# taz.de -- Freitagscasino: Zwang zum Crash | |
> Schon pumpt sich die nächste Blase auf. Die Banker sehen die Gefahr, aber | |
> sie müssen weiter spekulieren, wenn sie Gewinne machen wollen. Der | |
> nächste Crash kommt. | |
Die Deutschen wählen, aber eigentlich haben sie keine Wahl mehr. Denn die | |
jetzige Finanzkrise bringt den Staat an seine Grenzen. Die EU-Kommission | |
hat kürzlich ausgerechnet, dass die öffentlichen Schulden bis 2020 auf | |
knapp 100 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) steigen werden. Damit droht | |
zwar noch kein Staatsbankrott, aber ein Bankrott der Politik: Für | |
innovative Pläne wird schlicht das Geld fehlen, weil enorme Zinslasten die | |
Haushalte erschöpfen. Jede Regierung, gleich welcher Partei, wird nur noch | |
als Buchhalter agieren können und damit ausgelastet sein, Kredite zu | |
bedienen und umzuschulden. | |
Das ist die optimistische Variante. Wahrscheinlich kommt es schlimmer. Denn | |
an den Finanzmärkten pumpt sich eine neue Blase auf. Um nur einige Indizien | |
aufzuzählen: | |
Die Börsen rauschen schon wieder nach oben. Die Wirtschaft befindet sich in | |
der größten Krise der Nachkriegszeit, aber der DAX ist auf rasante 5.700 | |
Punkte gestiegen. Dieser Wert wurde zuletzt im Herbst 2006 erreicht - aber | |
damals herrschte Hochkonjunktur. Diesmal ist von einem Wirtschaftsboom | |
nichts zu sehen. Selbst optimistische Forschungsinstitute rechnen nur mit | |
einem Wachstum von maximal 1 Prozent im nächsten Jahr, nachdem die | |
Wirtschaft in diesem Jahr um etwa 5 Prozent schrumpfen dürfte. | |
Besorgniserregend ist auch, dass sich das Spekulationsfieber nicht nur auf | |
Aktien beschränkt. Auch die Rohstoffpreise schießen wieder nach oben - und | |
zwar nicht nur beim Öl. Was genau sich auf den Rohstoffmärkten abspielt, | |
kann allerdings niemand sagen, denn dort herrscht völlige Intransparenz, | |
weil die meisten Verträge außerbörslich abgeschlossen werden. | |
Gleichzeitig floriert erneut die Spekulation mit den Währungen; vor allem | |
der "Carry Trade" ist beliebt. Der Trick besteht darin, sich in einem Land | |
mit niedrigen Zinsen zu verschulden, die Kreditsumme dann in eine andere | |
Währung umzutauschen - und damit Anlagen zu tätigen, die mehr Rendite | |
versprechen. Wird der Kredit fällig, wird wieder in die Ursprungswährung | |
zurückgetauscht. | |
Am lukrativsten entwickelt sich dieses Geschäft natürlich, wenn davon | |
auszugehen ist, dass die Währung des Landes inzwischen gefallen ist, in dem | |
man den Kredit aufgenommen hat. Mit diesem simplen Trick lassen sich auch | |
ohne Eigenkapital gigantische Gewinne erzielen. Zielobjekt des Carry Trade | |
scheint diesmal der Dollar zu sein. Bekanntlich hält die Fed die | |
Zentralbankzinsen bei Null, was Kredite in den USA für jeden Spekulanten | |
erfreulich günstig macht. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass der | |
Dollar weiter fällt, schon weil die US-Verschuldung aktuell ins | |
Astronomische steigt. | |
Geld für diese diversen Spekulationen auf den Aktien-, Rohstoff- und | |
Währungsmärkten ist überreichlich vorhanden. Denn die Banken können sich ja | |
gratis bei den Zentralbanken verschulden, seitdem der Zins bei Null liegt. | |
Eigentlich sollte diese zusätzliche Liquidität dazu dienen, Firmen mit | |
Krediten zu versorgen. Doch sind die Banken eher zögerlich, Unternehmen zu | |
