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# taz.de -- Spektakel: Das Prinzip Waschmaschine
> In Hamburg läuft derzeit eine Bühnenversion von Ben Hur. Sie versucht
> alle Superlative zu toppen - und zeigt doch nur, dass Megalomanie und
> Mittelmaß eng beieinander liegen.
Bild: Dramatik, Kampf und Liebe: Das gibt es nur im Spektakel - sagt das Spekta…
Gesetzt der Fall, ein Kind sitzt auf der Schaukel und verlangt nach
Anschwung. Was ruft es dann? "Mehr, mehr, mehr" - egal wie hoch die
Schaukel schwingt. Auch unsere heutige Gesellschaft des Spektakels sitzt
auf einer solchen Schaukel und skandiert den Schlachtruf des Infantilismus
nach dem Mehr. Mit Erfolg, wie gigantische Kinoproduktionen und Musikshows
- auch wenn die von Jacko nun leider ausgefallen sind - oder eben das
Historien-Spektakel "Ben Hur" zeigen, das vor kurzem in London uraufgeführt
wurde und nun in der Hamburger Color Line Arena gastiert.
Im Wesentlichen geht es bei dem Stück wie bei jedem Spektakel erst einmal
um Zahlen: 800 Tonnen Material werden mit 60 Trucks von Veranstaltungsort
zu Veranstaltungsort geschickt, hat der Spiegel recherchiert. Wobei unklar
bleibt, ob zu diesem Material nur die Galeeren, die 1.000 eigens
geschneiderten Kostüme, der rutschresistente Spezial-Sand, die Tempelsäulen
und andere Kulissenbauten gezählt wurden. Oder vielleicht auch die 46
Rassepferde, die Tauben, Geier, Adler und Falken, wegen denen die
Tierschützer von Peta vor der Premiere aufkreuzten. Von den knapp 400
Billig-Lohn-Schauspielern, überwiegend aus Ungarn und Tschechien
importiert, ganz zu schweigen.
Auf schlappe sieben Millionen Euro belaufen sich dennoch die
Produktionskosten - gar nicht so weit weg von William Wylers
Hollywoodklassiker, der vor 50 Jahren als teuerster Film aller Zeiten 16
Millionen Dollar verschlang. Andererseits auch nur die Hälfte von dem, was
gerade in eine neue mehrteilige Fernsehverfilmung des Romanstoffes gesteckt
wird. Aber so ist das. Ein Spektakel ist immer größer als das andere.
Immerhin geht es in der Color Line Arena fulminant los, aus
ideologiekritischer Sicht jedenfalls: "Vergessen Sie den Alltag, dieser ist
nun bedeutungslos", dröhnt der Erzähler Ben Becker durch die Halle, und
bringt damit die Quintessenz des Spektakels auf dem Tisch: Grau ist die
Welt - und sie soll es bleiben - damit wir es für dich jetzt um so bunter
treiben, hier und jetzt, mit einer Geschichte von Liebe und Verrat, Rache
und Versöhnung, Glaube und Widerstand, also mit all dem, was in deinem
bedeutungslosen Alltag keine Rolle spielt. Hab Dank, mein liebes Spektakel!
Gestemmt hat es übrigens ein Bayer, ein Franz, der sich für den
Ben-Hur-Stoff mit seiner biblischen Heilsbotschaft nicht nur durch den
Namen Abraham qualifiziert. Fast noch als Bub hatte er Klassikgrößen wie
Sviatoslav Richter nach Rosenheim geholt. Später die Rolling Stones nach
München, und Carmina Burana als Schmonzette um die Welt geschickt. Mit Ben
Hur rührt nun Franz Abraham alles zusammen: "Die Show wird den Speed eines
Broadway-Musicals, die Leidenschaft einer griechischen Tragödie, die Power
eines Rockkonzerts und die Magie großen Kinos in sich vereinen", sagte er
der Times.
Es ließe sich auch anders sagen. Die Show eiert wie ein Schülertheater, die
Musik schlingert in eklektizistischer Einfallslosigkeit und die Akrobaten
hätten beim Chinesischen Staatszirkus nicht einmal als Statisten eine
Chance. Ach, und dann erst das berühmte Wagenrennen. Im Film steigert sich
die Spannung bis zum Magenbrennen, in der Color Line Arena muss man nicht
einmal schlucken, wenn die Quadrigen mit Schauspielerdoubles durch den Sand
traben. Das liegt auch daran, dass Messala, der Gegenspieler von Ben Hur,
in der Live-Version auf den legendären "Griechischen Wagen" verzichten
muss. Dessen Radnaben sind mit Messern gespickt, so dass der Römer im Film
die Quadrigen seiner Konkurrenten en passant regelrecht zersägt. Ben Hur
entgeht diesem Schicksal im Film nur um Zentimeter - live hingegen trabt
der eine dort, der andere da, und es ist bis zum Schluss gar nicht zu
sagen, wer vorne und wer hinten liegt.
Alles nichts Ganzes und nicht Halbes. Aber Franz Abraham hat sich
offensichtlich von der Überlegung leiten lassen, dass multipliziertes
Mittelmaß gigantisch ist. Mehr als gigantisches Mittelmaß. Mehr, viel mehr.
Und darüber die nüchterne Logik vergessen, dass ein mal eins ja leider eins
bleibt.
Einiges ist dennoch als gelungen zu bezeichnen. Etwa, wenn die Galeeren
sich durch den vernebelten Sand schieben und Mad-Max-like von Piraten in
knatternden Strandbuggys angegriffen werden. Da kapert die Live-Version
genialisch den Anachronismus der Filmvorlage, in der, so will es die
Legende, angeblich ein römischer Soldat mit Armbanduhr durchs Bild
marschiert.
Und natürlich hat auch das Arena-Prinzip mit der fehlenden
Zentralperspektive eigenen Appeal. Immer ist irgendwo was los, aber das
Geschehen als Ganzes ist für den Einzelnen nicht zu überblicken. Alles
dreht sich, Farben, Formen geraten durcheinander - hier Händler, da eine
Gruppe Bauchtänzerinnen, dort Jongleure. Andererseits: Wer solche Wirbel
mag, kann auch in die Waschmaschine gaffen.
Einen wirklichen Hoffnungsschimmer gab es am Abend aber dennoch. Als das
Licht im Saal verlosch, und der Applaus von den teils leer gebliebenen
Rängen, naja, mitunter halbherzig kam. Klatschten musste man, das schon.
Schließlich hatte jeder zwischen 35 und 150 Euro für die Karte
hingeblättert. Aber es ist auch nicht leicht, sich in Extase zu klatschen,
wenn der Grund dafür fehlt. Und als dann alles dem Ausgang zustrebte, da
konnte man ihn hier und da hören, den Totalverriss: "So richtig vom Hocker
gerissen hat mich das nicht."
30 Sep 2009
## AUTOREN
Maximilian Probst
## TAGS
Kino
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