# taz.de -- Kein Nobelpreis für Dylan: "It ain't me, babe!" | |
> Der Literaturnobelpreis 2009 geht an Herta Müller. Warum Bob Dylan die | |
> Auszeichnung schon wieder mal doch nicht bekommen hat. | |
Bild: Funktioniert offenbar nur mit Musik dazu, die Lyrik Bob Dylans. | |
An einem Donnerstag im Oktober wird bekannt gegeben, dass Bob Dylan, der | |
Zimmerman aus Minnesota, den Nobelpreis für Literatur wieder einmal nicht | |
gewonnen hat. Trotz fast schon gequälter Sprechchöre aus dem Jury-Umfeld | |
und manch dröhnender Begeisterungsriffs aus diversen Professorenklausen. | |
Die Buchmacher waren ohnehin skeptisch: Nur für Platz 20 hat es gereicht | |
auf dem Tippschein, eingequetscht zwischen Handke und Noteboom - immerhin. | |
Dabei wäre der Literaturnobelpreis eine feine Abrundung des Dylanschen | |
Lebenswerkes gewesen - nach Pulitzerpreis, Asturia-Preis, Mitgliedschaft in | |
der französischen Ehrenlegion, Kennedy Award, Polarpreis - sind Sie noch | |
da? -, nach diversen Grammys, einem Golden Globe und einem Oscar, der seit | |
2001 bei keinem Konzert als Bühnengottheit fehlen darf. Die | |
Verleihungsurkunde aus Stockholm, hätte Dylan sie sich bei zukünftigen | |
Konzerten ständig vors Gesicht gehalten? Im not there? Kuckuck? | |
Dylan könnte der Kuckuck sein - oder besser: der Kuckuck Dylans Wappentier: | |
"The Coo Coo is a pretty bird, she wobbles when she flies." Und nie ruft | |
der amerikanische Kuckuck vor dem Nationalfeiertag, dem 4. Juli. Mit dieser | |
mysteriösen Beschreibung beginnt das Lied "The Coo Coo Bird" in der Version | |
von Clarence Ashley auf der stilbildenden "Anthology of American Folk | |
Music", kompiliert in den frühen Fünfzigerjahren von Harry Smith, einem | |
Allround-Avantgardisten und manischen Schellacksammler. Diese Anthologie | |
europäischer wie afroamerikanischer Folksongs, Balladen und Tänze | |
konstituierte ein mythisches Gegen-Amerika, erbaut aus herb-schönen Klängen | |
und arkanen Worten. | |
Zu seinen Bewohnern zählten sich einst immer mehr junge US-Amerikaner, | |
denen das Vorstadtleben à la Eisenhower zu frostig-eindimensional war. | |
Beat-Poeten, Studenten, Bürgerrechtler, Musiker, Kommunisten, Maler - und | |
einer war zum Messias auserkoren, bestimmt, die Frohe Botschaft von diesem | |
Gegen-Amerika in jeden Haushalt zu tragen: der junge Robert Zimmerman aus | |
Duluth oder Hibbing im Norden Minnesotas, wo es kalt war und schmutzig, ein | |
pausbäckiger Junge mit dem Hang zur wohlfeilen Geschichte, der bei den | |
Besten stahl und sich wie der Kuckuck in jedes Nest setzte, solange man ihm | |
Essen, Liebe, ein paar Bücher oder Lieder vorbeibrachte. | |
Später, im Alter hat er darüber geschrieben in seiner "Chronicles" | |
genannten Versatzstückautobiografie, ein wenig verraten hat er dort über | |
dieses Hantieren mit den Überresten der Hochkultur von Brecht bis Rimbaud | |
oder mit den Abfällen aus Greisenmund, Schwarzenmund, Christenmund. Und bis | |
heute hat sich an dieser Technik nichts geändert, an diesem Einnisten, | |
Sichbreitmachen, Den-Schnabel-weit-Aufreißen und "Alles meins!"-Trillern. | |
Der Autor Greil Marcus erklärt diese literarische Technik eben anhand des | |
Lieds vom Kuckuck, dass nämlich Wörter, Zeilen, Gedanken, die ursprünglich | |
aus disparaten Quellen stammen, durch die Imaginationsbereitschaft eines | |
Einzelnen in neue Bedeutungszusammenhänge gezwungen werden können. | |
So speist sich Dylans frühe, aber nicht ganz frühe Logorrhöe aus einer | |
Privatexplosion von Surrealismus, Beat, den Hervorbringungen französischer | |
Drogendichter und jüdischer Haschischesser aus New Jersey - und kaum sind | |
vier Jahrzehnte vergangen, ist es immer noch dieses Pop genannte Hybrid aus | |
