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# taz.de -- Kommentar Literatur-Nobelpreis: Beharren und Ernsthaftigkeit
> Der Literatur-Nobelpreis für Herta Müller bringt auch die Verpflichtung
> mit sich, vor Konflikten außerhalb Deutschlands und Europas nicht die
> Augen zu verschließen.
Bild: Die zwölfte Frau mit dem Literatur-Nobelpreis: Herta Müller.
Bedeutende Literatur handelt nicht einfach von Konflikten. Sie kommt aus
Konflikten – aus den großen historischen Reibungen, in denen die Einzelnen
von Ideologien oder in Kriegen zerrieben werden. Literatur, gute Literatur
kann so etwas wie die haltbar gemachte, sedimentierte Erfahrung solcher
Schrecken sein. Sie erzählt dann nicht nur einfach, was Menschen Menschen
anzutun vermögen. Sondern sie halten die Erschütterungen, die von solchen
Erfahrungen ausgehen, wach und machen sie auch für Menschen, die sie nicht
erleben mussten, nachvollziehbar.
Ohne solch zugegebenermaßen etwas pathetisches Sprechen kommt man bei der
Schriftstellerin Herta Müller nicht aus. Ihre Romane sind ganz durchdrungen
von der schrecklichen europäischen Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts,
von den Konfliktlinien, die sich aus Vertreibungen, Unterdrückungen und
staatlichem Totalitarismus ergeben.
Auch wenn, nach Günter Grass 1999 und Elfriede Jelinek 2004, mit Herta
Müller die dritte deutschsprachige AutorIn in zehn Jahren mit dem
Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde: Das ist im Kern kein Preis für die
deutschsprachige Literatur. Sondern für eine Literatur, die die historische
Wirklichkeit und Erinnerung kompromisslos in Sprache übersetzt. Der
Herrschaft des Schreckens setzt sie eigene Wortschöpfungen entgegen,
"Atemschaukel", der Titel ihres aktuellen Romans, ist eine davon.
Wer sich nun hierzulande über diese Entscheidung des Stockholmer
Nobelkomitees freut – und das werden sicherlich nicht nur ihre LeserInnen
sein – sollte bedenken: Darin liegt auch eine Verpflichtung. Und zwar dazu,
auch in unseren sehr viel fremderen Literaturen nach den Büchern zu suchen,
in denen gegenwärtige Konfliktlinien verhandelt werden. Wer diesen Preis
gut findet, darf etwa an die chinesische Literatur nicht andere Maßstäbe
anlegen.
Aus leidvollen Erfahrungen im Vorfeld der nächste Woche beginnenden
Buchmesse, auf der China Gastland ist, sei gesagt: Er sollte alles dafür
tun mitzuhelfen, diese Maßstäbe auch gegen Widerstände der offiziellen
chinesischen Delegation durchzusetzen. Man darf als Europäer nicht Gefahr
laufen, dass man die eigenen historischen Konflikte so ernst nimmt, dass
man sie mit dem einzigen Weltliteraturpreis, den es gibt, auszeichnet. Und
gleichzeitig die Konflikte außerhalb Europas unter den Teppich kehrt.
8 Oct 2009
## AUTOREN
Dirk Knipphals
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