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# taz.de -- Freitagscasino: Europa im Fehler-Loop
> Europa wiederholt die Fehler der ersten Weltwirtschaftskrise. Nur Italien
> macht es richtig: Dort werden nun reiche Steuersünder verfolgt und
> Luxusjachten beschlagnahmt.
Immer neue Rettungspakete werden verabschiedet - und trotzdem kehrt keine
Ruhe an den Finanzmärkten ein. Die Investoren haben längst ausgerechnet,
dass die jetzt beschlossenen 750 Milliarden Euro keine drei Jahre reichen
würden, falls Griechenland, Spanien, Portugal und Irland gleichzeitig Hilfe
benötigten, weil sie keine neuen Kredite mehr auf den Finanzmärkten
erhalten. Und der Chefökonom der Citigroup, Willem Buiter, hat ermittelt,
dass sogar 2 Billionen Euro nötig wären, um alle gefährdeten Euroländer
mittelfristig vor dem Bankrott zu retten.
Diese enormen Summen sind bisher rein virtuell. Deutschland beteiligt sich
zwar mit maximal 148 Milliarden Euro an dem Rettungspaket von 750
Milliarden Euro und mit weiteren 22,4 Milliarden an der Hilfe für
Griechenland - doch handelt es sich nur um Bürgschaften. Noch ist kein Cent
Steuergeld geflossen. Trotzdem suggerieren Politik und Medien immer wieder,
dass die Regierung bei den Kinderkrippen sparen müsse, weil das Geld nach
Griechenland fließe. Das ist falsch. Deutschlands Defizite wachsen, weil
die Steuereinnahmen durch die Rezession gesunken sind.
Wahr ist nur, dass Bürgschaften sehr teuer werden können, wenn der
Schuldner tatsächlich in den Bankrott steuert. Die defizitären Euroländer
brauchen also eine Perspektive, wie sie der Staatspleite entkommen könnten.
Auch dafür gibt es längst Berechnungen, die allerdings wenig optimistisch
stimmen. So hat der Nobelpreisträger für Wirtschaft Paul Krugman ermittelt,
dass die Löhne in Spanien oder Portugal um 20 bis 30 Prozent sinken
müssten, damit sie die Wettbewerbsvorteile wieder aufholen, die sich
Deutschland in den vergangenen Jahren durch Lohndumping erschlichen hat.
Derartig drastische Gehaltskürzungen seien jedoch wenig realistisch, meint
Krugman und verweist auf das Beispiel Lettland: Der baltische Staat
schlitterte früh ins Desaster und legte daher schon im vergangenen Jahr ein
drakonisches Sparprogramm auf. Ergebnis: 2009 schrumpfte die Wirtschaft um
fast 20 Prozent. Das ist ein einsamer Rekord. Und in diesem Jahr wird für
Lettland nochmals mit einem Minus von 3 Prozent gerechnet. Nur bei den
Löhnen tat sich wenig: Sie sanken um ganze 5,4 Prozent. Dafür stieg aber
die Arbeitslosigkeit - auf 22,3 Prozent.
Es ist also illusorisch, zu hoffen, dass sich mit Lohnkürzungen die
Staatspleite abwenden ließe - und doch verfolgen Spanien, Portugal und
Griechenland nun genau diesen Kurs. Zudem ist keineswegs ausgemacht, dass
die Deutschen nicht ebenfalls mit Lohnverzicht reagieren würden, wenn sie
ihre Exportstärke bedroht sehen. Theoretisch setzt sich zwar langsam die
Erkenntnis durch, dass Staatspleiten nur zu verhindern sind, wenn die
schwachen Euroländer Marktanteile gewinnen. Aber praktisch will niemand in
Deutschland auf die eigene Marktdominanz verzichten.
Die Euroländer sind dabei, die Fehler der ersten Weltwirtschaftskrise zu
wiederholen. In der Rückschau wurden zwei zentrale Irrtümer ausgemacht, die
damals die Konjunktur abstürzen ließen: der Protektionismus und die
staatlichen Sparmaßnahmen, die geradewegs in die Rezession führten. Jetzt
wiederholt sich die Geschichte, leider nicht als Farce.
Verschreckt von den hohen eigenen Defiziten, versucht nun jedes Euroland,
seine Ausgaben zu begrenzen und seine Exportanteile auf Kosten der Nachbarn
zu steigern. Das führt direkt in den Abschwung, wie nun auch die
Aktienanleger etwas spät bemerkt haben: Der DAX hat im vergangenen Monat um
fast 7 Prozent nachgegeben - sehr zu Recht. Die US-Regierung ist von dem
europäischen Sparwahn derart alarmiert, dass sie jetzt Finanzminister
Timothy Geithner nach Großbritannien und Deutschland entsandt hat.
Aber was wäre die Alternative? Man kann ja verstehen, dass die Regierungen
ihre Defizite reduzieren wollen, um nicht wie die Griechen in der
Überschuldung zu enden. Doch statt sich in die Rezession zu sparen, sollte
man lieber die staatlichen Einnahmen geschickt steigern.
Vorbild Berlusconi
Ausgerechnet in Berlusconis Italien werden nun die reichen Steuersünder
verfolgt und als Pfand die ersten Luxusjachten beschlagnahmt. Diese Idee
sollte Deutschland abgewandelt sofort übernehmen. Auch hierzulande gehen
Milliarden an Steuereinnahmen verloren, weil selbst Millionäre nur selten
von den Finanzämtern überprüft werden. Es fehlen etwa 3.000 Betriebsprüfer
und 500 Steuerfahnder, obwohl jeder von ihnen rund 700.000 Euro im Jahr
eintreiben würde.
Sehr zu begrüßen wäre auch die Finanztransaktionssteuer, die nun selbst von
CDU-Finanzminister Schäuble vertreten wird und die für Deutschland etwa
11,8 Milliarden Euro bringen würde. Die FDP heult zwar auf und leidet mit
den "kleinen Sparern", doch tatsächlich würde die Bevölkerungsmehrheit von
dieser Steuer kaum getroffen, weil sie fast gar kein Finanzvermögen
besitzt. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Die reichsten 10 Prozent
der Deutschen besitzen über 60 Prozent des Gesamtvermögens. Sie vor allem
haben von den Bankenrettungen und Konjunkturpaketen profitiert, deswegen
sollten sie nun auch die Lasten tragen.
Doch geht es nicht nur um Fairness, so wichtig sie ist - sondern um
Schadensbegrenzung. Die Besteuerung der Reichen birgt das geringste Risiko,
eine Rezession zu provozieren. Denn die Begüterten konsumieren - relativ
gesehen - eher wenig und legen ihr Geld stattdessen auf den Finanzmärkten
an. Es wäre ein schlichtes Geschäft: Statt Staatsanleihen auszugeben und
sich damit bei den Reichen zu verschulden, würden die Staaten einfach
Steuern erheben.
Wie gut das funktionieren kann, zeigt der New Deal unter US-Präsident
Roosevelt. Vor achtzig Jahren stand er ebenfalls vor der Frage, wie er
riesige Konjunkturpakete finanzieren sollte. Damals hat er den Spitzensatz
bei der Einkommensteuer auf 79 Prozent angehoben. Gleichzeitig stiegen die
Unternehmens- und die Erbschaftsteuern. Dem Kapitalismus in den USA hat
dies nicht geschadet. Nie wieder ist die Wirtschaft so stark gewachsen.
27 May 2010
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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