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# taz.de -- Achim Mentzel über Selbstironie: "Ich bin auch eine Speckbulette"
> In der DDR war er ein bekannter Sänger, nach der Wende hatte er seine
> Hitparade beim MDR. Achim Mentzel über seine Republikflucht,
> Kalkofe-Parodien und acht Kinder von fünf Frauen.
Bild: Ist sich für keinen Witz zu schade: Mentzel (r.) mit Florian Silbereisen…
taz: Herr Mentzel, wenn man Sie heute im MDR schunkeln sieht, kann man gar
nicht glauben, dass es in der DDR rund um Ihre Auftritte zu Ausschreitungen
gekommen sein soll.
Achim Mentzel: So war das damals. Wir vom Diana Show Quartett hatten keine
Autos, also begleitete uns immer ein großer Tross durch Berlin, wenn wir
einen Auftritt hatten. Ich musste meine Gitarre nie selbst tragen. Und wenn
wir in Weißensee oder sonst wo in Berlin ein Konzert gaben, standen da halt
unsere Jungs, die "Lichtenberger Harlekins", wie sie später der
Eulenspiegel nannte, und die aus den anderen Bezirken. Traute sich einer,
ein Mädel der andern anzusprechen, gings sofort los. Dann wurden noch
Polizeiautos umgeschmissen, oder eine Straßenbahn wurde verwüstet.
Gab es gerichtliche Nachspiele?
Klar, und bei denen kam immer raus, dass die Jugend der DDR in Ordnung ist
und nur die Musik sie so verrückt gemacht hat.
Das sahen auch viele Westdeutsche so. Spätestens als Stones-Fans 1965 in
Berlin die Waldbühne zerlegten. Im Osten zogen "Beat-Demos" durch Leipzig,
und Ulbricht wollte Schluss machen mit der Monotonie des "Yeah, Yeah,
Yeah".
1965 bekamen wir auch Spielverbot. Ich war erst 19. Wir wurden zunächst im
Eulenspiegel verrissen, waren sogar auf dem Titelblatt! Der Artikel war der
Anfang von unserem Ende. Wir bekamen dann Auftrittsverbot für das Gebiet
der DDR, wichen kurzzeitig nach Leipzig aus, weil die Beamten dort uns
nicht kannten, aber das war dann auch bald vorbei. Die Clubs, in denen wir
auftreten sollten, waren plötzlich geschlossen. Wir haben noch ein bisschen
randaliert, und das wars.
Bald darauf spielten Sie schon wieder - trotz Spielverbot.
Na ja, in der Armee, die hat das nicht interessiert. Dabei hatte ich mich
gar nicht fürs Musikkorps gemeldet. Ich sollte im Panzer die Kanonen ins
Rohr schieben. Arbeit für Bekloppte.
Als Sie aus der Armee entlassen wurden, war das Spielverbot wieder in
Kraft.
Ja, ich hab erst mal im Betrieb meines Schwiegervaters gearbeitet. Ich
hatte zwischendurch geheiratet, ihr Vater hatte eine Polsterei - den Beruf
hatte ich ursprünglich gelernt -, und wer heiratete, bekam fünf Tage
Sonderurlaub.
Wie sind Sie dann zur Musik zurückgekommen?
Manfred Lindenberg stand in der Tür und bot mir einen Job in seiner Band
an. Der Lindenberg hat eine Bürgschaft für mich übernommen, musste dann
aber bald ins Gefängnis, weil er mit allem möglichen Zeug aus dem Westen
geschachert hatte.
Sie spielten weiter und nutzten 1973 einen Auftritt in Westberlin zur
Flucht. Wie war das?
Ich spielte im Orchester Alfons Wonneberg, und die durften auch im Westen
auftreten. Ein Kinderfest der DDR-Reichsbahn, die ja auch durch Westberlin
fuhr, hab ich genutzt und bin da geblieben.
Ihr Grund war weniger politisch, oder?
Überhaupt nicht politisch. Meine zweite Frau, mit der ich auch ein Kind
hatte, hatte mich drei Tage zuvor mit einer anderen im Bett erwischt. Und
ich war nie der Typ, der so was noch kitten wollte. Das klappt eh nicht.
Eine spontane Entscheidung?
Ja. Als unser Schlagzeuger beim Aufbau der Instrumente aus den Trommeln
sein Hab und Gut rausholte und sagte: "Ich bleib hier", kam von mir ein
"Das mach ich auch". Ich dachte, jetzt komm ich und zeig denen da drüben
mal, wo die Kuh fliegt.
Lief aber nicht so gut, oder?
Nein. Ich war auf dem Arbeitsamt und sagte, dass ich Sänger sei, Gitarre
spiele, einen losmachen will. Der Beamte meinte nur: "Gaukler und
Fallensteller haben wir genug." Der Satz hat mich völlig fertiggemacht.
Und dann?
Ich bekam einen Job als Schweißer, obwohl ich nie zuvor geschweißt hatte.
Mann, habe ich viele Löcher in Auspuffe geschweißt. "Bist du ein Idiot",
dachte ich.
Kurze Zeit später traten Sie den Rückweg in die DDR an.
Es kamen Briefe von meiner Frau und meinem Kind, "Alles ist vergeben",
"Papa ist der Beste" und so. Ich fühlte mich einsam, wollte zurück.