afroamerikanischer Bildsprache und Rhythmik, aus Ovid und den Psalmen, aus | |
den "Vermischten Anzeigen" und William Butler Yeats, das zu weltweiten | |
Charterfolgen und der Forderung nach dem Nobelpreis reicht. Eben weil heute | |
von jedem Pop-Schreiber pflichtschuldig die Mär von der ach so | |
unberechenbaren Wandlungsfähigkeit Dylans, von seiner ewig währenden | |
Neuerfindung auf den Bühnen dieser Welt etc. nachgebetet wird, verstellt | |
sich der Blick auf diese einzige und eben wesentliche Konstante in seinem | |
Schaffen: den geistigen Diebstahl. Das Kuckucksdasein. | |
Und es ist gerade der künstlerische Verschwindetrick (siehe den großartigen | |
Film von Todd Haynes), die habituelle Uneindeutigkeit der Pop-Persona, die | |
ein inzwischen an der Postmoderne ebenso geschultes wie verzweifeltes | |
Literaturpublikum auf die Idee bringt, Bob Dylan könnte einer der Ihren | |
sein. Aber ein Dylan spielt diese Rolle mit Ehrendoktorhut von Princeton | |
nur so lange, wie er dies will: Die Selbstbestimmung ist Teil des | |
ästhetischen Prinzips - und nicht Teil einer tatsächlichen Identität. Im | |
nächsten Moment mag er grauslige Hymnen auf den HErrn anstimmen, eine | |
Weihnachtsplatte einspielen oder für Unterwäsche werben. Was er ja auch | |
alles getan hat. Und wofür man sich als Fan und Bewunderer dann | |
unterschiedlich stark schämt. Aber man kann den Feuilleton-Dylan nicht ohne | |
den Dixie-Klo-Dylan haben, ihm nicht den Nobelpreis verleihen, ohne ihm | |
seine Grammys wegnehmen zu wollen. | |
Dylans alter Weggenosse Geoff Muldaur bringt es auf den Punkt: "Warum sagt | |
er nicht, bei wem alles er sich bedient hat, wenn er weiß, dass die | |
Nachkommen der von ihm beklauten Musiker am Existenzminimum herumkrebsen - | |
und dann höre ich ihn im Radio und denke mir, Scheiße, er ist so | |
unglaublich gut." Dylan verkauft Schlangenöl, gestreckten Fusel, und alle | |
wollen ständig mehr davon haben, seit es in den späten Neunzigern gelang, | |
dieses auf Flaschen gezogene Wunder einem Massenpublikum erneut | |
nachvollziehbar zu machen, ja, es überhaupt erst sichtbar werden zu lassen. | |
Und zwar so, dass es nicht weiter wehtut. Wie etwa bei Elfriede Jelinek, | |
die gewissermaßen den Nobelpreis für Literatur erhalten hat für eine | |
schmerzensreiche (und eben leider auch mit Anstrengung verbundene) Variante | |
dessen, was die Welt in Dylan sucht und finden will. Sollte aber Dylan | |
selbst doch einmal den Nobelpreis für Literatur bekommen, dann nicht für | |
seine Imitation von Lyrik, nicht für seine informativ-modernistische | |
Biografieprosa, nicht für die Rehabilitierung oraler Traditionen und schon | |
gar nicht für all die tatsächlichen Dichter, die er zitiert oder beklaut | |
hat (der Preis als Fleißbildchen), sondern für seine größenwahnsinnige | |
Chuzpe, die Literaturwelt davon überzeugt zu haben, dass sie sich nur dann | |
weiterdrehen kann, wenn sie einen wie ihn auszeichnet und damit | |
eingemeindet. | |
Dabei wird diese Preisgeld gewordene Reduktion auf einen wie auch immer | |
gearteten "literarischen Wert" niemals klappen - weil Dylans Worte nur | |
funktionieren, wenn sie begleitet werden vom Donner seiner Gitarrenbande, | |
vom Dröhnen seiner Rhythmussektion, vom Sägen seiner Stimme, vom Schubiduh | |
seiner Backgroundsängerinnen. Und nicht, um einen anderen | |
nobelpreiswürdigen Popdichter zu zitieren, wenn ein paar ältere Damen und | |
Herren mit ihren Juwelen rasseln. | |
Wörter, Zeilen, Gedanken, die aus disparaten Quellen stammen, werden durch | |
Bob Dylans Imaginationsbereitschaft in neue Zusammenhänge gezwungen | |
9 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Karl Bruckmaier | |
## TAGS | |
Kevin Coyne | |
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