jedem Tag
herrscht hier Hochbetrieb, auch samstags und sonntags.
In den langen Fluren des dreigeschossigen Gebäudes reihen sich die nach
Anbauregionen geordneten Verkaufsräume aneinander. Im Erdgeschoss wird
mindere Qualität umgeschlagen, im ersten Stock mittlere Qualität, und ganz
oben sind die Spitzenprodukte im Angebot. Es riecht wie in einem
Kräuterladen.
Ein Cato produziert etwa sechs Säcke Koka alle drei Monate, erklärt die
Beamtin des Landwirtschaftsministeriums, die den Umtrieb im Kokakontor
überwacht. Die Hälfte dieser Menge dürfen Bauern auf dem Großmarkt
umschlagen, die andere sei für den lokalen Markt vor Ort. Neuerdings aber
gibt es Ausnahmeregelungen, nach denen Produzenten bis zu dreimal so viel
Koka auf den Großmarkt bringen dürfen. "Es gibt einen richtigen Ansturm auf
diese Genehmigungen", sagt die Beamtin.
Ein paar Häuserblocks vom Großmarkt entfernt stehen die Produktionshallen
des Unternehmers Javier Hurtado. Früher war er Trotzkist, weshalb er
während der Militärdiktatur Anfang der Achtzigerjahre ins Exil ging, in
Berlin in einem besetzten Haus wohnte und dort die Anfänge der Ökobewegung
kennenlernte. Hurtado stammt aus Irupana, und so heißt heute seine
Naturkostladenkette, in der er neben organischem Kaffee, Amarant und Quinoa
der bolivianischen Mittelschicht allerlei feine Kokaprodukte verkauft:
Heilessenzen, Lutschbonbons, Kekse, Mehl. Seinen Rohstoff kauft er nicht
bei den Bauern seiner Heimatgemeinde; er produziert ihn selbst, rein
biologisch. Er ist weltweit der einzige amtlich zertifizierte organische
Kokabauer. Man schmeckt es. Seine Kokaprodukte haben eine andere Qualität
als die eher rustikale Ware der Aymara-Frau bei der Kirche von San
Francisco. Sie sind feiner und nicht so herb.
Der Kokaanbau zerstört Wälder und Böden
"Was heute im Anbaugebiet von Los Yungas passiert, ist der reine Wahnsinn",
sagt Hurtado. Kaffee- und Früchteplantagen würden zugunsten von neuen
Kokapflanzungen aufgegeben, und die würden bewässert, um nicht nur drei,
sondern vier Ernten im Jahr zu bringen. "Die letzten Wälder werden
abgeholzt, die Böden laugen aus, die bewässerten Hänge rutschen ab. In 20
Jahren wird Los Yungas eine Wüste sein."
In vorkolumbianischer Zeit hätten die Menschen gewusst, wie man vernünftig
Koka anbaut: Man schlug nur kleine Felder aus dem Wald, meist in Hanglagen,
wo nichts anderes wächst. "Das war nachhaltige ökologische Waldwirtschaft."
Trotzdem freut sich Hurtado, dass sein Präsident die Vermarktung von Koka
fördert. Nur das Motto der Kampagne sei blödsinnig. Von wegen Koka sei kein
Kokain. "Ohne Kokain wäre Koka völlig langweilig", sagt der Ökounternehmer.
"Kokain stimuliert. Es nimmt dir die Depressionen. Du bleibst wach, ohne
nervös zu sein." Für lange Autofahrten, für Studenten im Examensstress,
überhaupt für die deutsche Leistungsgesellschaft wäre so etwas "einfach
fantastisch". Und warum nicht ein Kokakekschen nach einem reichhaltigen
Essen? "Das fördert die Verdauung." Man müsse es nur "mit Verstand zu sich
nehmen".
Dass Hurtado getrocknete Blätter zu Mehl mahlen und in Süßigkeiten mischen
lässt, ist nur ein erster Schritt. Er träumt von organischen Kokakaugummis,
die anders sein müssten als diejenigen, die heute schon verkauft werden.
Denen sind fein geschnittene Blätter beigemischt. "Da bleibt immer ein
ekliger Rest im Mund", und das mag die etwas feinere Kundschaft seiner
Naturkostläden nicht. Man müsse das Koka zu einem Sirup konzentrieren und
mit einer organischen Kaumasse mischen, schwärmt er. "Aber da ist man dann
nahe an einer richtigen Droge und kann schnell mit dem Gesetz in Konflikt
kommen."
Ein Kollege von ihm stellt Lutschbonbons aus Kokakonzentrat her, und die
haben tatsächlich eine frappierende Wirkung. Wie das verbotene weiße Pulver
betäuben die Pastillen die Schleimhäute. Aber im Kopf ist man hellwach, und
es bleibt kein ekliger Rest im Mund zurück.
Hurtado verkauft diese Drops in seinen Läden, aber an die Produktion wagt
er sich noch nicht. Sein Renner sind Kekse in der Form eines Kokablatts.
Zur Herstellung von 200 Einheiten nehme man 800 Gramm Butter, 800 Gramm
Zucker, 8 Eier, 5 Gramm Salz, 25 Gramm Milchpulver, 5 Milliliter
Vanille-Essenz, 1.900 Gramm weißes Mehl, 60 Gramm Kokamehl und 25 Gramm
Backpulver. Das alles wird zwei Minuten in der Maschine geschlagen, bis ein
grüner Teig entsteht. Der wird zu einem etwa drei Millimeter starken Fladen
ausgewellt, dann werden die Kekse mit einer Form ausgestochen. Bei 180 bis
200 Grad 10 bis 15 Minuten lang ausbacken. Lecker.
Schade, dass kein Naturkostladen in Deutschland die Kekse je im Angebot
haben darf.
24 Sep 2009
## AUTOREN
Toni Keppeler
## TAGS
Landwirtschaft
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