Sie mussten doch mit einer Strafe wegen Republikflucht rechnen.
Ich hatte vorher bei meiner Frau angerufen und sie gebeten, mal beim
Staatsanwalt nachzufragen, was mir droht, wenn ich zurückkäme. Der
Staatsanwalt sagte nur, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht
wird. Das war das Signal für mich.
Nach zwei Tagen Gefängnis und einer Bewährungsstrafe spielten Sie Mitte der
70er-Jahre zusammen mit Nina Hagen in Fritzens Dampferband.
Genau. Kennengelernt hatte ich Nina schon bald nach meiner Rückkehr bei
einer Probe - und wir haben schnell gemerkt, dass wir die gleiche Meise
haben. Später haben wir dann zu zweit gespielt, aber keinen Rock, sondern
Schlager, die lustigen. Denn die Rocker mussten alle ihre Texte vorlegen
und dann wären alle Lieder so geworden wie die im "Oktoberklub" …
… der Jugendsendung im DDR-Fernsehen …
… so grässliches Arschleckertum.
Ihre Popularität wuchs. Sie moderierten 1988 "Ein Kessel Buntes" - ein
Ritterschlag?
Ja. Aber zuvor musste ich den Schein machen, mit dem ich auch als Solist
auftreten durfte. Allein hatte ich dann die zwei Hits "Gott sei Dank ist
sie schlank" und "Außerdem macht es Spaß".
Kurz vor der Wende bekamen Sie mit "Achims Hitparade" eine eigene Sendung,
die der MDR 1992 nahtlos übernahm.
Wir haben nicht einmal ausgesetzt, liefen 17 Jahre ununterbrochen. Mein
Rekord steht noch.
Warum lief "Achims Hitparade" 2006 aus?
Erstens weil viele Künstler nur kommen wollten, wenn wir ihnen den ersten
Platz garantierten. Das haben wir nicht gemacht, also mussten wir Musiker
aus der zweiten und dritten Reihe nehmen. Zweitens lief Jauchs "Wer wird
Millionär?" gegen uns. Da konnten wir nicht gegen an. Und drittens fehlte
die Anerkennung im Sender. Die hatten uns nach der Wende abgehalfterte
Wessis vorgesetzt. Der Reiter …
… Sie meinen den MDR-Intendanten Udo Reiter …
… hat mir trotz meiner vielen Jahre und der hohen Quote nie gedankt, nie
ein Händedruck, nie ein "Achim, haste gut gemacht". So sind sie. Die
wollten mich schon in den 90ern absetzen.
Ab Mitte der 90er mussten Sie den Spott von Fernsehsatiriker Oliver Kalkofe
über sich ergehen lassen.
"Im Osten gibt es einen Moderator, der ist eine Mischung aus Tony Marshall
und einem überfahrenen Hamster. Wenn Sie ihn sehen, rufen Sie den
Hundefänger." Das war 1996 der Spruch von Kalki …
… und Sie haben darüber gelacht.
Ich schon, aber meine Frau saß wie versteinert auf der Couch. Ich sagte
nur: "Gitti, das ist die beste Reklame, die ich bekommen kann."
Der dicke Klaus von "Klaus und Klaus" hat Kalkofe verklagt.
Ja, weil Kalkofe ihn "Speckbulette" genannt hat. Klaus wollte der König von
Oldenburg sein. Der Schöne. Ich nie. Ich bin auch eine Speckbulette - na
und?!
Sie spielten in Kalkofes "Wixxer"-Filmen mit, es gab T-Shirts mit Ihrem
Konterfei und "Fernsehen macht schön" zu kaufen.
Ich hatte unfassbares Glück, dass Kalki mich verarscht hat. Ich hätte ihn
auch verklagen können, aber was hat der Vergleich dem Klaus genützt?
Nichts.
Woher kommt all Ihr Glück?
Ich weiß es nicht. Vielleicht meine Aura. Jeden Morgen vor dem Spiegel
denke ich: "Alter, hast du ein Glück." Auch zu meinen geschiedenen Frauen
habe ich heute noch guten Kontakt. Jetzt bin ich mit meiner vierten Frau
seit 30 Jahren verheiratet. Ich habe lange gesucht, aber auch dabei am Ende
wieder Glück gehabt.
Mit einem Lebenslauf wie Ihrem landet man doch nicht beim MDR. Wie passen
Sie auf die Schiffe und in die Hallen, in denen jeder auf den dritten Takt
klatscht?
Ich habe immer das gemacht, was mir selbst Freude bringt. Das kann man den
Leuten vermitteln. Da bin ich mir sicher.
Wollten Sie nie etwas Ernsthaftes machen?
Nein. Ich muss nicht der Große, der Schöne, der Bewunderte sein. Ich will
der Spaßmacher sein. Ich hab ja den "Pisatest" in der ARD gewonnen.
Bewiesen, dass ich klug bin, hab ich also. Und den Stones muss ich auch
nichts mehr beweisen. Ich habe acht Kinder von fünf Frauen. Damit hab ich
die alle überholt.
2 Oct 2009
## AUTOREN
Jürn Kruse
## TAGS
Nachruf
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Nachruf auf Achim Mentzel: Uns Achim
Er war all das, was das quotenoptimierte Schlager-TV nicht mehr gebrauchen
konnte – und deswegen so authentisch und einzigartig.
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