unterstützen. | |
Diese Zurückhaltung ist manchmal sogar verständlich: Wenn die Wirtschaft | |
schrumpft, ist es sehr wahrscheinlich, dass einige Firmen Pleite gehen - | |
und keine Bank will in ein Konkursunternehmen investieren. Höchst riskant | |
ist allerdings, dass Banken und Finanzinvestoren die überschüssige | |
Liquidität nun nutzen, um ungehemmt auf den Finanzmärkten zu spekulieren. | |
Eigentlich müssten die Zentralbanken sofort die Geldzufuhr an die Banken | |
stoppen - und die Zinsen wieder hochsetzen. Doch damit würden sie die | |
Realwirtschaft abwürgen. Fast jede Firma sitzt auf Überkapazitäten und muss | |
hinnehmen, dass die Preise für ihre Waren sinken. Ausserdem können selbst | |
gesunde Betriebe keine Kredite aufnehmen, wenn plötzlich die Zinsen | |
steigen. | |
Und so nährt der erste Crash den zweiten Crash. Noch schlimmer: Wenn die | |
nächste Finanzkrise zuschlägt, werden alle Reserven aufgebraucht sein. Die | |
Staaten sind durch die jetzigen Konjunkturpakete schon bis an die Grenze | |
ihrer Leistungsfähigkeit verschuldet - und die allermeisten Banken haben | |
ihr Eigenkapital bereits in dieser Krise aufgebraucht. Beim erneuten Crash | |
wird es daher mit aller Härte die Gläubiger der Banken treffen. Der | |
Terminus "Gläubiger" klingt so abstrakt, doch dahinter verbergen sich alle | |
Bürger und Institutionen, die ihr Geld zur Bank getragen haben. Das sind | |
die Lebensversicherungen genauso wie die einzelnen Sparer. | |
Bisher wurden diese Gläubiger noch geschützt, weil letztlich der Staat die | |
Verluste der Banken aufgefangen hat. Das ist zwar auch nur ein | |
Null-Summen-Spiel, weil die getätschelten Gläubiger ja gleichzeitig die | |
gebeutelten Steuerzahler sind, die am Ende die Staatsschulden abtragen | |
müssen. | |
Aber dieser Kreisverkehr fällt bisher nicht auf, weil die Rechnung erst | |
2020 in ganzem Umfang fällig wird und sich noch alle in der Illusion wiegen | |
können, dass das Wachstum bis dahin derart zugelegt hat, dass sich die | |
Schulden im Nichts verlieren. Beim nächsten Crash kann es diesen Scheck auf | |
die Zukunft nicht mehr geben, weil er schon diesmal gezeichnet wurde. Dann | |
sind die Gläubiger dran. | |
Die Banken wissen natürlich, was sie riskieren, wenn sie wieder vor allem | |
auf den Finanzmärkten spekulieren. Doch wäre es zu einfach zu glauben, dass | |
nur die Boni-Gier sie treibt. Es stellt sich auch ein strukturelles | |
Problem: Der Finanzsektor ist schlicht zu groß, um noch für alle Anbieter | |
befriedigende Renditen ohne leichtfertiges Risiko zu generieren. Aber wie | |
schrumpft man Banken? | |
Dafür gibt es kein einfaches Rezept. Denn wieder wären die Gläubiger | |
getroffen, die einsehen müssten, dass ihre offiziellen Guthaben nur zum | |
Teil von der Realwirtschaft gedeckt sind. Und so wurschteln alle weiter wie | |
bisher, wozu auch gehört, dass der G-20-Gipfel in Pittsburgh nur Kosmetik | |
produziert. | |
Wann sich der nächste Crash ereignet, ist natürlich ungewiss. Aber es muss | |
zutiefst beunruhigen, dass die Abstände immer kürzer werden. Zwischen dem | |
Ende der Dotcom-Krise und dem Beginn der Subprime-Krise lagen nur etwa fünf | |
Jahre. Diesmal könnte es noch schneller gehen. | |
24 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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